Essen. Schon immer waren Sport und Politik schwer zu trennen. Doch die Spielabsagen der NBA-Basketballer haben dem Protest neue Dimensionen verliehen.
Ich war weder 1967 noch 1968 auf der Welt, aber es gibt Bilder aus jenen Zeiten, die sich mir ins Gedächtnis gebrannt haben: Die Siegerehrung bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko-City, als die 200-Meter-Sprinter Tommie Smith und John Carlos die Fäuste in schwarzen Handschuhen in den Himmel reckten – ein Symbol der Black-Power-Bewegung, die sich für politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit der schwarzen Bevölkerung in den USA einsetzte. Oder jenes von einem Treffen schwarzer Sportler 1967 in Cleveland/USA, bei dem sie mit dem gesperrten Boxidol Muhammad Ali weitere Schritte zum Umgang mit dem Vietnamkrieg diskutierten.
Dies sind nur zwei Beispiele für die Vermischung von Sport und Politik, die es schon immer gab, die aber auch heute noch beispielsweise vom Internationalen Olympischen Komitee verhindert wird: Laut Regel 50 der Olympischen Charta sind Formen von „politischer, religiöser oder rassistischer Demonstration oder Propaganda“ bei den Spielen untersagt.
Diesmal protestieren ganze Teams
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Mit dabei beim Ali-Treffen 1967 in Cleveland: Ein gewisser Kareem Abdul-Jabbar, damals die Basketballgröße eines Universitätsteams, später einer der größten Stars der Profi-Liga NBA. Und jene nordamerikanische Basketball-Liga demonstriert gerade vehement, wie aus der Zeit gefallen die Regel 50 der Olympia-Charta heutzutage scheint. Nicht nur bei Olympia – die unsichtbare Mauer zwischen Sport und Politik wurde schon immer gedehnt, manchmal durchbrochen. Doch haben die Basketballer sie nun wirklich niedergerissen?
Inmitten der Play-offs sind sie nicht angetreten, um für Gerechtigkeit für den niedergeschossenen Schwarzen Jacob Blake zu demonstrieren. Schon seit dem gewaltsamen Tod von George Floyd vor drei Monaten waren die NBA-Spieler ein prominentes Zugpferd der „Black-Lives-Matter-Bewegung“, nun griffen sie mit der Spielverweigerung zur radikalsten Methode. Und das in einer Zeit, in der ihr Land zutiefst zerrissen ist und Präsident Donald Trump die Spaltung weiter vorantreibt. Andere US-Ligen folgten mit Absagen ihrer Spiele. Nicht länger protestieren einzelne Sportler, wie es vor vier Jahren der Footballspieler Colin Kaepernick mit seinem Kniefall gegen Polizeigewalt getan hat. Diesmal sind es komplette Teams, eine ganze Liga, die sich für einen gesellschaftlichen Wandel einsetzen. Es sind historische Momente. Mehr als die Trauerminute zwischen Show und Spektakel, mehr als ein paar Sätze in einem Interview oder in den Sozialen Medien.
Bilder für eine neue Generation
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Die Show wird weitergehen, auch in der NBA, am Samstag wird wohl wieder gespielt. Sicher hätten sich die Spieler weiter verweigern, die Saison einfach abbrechen können. Damit hätten sie aber selbst die Bühne abgerissen, auf der sie noch einige Wochen stehen. Vielleicht werden es jene Bilder aus 2020 sein, die ein Basketballteam beim Verlassen des Spielfelds zeigen, die sich einer neuen Generation Sportinteressierter ins Gedächtnis brennen. Die Mauer ist gefallen. Der Sport war noch nie so politisch wie in diesen Tagen.