Essen. IHF-Präsident Hassan Moustafa will sich mit der WM in seinem Heimatland Ägypten selbst beschenken. Doch Topklubs fordern eine Absage.
Als der einstige Weltfußballverbandschef Sepp Blatter seinen Freund Hassan Moustafa einmal bat, ihm die Unterschiede zwischen Fußball und Handball zu erklären, da hielt Moustafa sich nicht mit langen Reden auf. „Im Fußball“, setzte der Präsident des Welthandballverbandes an, „kann ich als Zuschauer eine halbe Stunde lang schlafen und habe nicht viel verpasst. Im Handball darf ich nicht einmal blinzeln.“
Hassan Moustafa blinzelt auch jetzt nicht, selbst im Angesicht der Corona-Krise. Handball ist ein schnelles Spiel, doch die Pandemie hat es ausgebremst, gar für einen völligen Stillstand gesorgt, während der Fußball längst wieder rollt. Die Handball-WM in Ägypten soll deshalb wie geplant ab dem 13. Januar 2021 stattfinden, es gibt keine Zeit zu verlieren, Blinzeln ist nicht erlaubt – den Bedenken der deutschen Bundesliga-Topklubs zum Trotz. Die offizielle Internetseite des Turniers ist vor wenigen Tagen online gegangen, und Moustafa hofft, dass „uns eines der besten Turniere bevorsteht, das je organisiert wurde“.
IHF-Präsident wird sein 20-jähriges Jubiläum feiern
Der 76-Jährige ist für große Worte bekannt, als Präsident des Weltverbandes IHF wird er im November sein 20-jähriges Jubiläum feiern. „Pharao“ wird Moustafa aber nicht nur wegen seiner ägyptischen Herkunft genannt, sondern auch wegen seiner eisernen Herrschaft über den Weltverband. Gestürzt wurde er nie, Gegenkandidaten bei Wiederwahlen gibt es nicht, und dass sein Name häufig mit Begriffen wie Korruption, Spielmanipulation und nachlässiger Anti-Dopingpolitik in Verbindung gebracht wird, konnte den Sportfunktionär auch nie stoppen. Die WM in seinem Heimatland zum Ende seiner fünften Amtsperiode – sie ist auch ein Geschenk an sich selbst. Kein Wunder, dass Moustafa darauf beharrt, dass sie stattfindet.
Denn ja, im Welthandball wird das Turnier mittlerweile häufiger hinterfragt angesichts der Tatsache, dass nicht einmal klar ist, ob viele nationalen Ligen in den kommenden Monaten vor Zuschauern oder vor leeren Tribünen spielen werden. Vertreter der deutschen Topklubs THW Kiel und SG Flensburg-Handewitt sprachen sich deshalb für eine Absage der WM aus. „Das macht überhaupt keinen Sinn“, sagte Kiels Aufsichtsratsvorsitzender Marc Weinstock in der SportBild, und Flensburgs Beiratschef Boy Meesenburg pflichtete bei, dass „Handball-Völker aus aller Welt, teils aus Corona-Krisengebieten“ zur WM kämen und „Ägypten nicht gerade in dem Ruf steht, die höchsten Hygienezustände der Welt zu haben“. Der Flensburger fürchtet eine erhöhte Infektionsgefahr und damit Auswirkungen auf die Klubs.
WM lebensnotwendig für den DHB
Der Deutsche Handball-Bund (DHB) reagierte anders: „Die IHF und Ägypten haben die Entwicklung der Corona-Pandemie im Blick – wir sind sicher, dass beide verantwortungsbewusste Entscheidungsträger sind“, erklärte DHB-Präsident Andreas Michelmann. Vizepräsident Bob Hanning wurde noch deutlicher: „Es ist arrogant und respektlos, den Ägyptern abzusprechen, Hygienestandards einhalten zu können. Die gehen doch nicht noch im Vierfüßlerstand über die Straße. Ich distanziere mich von solchen Aussagen.“
Die WM ist für den Handballsport alle zwei Jahre der Höhepunkt im Sportkalender. Wenn der Fußball sich in seine Winter-Trainingslager verzogen hat, richten sich im Januar zwei Wochen lang die Augen der Sportfans auf das Treffen der weltbesten Spieler mit dem Harz an den Händen. Diesmal ist die WM gar noch bedeutsamer, in Corona-Zeiten spielt sie eine nahezu überlebenswichtige Rolle für den Weltverband IHF und auch für den DHB. Schließlich müssen Sponsorenverträge erfüllt und Wachstumsziele erreicht werden. Alleine die TV-Gelder garantieren Millioneneinnahmen in Zeiten versiegender Geldflüsse, die Übertragungen von ARD und ZDF sahen in der Vergangenheit bis zu zehn Millionen Zuschauer. Für Hassan Moustafa ist die WM daher „das Licht am Ende des Tunnels in der Corona-Pandemie“.
Mitte September soll die Champions League beginnen
Dass der Welt- und die nationalen Verbände daher an der WM festhalten, wundert nicht. Dass ausgerechnet die Spitzenklubs Kiel und Flensburg die Nationalmannschaft derzeit nicht als wichtigstes Schaufenster der Bundesliga sehen, da schon eher. Auch das ist der Unsicherheit der Corona-Pandemie geschuldet. Mitte September soll die Champions League beginnen, ab 1. Oktober dann die Bundesliga starten. Noch ist nicht klar, ob und wieviele Zuschauer in deutschen Hallen erlaubt sein werden, zudem werden die Spiele in der auf 20 Teams aufgestockten Liga, Pokal, Champions League und WM nun durch den späteren Bundesligastart in ein noch kleineres Zeitfenster als üblich gequetscht. Die Nationalspieler der Topklubs kommen sonst schon auf ein unglaubliches Pensum, nun soll dies in noch kürzerer Zeit durchgepeitscht werden. Die Hinterfragung der WM ist somit auch ein Schutzmechanismus für die eigenen Profis.
„Ich war überrascht, als einige Klub-Offizielle von einer Absage der WM sprachen“, sagte Hassan Moustafa. „Doch ich wurde ins Amt gewählt, um das Turnier zu organisieren. Und es ist eine großartige Entscheidung, es auch spielen zu wollen.“ Hassan Moustafa ist der Weltverbandspräsident. Er blinzelt nicht.