Wattenscheid. Die Wattenscheider Hürdensprinterin Pamela Dutkiewicz spricht über ihren besonderen Umgang mit der Corona-Krise und ihren Start bei der DM.

Wenn alles so gekommen wäre, wie Pamela Dutkiewicz dieses Jahr geplant hatte, dann wäre sie jetzt in Tokio. Dann würde die Leichtathletin des TV Wattenscheid gerade ihren Auftritt bei den Olympischen Sommerspielen Revue passieren lassen. Doch weder ist sie in Tokio, noch haben die Spiele stattgefunden. Wegen der Corona-Pandemie musste die 28-jährige Vize-Europameisterin im Hürdensprint ihren Jahresplan über den Haufen werfen. Statt Tokio heißt es nun Braunschweig. Dort startet sie am Samstag bei der Deutschen Meisterschaft (Finale ab 19.25 Uhr/ARD). Es wird ihr erster Auftritt in dieser verspäteten Freiluftsaison sein.

Frau Dutkiewicz, Sie steigen direkt mit einem Titelkampf in die Saison ein. Wieso?

Pamela Dutkiewicz: Eigentlich hatte ich mich entschieden, eine komplett wettkampffreie Saison einzulegen. Aber in vielen Gesprächen haben mich mein Verein und der Deutsche Leichtathletik-Verband für die Deutsche Meisterschaft sensibilisiert. Ich hatte das Gefühl, etwas zurückgeben zu wollen.

Können Sie das genauer erklären?

Dutkiewicz: Der TV Wattenscheid und der DLV waren immer an meiner Seite, auch wenn es mal nicht so gut lief. Es ist ein großer Aufwand, der für diese Deutsche Meisterschaft betrieben wurde. Die Leichtathletik ist eine der wenigen Sportarten, die sich das Konzept vom Fußball abgeguckt hat, nun Fernsehzeiten bekommt und eine Deutsche Meisterschaft abhalten kann. Es geht jetzt nicht um den Sieg mit einer Topzeit, sondern es geht um Präsenz: des Konzeptes und der Athleten. Das will ich unterstützen. Deshalb starte ich jetzt.

Sie lechzen also nicht nach einem Rennen?

Dutkiewicz: Ich bin wirklich nicht sonderlich im Wettkampfmodus. Ich erlaube meinem Körper gerade, sich zu entspannen. Seit zwei Jahren habe ich nicht mehr so lange durchtrainiert wie jetzt. Die Zeit davor war von Verletzungen geprägt. Ich habe mich von einer Meisterschaft zur nächsten gerettet. Aber schon die Hallensaison hat gezeigt: Der Akku ist leer, das Fundament ist aufgebraucht. Nach der Olympia-Verschiebung habe ich entschieden: Wir nutzen den Sommer, um auch mal was auszuprobieren. Ich genieße es, zum Training zu gehen. Sonst war es immer mit Druck verbunden, weil das Training gut sein musste, man musste ja schnell wieder performen. Es war alles sehr kurz getaktet. Ich genieße den langsamen Aufbau total. Ich habe keinen Wettkampfhunger.

Wie kriegt man dann den Schalter auf Wettkampf umgeschaltet?

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Dutkiewicz: Als ich vor zwei Wochen entschieden habe, dass ich starte, habe ich probiert, mich in den Modus zu bringen. Ich habe alles hochgefahren, eine andere Anspannung beim Training. Sollte ich am Wochenende nun wahnsinnig viel Spaß haben, werde ich im September vielleicht noch ein paar Wettkämpfe machen, wenn nicht, dann lasse ich es bleiben.

Viele Athleten sehen das anders: Sie haben Wettkämpfe herbeigesehnt.

Dutkiewicz: Das ist wirklich spannend. Es kommt darauf an, wo man herkommt. Wenn ich total im Saft gestanden hätte, dann hätte ich das auch anders gesehen. So geht es bestimmt einem Großteil der Athleten. Aber bei mir war es in den letzten Jahren eher so, dass ich gedacht habe: Verdammt, die Uhr tickt, aber der Körper kommt nicht hinterher. Der braucht eigentlich genau das, was ich ihm jetzt geben kann.

Also profitieren Sie von der Olympiaverschiebung?

Dutkiewicz: Das ist immer schwierig, das so zu sagen: Aber für mich persönlich ist das jetzt ein geschenktes Jahr. Es wäre so ein heftiger Balanceakt gewesen, zu Olympia zu kommen. Das muss man einfach so realistisch einschätzen. Ich hätte in kurzer Zeit sehr viel an Trainingsreizen setzen müssen, was ja immer die Gefahr birgt, dass es einfach zu viel ist, man sich wieder verletzt. Aber ich war am Anfang des Jahres einfach noch nicht gut genug drauf. Ich kann im nächsten Jahr auf jeden Fall in einer besseren Version dastehen. Also, ja: Ich profitiere davon.

Hat sich das bei der Nachricht direkt so angefühlt oder war es auch ein Schock?

Dutkiewicz: Das war Erlösung. Ich dachte die ganze Zeit: Was geht hier auf der Welt ab? Wir tragen Masken, alles wird abgesagt und die halten an so einem Riesen-Event fest. Hinzu kam, dass wir nicht trainieren konnten. Ich wusste: Die Zeit rennt, aber mir wird die Trainingsmöglichkeit genommen. Da war die Verschiebung erstmal erlösend. Dann waren da viel zu viele Emotionen und erst als das alles abflachte, konnte ich das für mich einordnen und dachte: Es ist gut für mich. Der Druck fiel ab.

Was ist Ihnen in dieser Zeit besonders bewusst geworden?

Dutkiewicz: Mir ist aufgefallen, dass ich unter wahnsinnigem Druck stand. Ich habe das zwar schon wahrgenommen, aber ich konnte mir das natürlich nicht im Ganzen eingestehen, denn sonst funktioniert das alles nicht. Ich habe gemerkt, wie krass der Körper in allem losgelassen hat. Entspannung, wortwörtlich. Endlich konnte ich mal wieder Zeit mit der Familie verbringen, die oft zu kurz kommt. Das emotionale Futter wieder aufzupolstern war richtig schön.

Und sie konnten Verletzungen vermeiden – die haben Sie 2019 noch den Start bei der WM gekostet.

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Dutkiewicz: Weltspitze und Europaspitze fordern einen gnadenlosen Umgang mit sich selbst, mit hohen Trainingsreizen. Da bist du immer ganz nah an der Grenze und probierst nicht zu weit zu gehen, denn sonst kommst du in eine Verletzung rein. Wenn dein Körper erholt ist, kannst du das wirklich gut ausreizen, aber wenn dein Körper schon viele Verletzungen erlebt hat, dann ist das Risiko riesig. Jetzt habe ich die Möglichkeit, dass ich gar nicht erst an diese Grenze gehen muss. Das wäre ja auch blöd. Ich trainiere auf einem Niveau darunter, aber kann mir ein gutes Fundament aufbauen.

Und Ihre Zeiten?

Dutkiewicz: … werden nicht die schnellsten sein (lacht). Manche sprachen von Olympia-Norm. Aber ganz ehrlich: Da musst du so im Saft stehen, da musst du auch mental so wettkampfhungrig sein, das läuft sich nicht einfach so. Ich bin da wirklich ehrlich: Ich habe keine Ahnung, wo ich stehe und was ich laufen werde. Aber ich bin gesund, ich habe gut trainiert, aber das Wettkampfresultat hat für mich keinen hohen Wert in diesem Jahr. Klar, möchte ich mich so gut wie möglich präsentieren, denn es ist immer noch eine Deutsche Meisterschaft. Ich möchte für den Verein das Beste rausholen, aber ich kann keine großen Versprechungen machen.

Während in Deutschland unter großen Auflagen eine nationale Meisterschaft stattfindet, steht in anderen Ländern alles still. Wieder woanders gibt es normale Wettkämpfe. Glauben Sie, dass die unterschiedlichen Situationen einen Effekt bei Olympia haben werden?

Dutkiewicz: Ich glaube, es ist entscheidend, dass man einen persönlichen Plan hat, die gewonnene Zeit für sich optimal nutzt. Dann glaube ich, dass ein genereller Leistungssprung zu sehen sein wird. Früher war es ja gängig, dass es ein Überbrückungsjahr gab, in dem die Athleten sich auskurieren konnten. Das ist bei uns sonst undenkbar. Ich kann mir gut vorstellen, dass es einen Leistungssprung geben wird.

Wie erleben Sie persönlich einen Sommer ohne Wettkampfhatz?

Dutkiewicz: Sonst wusste ich gar nicht, welche Temperatur draußen war. Mein Fokus lag so auf dem Training und dem Wettkampf, dass ich den Sommer gar nicht wahrgenommen habe. Wenn du so richtig funktionieren musst, zweimal die Woche irgendwo hinfliegen musst, das eine abhaken, das andere schon im Fokus haben musst, dann musst du deine Fühler sehr weit zusammenfahren. Das war jetzt einfach sehr schön, einen Sommer richtig wahrzunehmen, sich hinzusetzen und einen Baum anzugucken. Es klingt richtig bekloppt, aber so ist es.

Was auch vielerorts runtergefahren wurde, waren die Dopingkontrollen. Wie beurteilen Sie das?

Dutkiewicz: Wir deutschen Athleten werden wieder ganz normal – außer, dass man Handschuhe und Maske tragen muss – kontrolliert, auch in der Regelmäßigkeit. Ich glaube, dass Corona den Leuten, die schon vorher den Plan hatten zu dopen, nicht die Tür geöffnet hat. Die Idee muss schon vorher da sein, vielleicht ist die Hürde in dieser Zeit etwas kleiner, ich weiß es nicht. Aber die, die es machen, die sind so abgezockt, da ist es egal, ob Corona herrscht oder nicht.

Erlauben Sie sich den Gedanken daran, dass die Spiele 2021 nicht stattfinden könnten?

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Dutkiewicz: Nein, den erlaube ich mir nicht. Denn dann macht nichts, was ich gerade tue, einen Sinn. Dieser Gedanke macht mich unruhig. Den muss ich wegschieben. Es wäre auch bekloppt, von jemandem zu erwarten, sich mit voller Energie auf was zu konzentrieren, was er anzweifelt. Das funktioniert nicht. Für mich steht der Termin. Ich konzentriere mich auf das, was in meiner Macht liegt. Ich kann nur das Hier und Jetzt beeinflussen.

Hat man da als Leistungssportler einen Vorteil? Im Startblock darf man ja auch nur im Moment sein?

Dutkiewicz: Ich glaube, der Leistungssport war ein guter Lehrer. Genauso der Austausch mit meiner Sportpsychologin, meiner Familie, meinen Freunden. Ich glaube, das ist ein Wesenszug, den ich in mir trage, aber ich muss ihn auch bewusst immer wieder einsetzen.

Gemeinsam mit Ihrem Freund, dem Physiotherapeuten Maik Emmerich, haben Sie Podcast „Sprechstunde Uncut“ entwickelt, in dem Sie über Ihre Karriere reden. Hilft Ihnen das Reden in dieser Zeit?

Dutkiewicz: Das ist eine gute Frage. Die Idee ist eigentlich eher aus einer Corona-Langeweile entstanden. Wir haben es bei anderen gesehen und dachten: Als Leistungssportlerin und Physio bringen wir was Interessantes mit. Uns macht es großen Spaß, die Resonanz ist sehr schön – und ja, es tut auch gut. Viele junge Leute schreiben mir, wie spannend die Einblicke für sie sind. Und ich muss sagen: Ich hätte mir das junge Sportlerin wahnsinnig gewünscht: Einen Athleten, der nicht wahnsinnig unnahbar ist, bei dem man nicht denkt, ich kann das nicht erreichen, das ist eine Maschine, sondern, der zeigt: Ich zweifle genauso, ich habe genauso Ängste, mein Weg war genauso wie deiner, es war nicht von Anfang an klar, dass ich Vizeeuropameisterin werde. Das ist etwas, das ich mir für später vorstellen kann: jungen Sportlern den Weg ein bisschen zu erleichtern, transparenter zu sein.

Inwiefern?

Dutkiewicz: Es läuft ja immer so: Wir performen in dem Moment und den Rest zeigen wir nicht so gerne, wir reden auch nicht gerne darüber. Und wir Deutschen sind da sowieso sehr speziell. Bei dem Podcast haben wir auch Reaktionen bekommen wie „Darüber kannst du doch nicht reden“. Ich finde aber doch: Denn genau deshalb entwickeln wir uns nicht weiter. Mittlerweile habe ich da eine kleine Mission (lacht).

In der Leichtathletik wird oft mangelnder Nachwuchs beklagt. Wie kann man ihn besser erreichen als durch ein Vorbild, das den jungen Athleten auf Augenhöhe begegnet?

Dutkiewicz: Ja, das denke ich auch. Das stört mich medial auch oft: Wie sollen wir Nachwuchs bekommen, wenn man immer nur hört, wie schrecklich es ist, Leistungssportler zu sein? Man hört nur: Du musst nebenher arbeiten, du musst dies, du musst das. Es geht immer nur um die Negativpunkte. Das ist der falsche Weg, um zu vermitteln, dass Leichtathletik, der ganze Spitzensport außerhalb des Fußballs richtig toll sein kann, dir ganz viel gibt, die ganzen Werte, die damit einhergehen, sind ein riesiger Gewinn.

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Sie sind da unterwegs, wo auch junge Sportler sich tummeln: im Sozialen Netzwerk Instagram. Sie sind dort sehr aktiv, haben Sie in der Corona-Zeit auch neue Werbepartner gewinnen können?

Dutkiewicz: Nein, und ich habe auch nicht danach gesucht. Ich habe drei Partner und die pflege ich auch. Denn da steckt viel Arbeit hinter, mit vielen Projekten. Mehr kann ich mir da nicht zumuten. Und wenn ich diese typischen Instagram-Anfragen bekomme, dann kippe ich immer fast hinten rüber. Ich möchte nicht die 1000. sein, die „Hello-Body-Produkte“ für ein paar Kröten in die Kamera hält (lacht). Ich will authentisch sein und mein Sport ist der Fokus. Das, was ich jetzt mache, macht mir Spaß. Vermutlich wird es während der heißen Saisonphase auch wieder weniger, weil ich da gar nicht den Kopf für habe.