Essen. Der Speerwerfer trainiert für Olympia in Tokio und ist in den sozialen Medien sehr aktiv - für die Laune der Fans und für den Lebensunterhalt.
Eigentlich wäre für Thomas Röhler jetzt der Endspurt gestartet: In gut zwei Monaten hätten die Olympischen Spiele in Tokio beginnen sollen, Speerwerfer Röhler kann seinen Titel nun aber erst im nächsten Sommer verteidigen. Die Coronavirus-Pandemie hat nicht nur Wettkampfpläne über den Haufen geworfen, sondern auch Lebensplanungen stark beeinflusst. Ein Gespräch mit Thomas Röhler über Ersatzbeschäftigungen, die Existenzsicherung von Sportlern und das Gefühl, fünf Jahre amtierender Olympiasieger zu sein
Herr Röhler, es ist Mai, die Sonne scheint, und statt mit dem Speer auf Stadionrasen sieht man Sie bei Instagram in Ihrem Wohnzimmer Liegestütze und noch ganz andere Dinge machen. Wie geht es Ihnen damit?
Thomas Röhler: Ich habe die Situation gut angenommen. Ich versuche wirklich, das Gute zu sehen. Man hat mehr Zeit für Familie, für Dinge, die in so einer normalen, turbulenten Sportlerkarriere sonst zu kurz kommen. Gleichzeitig bin ich Vollprofi und halte mich, so gut es geht, fit. Zum Glück ergeben sich immer mehr Lockerungen, so dass wir immer mehr in professioneller Weise unseren Sport betreiben können.
Dinge, die sonst zu kurz kommen – Sie haben ein Haus gebaut.
Röhler: Ja, genau. Und aktuell stand der Gartenbau an. Ich hatte Zeit, anzukommen und alles schön zu machen. So ist ein Rückzugsort entstanden, der sich dann auch sportlich positiv auswirken kann.
Sie posten viel auf Instagram. Ist die digitale Verbindung stärker geworden, seit das Coronavirus analoge Treffen verhindert?
Röhler: Die Leute waren schon immer sehr begeistert von dem, was wir tun. Ich finde, wenn man andere motivieren kann, ist das etwas Schönes. Im Moment können wir nicht über Wettkämpfe und Leistungen motivieren, wir kommen nur schwer an die Jugend heran, die zu Hause sitzt. Deshalb bemühe ich mich, normale Einblicke zu geben. Ich denke mir nicht jeden Tag ein neues Home-Workout aus, ich schreibe den Leuten auch gern: Hey, genießt die Zeit, geht raus, macht etwas Sinnvolles. Mit anderen Athleten habe ich direkten Kontakt. Aber Social Media ist wichtig, so halte ich mein Sport-Netzwerk beisammen.
Hilft es, die verpassten Auftritte im Stadion zu kompensieren?
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Röhler: Jeder Athlet will seine Reichweite behalten, sie vielleicht sogar noch ausbauen. Wir leben von unserem Sport, Reichweite ist sehr, sehr wichtig. Das ist heute fast entkoppelt vom sportlichen Erfolg. Wer Social Media vielleicht bislang ein wenig vernachlässigt hat, der findet jetzt die Zeit, sich darum zu kümmern. Wir müssen uns irgendwie finanzieren, und es ist kein Geheimnis, dass wir über Social Media und Internet-Auftritte Einnahmen generieren können.
Die Stabhochspringer Renaud Lavillenie, Mondo Duplantis und Sam Kendricks haben sich zuletzt in einem digitalen Fernvergleich gemessen. Haben Sie das verfolgt?
Röhler: Eine sehr spannende Geschichte. Ich kenne aber auch den Aufwand dahinter. Die Jungs hätten einen viel einfacheren Tag gehabt, wenn sie zu einem Wettkampf gefahren wären und ihren Sport gemacht hätten. So hatten sie viel Arbeit. Beginnend bei der Wetterkoordination verschiedener Länder bis hin zum ganzen technischen Setup. Ich fand das wirklich cool. Jetzt wird dazu aufgerufen, das doch bitte nachzuahmen.
Denkbar im Speerwerfen?
Röhler: Nein. Nicht solange die Einschränkungen so sind, wie sie sind. Sie sind ja noch dazu in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Wir haben das weltweit gecheckt. Ich gehöre zu denen, die bis vor Kurzem nicht auf den Platz durften. Und Speerwerfen im Garten funktioniert nicht, das ist zu gefährlich.
Sie sind Athletensprecher des Weltverbandes. Ist das gerade eine arbeitsreiche Zeit für Sie?
Röhler: Ja, da hatte und habe ich richtig viel zu tun. Es ging los mit der Meinungsfindung in Richtung Olympiaverschiebung. Das Ergebnis war sehr einfach und auch sehr klar.
Alle waren für die Verschiebung?
Röhler: Ja, auch die Sportler, die zu Beginn noch gar nicht von Corona betroffen waren, haben gesagt: Wir wollen einen fairen Wettbewerb mit den besten Athleten. Aktuell ist es nicht viel ruhiger geworden. Es geht um die Planung der Late Season, die es in der Leichtathletik ab August geben soll. Und es geht um einen finanziellen Ausgleich. Dazu muss erst einmal herausgefunden werden, wie es weltweit überhaupt für den einzelnen Topathleten finanziell aussieht. Da gibt es trotz der Professionalisierung wenige Daten.
Erreichen Sie die Stimmen von Athleten, deren Existenz jetzt ernsthaft bedroht ist?
Röhler: Es scheint diese Fälle zu geben, aber persönlich hat sich noch keiner bei mir gemeldet. Ich bin da aber auch nicht die richtige Anlaufstelle. Ich denke, sobald es die Möglichkeit gibt, entsprechende Anträge zu stellen, wird es den Sportlern leichter fallen, zu sagen: Ich bin existenziell bedroht. Wir müssen dabei aber auch realistisch bleiben: In der Leichtathletik sind viele Sportler Studenten. Sie gehören zur Weltspitze, nehmen aber gar nicht richtig wahr, dass sie über den Sport ihre Existenz aufbauen können. Deshalb nehmen sie auch den Verlust gar nicht wahr. Andere, die vielleicht mit dem gleichen Budget planen wie diese Studenten, das aber professionell tun, werden den Antrag sofort stellen. Ich denke, da wird man einige Sportler an die Hand nehmen müssen. Weltweit sollen rund 500.000 Dollar zur Verfügung stehen. Das ist nicht viel Geld, das wird schnell weg sein.
Wie steht es um Ihre eigene finanzielle Existenz?
Röhler: Toi, toi, toi. Man muss natürlich haushalten. Wenn ich jedes Preisgeld sofort in schöne Dinge investiere, sieht es in so einer Situation schlecht aus. Aber ich habe solide gearbeitet, dank meiner Reichweite, da schließt sich der Kreis zum Beginn unseres Gesprächs, ist die Lage bei mir recht stabil.
Immerhin sind Sie jetzt für mindestens fünf Jahre amtierender Olympiasieger und auf jeden Fall für mehr als zwei Jahre amtierender Europameister.
Röhler: Das ist korrekt. Die EM sollte Ende August in Paris stattfinden, mal sehen, ob die irgendwann nachgeholt wird. Ja, und Olympiasieger für fünf Jahre, das ist definitiv etwas, das in die Geschichte eingehen wird. Aber ich hoffe, dass das nicht so oft vorkommt. Ich wünsche das nicht vielen Sportlergenerationen nach mir