Essen. Thomas Berlemann ist seit 1. April Chef der Sporthilfe. Das Sichern der Athletenförderung ist in der Krise seine größte Herausforderung.

Thomas Berlemann kann es kaum erwarten, endlich wieder Gespräche mit Augenkontakt zu führen. Der 56-Jährige ist Nachfolger von Michael Ilgner als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe. Doch sein Alltag findet wegen der Corona-Krise weitestgehend im Homeoffice statt, Gespräche führt er per Videotelefonie. Dabei brennt der ehemalige Telekom-Manager darauf, endlich die Athleten zu treffen. Mit Richard Schmidt aus dem Deutschlandachter habe er sich schon zum Training verabredet – für die Zeit nach der Krise. Thomas Berlemann schätzt den Kontakt zur Basis, er war selbst Wasserball-Nationalspieler. In seinem neuen Amt hat er nun ambitionierte Ziele.

Herr Berlemann, Sie sind seit 1. April neuer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Sporthilfe. Mitten in der Corona-Krise übernahmen Sie die Verantwortung.

Thomas Berlemann: Ja, als wir die Zusammenarbeit Ende Februar vereinbart haben, da war noch nicht absehbar, dass wir nur sechs Wochen später eine Pandemie haben werden…

Dennoch haben Sie sich der Herausforderung gestellt: Wie haben Sie Ihre erste Zeit bisher erlebt?

Berlemann: Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht und die Situation genutzt, um mich einzuarbeiten, das Team kennenzulernen, so habe ich beispielsweise mit jedem einzelnen Mitarbeiter ein persönliches Videogespräch geführt. Das hat hervorragend funktioniert. So hatte ich einen ganz guten Start.

Nun ist aktuell ein besonderes Krisenmanagement gefragt. Wie ist Ihr Eindruck: Ist die Sporthilfe der Corona-Pandemie gewachsen?

Berlemann: Natürlich ist auch die Sporthilfe momentan nicht im normalen Arbeitsmodus, wir können zum Beispiel wenig persönliche Partnergespräche führen. Aber ansonsten habe ich bisher für die Sporthilfe keine Krise ausmachen können. Das Team ist weiterhin hoch motiviert, die Athleten werden weiterhin hervorragend betreut.

Gerade in schwierigen Zeiten wächst ja auch die Kreativität, um die ungewohnte Lage zu meistern. Erleben Sie das auch?

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Berlemann: Ich erachte es als Chance in dieser Krise, dass wir weniger reisen und mehr virtuell oder digital arbeiten müssen. Mein Herz schlägt einerseits für die Umwelt und andererseits für Effizienz – von daher ist das eine aufregende Sache auf eine neue Art und Weise in eine neue Aufgabe zu starten. So konnte ich zum einen viele Gespräche einfach per Video führen – mit Partnern, aber auch mit Athleten. Das war sehr hilfreich. Zum anderen haben wir als Sporthilfe schnell neue, digitale Formate gefunden, wie wir den Athleten in diesen Zeiten Orientierung bieten können. Ein Beispiel ist der „Sporthilfe Elite-Talk“. Jeden Montagabend stehen hochrangige Persönlichkeiten aus Politik oder Wirtschaft unseren Athleten Rede und Antwort, geben ihnen Input und Inspiration. Das ist eine tolle Sache, die sehr gut angenommen wurde.

In Krisenzeiten ist Vertrauen besonders wichtig. Wie sehen da die Rückmeldungen der Athleten aus? Schließlich ist bei vielen die Grundlage ins Wanken geraten.

Berlemann: Definitiv: Vertrauen ist einer unserer Markenkerne, das Verhältnis zu den geförderten Athleten ist teilweise über Jahre gewachsen. Wir haben ja auch frühzeitig – also noch bevor Olympia verschoben wurde – zugesagt, dass die aktuelle Förderung sichergestellt ist. Das soll nun auch nach der Verschiebung der Spiele ins Jahr 2021 vorzeitig verlängert werden. Daran arbeiten wir und das ist im Sinne der Planungssicherheit für jeden einzelnen Athleten auch sehr wichtig.

Haben Sie da auch persönliche Gespräche gesucht?

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Berlemann: Ich habe mit einer Reihe von Sportlern und beispielsweise Max Hartung, dem Vorsitzenden der DOSB-Athletenkommission, gesprochen, um die Situation an der „Front“ noch besser zu verstehen, und uns im Sinne der Athleten noch besser aufzustellen. Wir haben ja einige Sportler, die in der Situation sind, dass besondere Weichenstellungen für ihre Lebensplanung vorgenommen werden, die zum Beispiel nach diesem Sommer ihre Karriere beenden wollten, schon konkrete Jobangebote hatten. Für sie war es besonders wichtig, frühzeitig zu wissen: Kann ich weiterhin auf die Unterstützung der Sporthilfe setzen? Wir bekommen da gutes Feedback nach dem Motto: Wir sind froh, dass ihr da seid und dass ihr auch so früh eine klare Ansage gemacht habt. Das ist extrem wertvoll.

Was sind aktuell die größten Herausforderungen?

Berlemann: Für die Sommersportler mit Perspektive Tokio wollen wir vorzeitig die Zusage geben, dass auch bis 2021 Planungssicherheit in der Förderung herrscht, daran arbeiten wir mit Hochdruck. Darüber hinaus gab und gibt es aktuell sehr vereinzelt finanzielle Härtefälle, aber da haben wir jeweils gute Einzellösungen gefunden.

Und wie steht es um die Athleten aus dem Wintersport?

Berlemann: Da sind wir gerade auf der Zielgeraden bei unseren Absprachen für den nächsten Förderzyklus. Auch für die Wintersportler werden wir das Förderniveau halten, sodass die Athleten Planungssicherheit für die nächsten Spiele 2022 in Peking haben. Denn wir wollen ja nicht nur, dass unsere Sommer- sondern auch unsere Wintersportler erfolgreich sind.

Wie sehen denn aktuell die Gespräche mit Ihren Partnern aus?

Berlemann: Unser Ziel ist es, in der jetzigen Situation nicht nur die Partner, die wir haben, zufrieden zu stellen, sondern auch jetzt und in Zukunft weitere Partner hinzugewinnen. Denn wir glauben, dass wir in Deutschland einen Auftrag, eine Mission haben. Und wir wollen weitere Partner davon überzeugen, dass es sinn- und wertvoll ist, deutsche Athleten durch die Sporthilfe zu fördern.

Was sind derzeit die Knackpunkte in den Gesprächen mit Unternehmen? Die Corona-Krise hat ja auch die Wirtschaft hart getroffen.

Berlemann: Man muss das in unterschiedliche Welten einteilen. Es gibt Firmen und Branchen in unserem Partnerumfeld, die unter der Situation leiden. Da brechen Umsätze weg und Hilfen werden notwendig. Perspektivisch kann sich das auch auf die Partnerschaften auswirken. Aber momentan haben uns noch keine Hiobsbotschaften erreicht. Wir haben gute und stabile Partner mit oft langfristigen Verträgen, die zur Mission der Sporthilfe und unserem gesellschaftlichen Auftrag stehen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Gewinner der Krise. Das sind Gesprächspartner, zu denen wir in der Vergangenheit vielleicht noch gar keinen Kontakt hatten. Wir müssen uns also überlegen, wer am besten durch die Krise kommt und schauen, ob es da Interesse an einer Partnerschaft gibt.

Welche Branchen sehen Sie da vor allem?

Berlemann: Wenn man allein bei sich selbst beobachtet, welche Inhalte, Services oder Infrastrukturen man konsumiert, erkennt man, welche Anbieter jetzt noch viel bedeutsamer geworden sind, als sie vorher schon waren. Wir reisen zum Beispiel weniger, sitzen aber zu Hause und konsumieren – und solche Unternehmen, gerade aus dem digitalen Sektor oder aus der Technologiebranche, profitieren von der aktuellen Situation. Wenn das Geschäftsleben wieder anläuft, wird es Firmen geben, die schneller wieder Fuß fassen werden als andere und daran richten wir aus, mit wem wir reden und Partnerschaften eingehen wollen.

Das klingt sehr optimistisch. Gibt es denn auch ein Worst-Case-Szenario, einen Punkt, an dem Sie auch entscheiden würden, am aktuellen Fördersystem zu rütteln?

Berlemann: Wir sind als Sportler grundsätzlich Optimisten. Wir wollen die Relevanz der Sporthilfe weiter steigern und denken deshalb lieber an neue Möglichkeiten und Chancen. Von daher wird auch nicht an Grundpfeilern des Fördersystems gerüttelt. Für dieses Jahr ist die zugesagte Fördersumme gesichert. Im vierten Quartal des Jahres werden wir schauen, wie sich das Budget für 2021 gestaltet und die mittelfristige Planung forcieren. Ab dann kann man sehen, wie das Budget nach der Krise aussieht, ob man auf gleicher Höhe ist oder ob man am Förderkonzept etwas ändern müsste. Aber davon gehen wir derzeit nicht aus.

Also müssen sich neben den Athleten der Eliteförderung auch diejenigen, die noch nicht zum Kreise der potenziellen Medaillengewinner bei Olympia zählen, keine Sorgen um ihre Förderung machen?

Berlemann: Grundsätzlich nicht. Wir sind in sehr guten Gesprächen mit unseren Partnern, die die Elite-Förderprogramme unterstützen, die planmäßig nach Olympia auslaufen. Diese wollen wir verlängern und das auch bekanntgeben, sobald es soweit ist. Für Athleten unterhalb dieses höchsten Förderniveaus gibt es keine Notwendigkeit, die Förderungen zu verringern. Nach Tokio kommen die Spiele 2024 und 2028 – da wollen wir mit deutschen Athleten Erfolge feiern, die Nachwuchsförderung liegt uns somit genauso am Herzen.

Der Bund unterstützt die Sporthilfe seit 2019 jährlich mit sieben Millionen Euro. Angenommen die Krise würde sich doch schwerwiegender auf die Sporthilfe auswirken: Haben Sie schon überlegt, erneut Hilfe aus der Politik zu beantragen? Oder haben Sie eher den Anspruch, die Krise aus eigener Kraft zu meistern?

Berlemann: Ganz klar letzteres. Wir sind einerseits dankbar für die Unterstützung, die aus Berlin kommt, nicht nur in der Grundförderung, sondern perspektivisch auch bei der Altersvorsorge der Athleten, die im Sommer starten wird. Andererseits ist es unsere Motivation, unser Ziel, unsere Partnerschaften aus der Wirtschaft auszubauen, um dort weiter an Relevanz zu gewinnen. Unser Anspruch ist es, dass wir deutlich machen, warum es sinnvoll und wertvoll ist, als Unternehmen in die Sporthilfe zu investieren und uns zu unterstützen.

Die Sporthilfe zeichnet sich ja neben der Athletenförderung auch auf Benefizveranstaltungen oder etwa den "Sporthilfe Club der Besten" als gemeinsame Belohnungsreise für Medaillengewinner aus. Wie lässt sich das in diesem Jahr realisieren?

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Berlemann: Ob der "Sporthilfe Club der Besten" stattfinden kann, hängt mit der Frage zusammen, ob man wieder reisen kann. Geplant ist die gemeinsame Urlaubswoche der erfolgreichsten geförderten Athleten für September in Italien. Es ist aber schwer einzuschätzen, ob das realisierbar sein wird. Klar ist allerdings: Wir können mit einer Entscheidung nicht ewig warten und haben für uns einen Zeitrahmen für die Entscheidung festgelegt. Natürlich wäre eine Absage schade, weil es eine bei den Athleten aber auch bei unseren Partnern sehr geschätzte Veranstaltung ist. Neben dieser mehrtägigen Veranstaltung haben wir aber auch noch zwei Eintages-Events – die Verleihung der Goldenen Sportpyramide und die Auszeichnung des Juniorsportler des Jahres. Für beide entwickeln wir parallel Alternativszenarien, sollten die Einschränkungen für Veranstaltungen noch bis in den Herbst verlängert werden.

Die Sporthilfe hat in Ihrem Leben schon früh eine Rolle gespielt – Sie waren Wasserball-Nationalspieler.

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Berlemann: Ich war als junger Sportler extrem stolz und dankbar, als mir 150 Mark im Monat von der Deutschen Sporthilfe überwiesen wurden. Ich war 1983 im erweiterten Kader für Olympia 1984 in Los Angeles. Das Geld war damals ein wichtiger finanzieller Baustein. Aber natürlich gab es damals noch nicht Möglichkeiten, die die Sporthilfe heute bietet. Allein die Angebote zur Planung der dualen Karriere wurden unter meinem Vorgänger und seinem Team extrem weiterentwickelt.

Mit welchen Fähigkeiten wollen Sie sich nun bei der Sporthilfe einbringen?

Berlemann: Ich kenne die Stiftung ja bereits aus der Rolle als Aufsichtsrat der Sporthilfe in meiner Zeit bei der Telekom. Damals hatte ich die Chance, die Sporthilfe aus Förderersicht kennenzulernen. Nun, als Vorstandsvorsitzender, kann ich einiges meiner beruflichen Erfahrung aus der nationalen und internationalen Geschäftswelt in die Weiterentwicklung der Sporthilfe miteinbringen.

Inwiefern? Was sind die nächsten Ziele?

Berlemann: Wir werden einen Plan machen, wie wir die Sporthilfe bis 2028 strategisch voranbringen. Solche Prozesse habe ich auch schon in anderen Firmen als CEO geleitet. Die vergangenen waren erfolgreiche Jahre, aber jetzt kommt die nächste Periode und wir müssen uns fragen: Was sind die Themen, die wir besetzen wollen? Wo wollen wir uns positionieren und wie wollen wir uns insgesamt weiterentwickeln? Diese Gespräche werden wir mit dem Team in den nächsten Monaten führen, um einen Plan zu machen, wie es weitergeht und wie wir relevanter werden. Das kann sich nicht nur in höheren Fördersummen ausdrücken, sondern auch in weiterführenden Angeboten, gerade mit Blick auf Themen wie Digitalisierung und Partnerentwicklung. Unser Ziel bleibt dabei, die Athleten noch besser zu unterstützen als wir es bisher schon getan haben.