Alcaidesa/Frankfurt. Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Sporthilfe, Michael Ilgner, spricht über die Förderung des Spitzensports und emotionale Momente.
Michael Ilgner ist gerade erst von einer besonderen Reise zurückgekehrt. Beim „Club der Besten“ an der Costa del Sol in Südspanien feierte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Sporthilfe gemeinsam mit den erfolgreichsten geförderten Athleten des vergangenen Jahres Titel und Medaillen. Einen emotionalen Höhepunkt erlebte er, als er auf der Bühne die zugeschaltete Kristina Vogel interviewte. Die nach einem Unfall querschnittsgelähmte Bahnrad-Olympiasiegerin ist von ihren Kollegen zur „Besten 2018“ gewählt und ausgezeichnet worden. Bevor für den 47-Jährigen nun wieder der Alltag in Deutschland beginnr, fand er Zeit für ein Gespräch.
Herr Ilgner, vor dem Abflug nach Malaga haben Sie im Flieger ein paar Worte an die Sportler gerichtet. Wie der Pilot. Stimmt es, dass da ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen ist?
Michael Ilgner: Tatsächlich war Pilot mein erster Berufswunsch. Dann kam aber der Konflikt zwischen einer Ausbildung und dem Leistungssport auf. Da ich damals auch das große Ziel hatte, als Wasserballer zu den Olympischen Spielen zu fahren und diese Ausbildung damit nicht vereinbar gewesen wäre, habe ich die Piloten-Pläne wieder ad acta gelegt.
„Hier spricht Ihr Kapitän“ können Sie aber trotzdem sagen – schließlich sind Sie der Anführer der Deutschen Sporthilfe.
Ilgner: Ich sehe mich tatsächlich mehr als Team-Captain denn als reinen Chef. Die Entwicklung der Deutschen Sporthilfe in den letzten Jahren ist das Resultat einer großen Teamleistung. Wir sind schon rein rechtlich als Stiftung kein normales Unternehmen, aber auch die Art wie wir arbeiten – ob untereinander, mit Athleten oder Partnern – das hat mehr von einem Mannschaftssport: und natürlich mit dem Anspruch, ganz vorne zu sein. Im Herzen bin ich eben immer noch Leistungssportler. (lacht)
Kristina Vogel ist von den von der Sporthilfe geförderten Athleten zur „Besten 2018“ gewählt worden. Sie haben gesagt, es fällt schwer, die richtigen Worte für die Anerkennung ihrer Leistung zu finden. Versuchen Sie es doch einmal: Warum ist Kristina Vogel die richtige Siegerin in diesem Jahr?
Ilgner: Kristinas Lebensgeschichte ist schon jetzt einzigartig. Neben ihren großartigen sportlichen Erfolgen mit zwei Olympiasiegen und elf WM-Titeln ist sie auch in anderen Belangen eine absolute Siegerin, nicht erst seit ihrem schweren Unfall. Wie vorwärtsgerichtet sie nun mit diesem Schicksalsschlag umgeht, ist tief beeindruckend. Sie war und ist für alle Athleten ein Vorbild und ein Quell der Inspiration.
Was für Reaktionen haben Sie aus den Gesprächen mit anderen Athleten über Kristina Vogel mitgenommen?
Ilgner: Im Sporthilfe Club der Besten wurde sie in diesem Jahr schmerzlich vermisst, aber die Athleten zeigten Kristina auf unterschiedliche Art und Weise, dass sie weiterhin ein Teil der großen Sportfamilie ist. Und sie freuen sich, dass sie im nächsten Jahr unbedingt wieder beim Club der Besten dabei sein möchte. Als „Die Beste 2018“ ist sie dafür nämlich automatisch qualifiziert.
Was für eine Kraft denken Sie, kann ihr Schicksal und vor allem ihr Umgang damit, entfalten?
Ilgner: Einen solchen Schicksalsschlag steckt man nicht so einfach weg. Wie Kristina aber damit umgeht, wie sie versucht, immer wieder das Positive aus ihrer Situation herauszunehmen, ohne dabei die einschneidenden Veränderungen zu übergehen, das ist sehr bewegend.
Inwiefern kann die Sporthilfe Kristina Vogel derzeit unterstützen?
Ilgner: Als Sporthilfe versuchen wir einfach, für sie da zu sein und ihr im Rahmen unserer Möglichkeiten so gut wie möglich zu helfen. Wir stehen mit Kristina Vogel in regelmäßigem Kontakt, haben sie besucht, helfen ihr so, wie sie es braucht. Über die Sporthilfe ist sie auch versichert, hier müssen wir derzeit die Situation auch hinsichtlich anderer Hilfsfonds und Unterstützungen wie zum Beispiel durch die Bundespolizei klären.
Ist es normal, dass Athleten über die Sporthilfe für solche schweren Unfälle versichert sind?
Ilgner: Das ist ein wichtiger Förderbaustein seitdem es die Sporthilfe gibt, der aber erst mal nicht so sehr im Mittelpunkt steht. Im Idealfall braucht man ihn ja auch nicht. Aber leider kommen solche Unfälle häufiger vor, als man gemeinhin glaubt. Es gibt neben den bekannten Fällen wie Kristina Vogel, dem Handballer Joachim Deckarm oder dem Turner Ronny Ziesmer eine ganze Reihe von Ringern, Boxern, Radfahrern, Trampolinturnern, denen Ähnliches passiert ist.
Was können Sie da tun?
Ilgner: Gerade bei den wenig bekannten Fällen schauen wir, ob der Athlet über die Runden kommt. Da geht es ein Stück weit um Grundsicherung. Dann bewilligen wir auch aus dem normalen Förderhaushalt Gelder, um den Sportler oder die Sportlerin über Wasser zu halten.
Das sind natürlich extreme Fälle. Doch natürlich geht es in erster Linie um die Förderung auf dem Weg in eine erfolgreiche Spitzensport-Karriere. Wie sieht Ihr ideales Förderkonzept aus?
Ilgner: Unser großes Ziel ist es, dass die von uns geförderten Athleten sehr bald im Schnitt 1000 Euro im Monat erhalten. Das ist ein Betrag, mit dem sich ein Athlet besser auf den Leistungssport einlassen kann, ohne in finanzielle Not zu geraten. Davon sind wir aktuell zwar noch ein Stück entfernt, kommen diesem Wunsch aber immer näher.
Wie schaffen Sie das?
Ilgner: Zum einen durch unsere Partner aus der Wirtschaft. An der Spitze unsere fünf großen nationalen Förderer: Deutsche Bank, Deutsche Post, Deutsche Telekom, Deutsche Lufthansa und Mercedes-Benz, zudem eine Reihe weiterer engagierter Firmenpartner mit speziellen Förderschwerpunkten. Hinzu kommen die DFL-Stiftung, die Glücksspirale, die Zuschlagsbriefmarken oder unsere Kuratoren und die vielen Privatspender. So kamen wir im vergangen Jahr auf eine Fördersumme von rund 15 Millionen Euro.
Ein Rekord!
Ilgner: Ja und das ist ein schöner Etappenerfolg. Aber das reicht eben noch nicht. Derzeit unterstützen wir im Schnitt mit rund 500 bis 600 Euro pro Athlet und pro Monat, aber unser nächstes Ziel ist es wie gesagt, auf durchschnittlich 1000 Euro zu kommen.
Wie wollen Sie das erreichen?
Ilgner: Der Haushaltsausschuss des Innenministeriums hat uns für die zweite Jahreshälfte 3,5 Millionen Euro für die direkte Athletenförderung zugesagt. Derzeit besprechen wir die Details der Ausgestaltung. Außerdem sind wir in guten Gesprächen, die Unterstützung für 2019 entsprechend auszuweiten.
Reagiert die Politik angemessen in Sachen Athletenförderung?
Ilgner: Im Sportausschuss des Deutschen Bundestages erhalten wir über Parteigrenzen hinweg große Zustimmung. Aber auch dort mussten wir erklären: Wir reden nicht über weitspringende oder Bobfahrende Multimillionäre, die aus Steuermitteln finanziert werden, sondern über unglaublich leistungsbereite Menschen, die die Gesellschaft bereichern, die Vorbilder sind, und gleichzeitig nur wenige hundert Euro im Monat zur freien Verfügung haben. Wenn wir die nicht behalten und fördern, verlieren wir zunehmend das Gesellschaftsgut Sport.
Was tun Sie von Ihrer Seite?
Ilgner: Wir gehen in allen Bereichen neue Möglichkeiten an, indem wir zum Beispiel die Deutsche Sportlotterie weiterentwickeln und gute Gespräche mit potenziellen neuen Partnern führen. Ich bin zuversichtlich, dass in den nächsten Monaten neue Förderer dazukommen werden.
Ein dicker Fisch?
Ilgner: Es sind alles werte-orientierte Firmen und Institutionen, die sich ohnehin schon für den Sport engagieren. Gute Förderer ziehen eben andere gute Förderer nach sich.
Trotz Ihrer Bemühungen gibt es immer wieder Athleten, die schlechte Verdienstmöglichkeiten im Sport beklagen. Sehen Sie das als Affront?
Ilgner: Nein, im Gegenteil. Wenn Athleten Diskussionen anstoßen, dann bringt uns das die nötige Aufmerksamkeit. Sie sind ein Stück weit auch Sprachrohr für uns, weil sie andere motivieren, sich ebenfalls zu engagieren.
Wie wertvoll sind da Interessensgruppen wie der Verein „Athleten Deutschland“?
Ilgner: Sie sind sehr wertvoll. Es ist großartig, dass Sportler neben der hohen Belastung noch die Zeit finden, sich sportpolitisch im Sinne der aller Athleten zu engagieren. Deshalb bin ich zum Beispiel froh, dass Max Hartung und sein Team sich mit IOC-Präsident Thomas Bach getroffen haben.
Der mehrmalige Fechtweltmeister und weitere Vertreter fordern, dass 25 Prozent der Olympia-Vermarktung direkt an die Athleten gehen. Glauben Sie, dass dieser Austausch mit dem IOC zu etwas führen wird?
Ilgner: Das ist ein dickes Brett, aber nur weil es dick ist, heißt es ja nicht, dass man nicht anfangen sollte, daran zu bohren, vielmehr ist es erst recht ein Grund neue Wege zu suchen. Wie genau sich das dann am Ende auswirkt, das vermag ich noch nicht zu sagen.
Gibt es für Sie bei der Entwicklung neuer Förderkonzepte Vorbilder aus anderen Ländern?
Ilgner: Die eine Blaupause gibt es nicht. Es ist aber immer gut, über den Tellerrand zu blicken und sich mit den Besten zu messen. Wir haben uns zum Beispiel viel mit den britischen Kollegen ausgetauscht und verglichen. Mit der Erkenntnis: Sie kommen finanziell zwar auf sehr gute Fördersummen, Themen wie die Persönlichkeitsentwicklung und duale Karriere stehen dort aber weniger im Mittelpunkt als bei der Deutschen Sporthilfe.
Bausteine, die für Sie selbstverständlich sind?
Ilgner: In Deutschland herrschen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt – glücklicherweise – sehr hohe Anforderungen. Unsere Aufgabe ist es, die Athleten so zu fördern, dass sie sich diesen Anforderungen während und vor allem nach ihrer aktiven Sport-Karriere stellen können – etwa mit unserem Deutsche Bank Sport-Stipendium, Bewerbertrainings, Kurzzeit-Praktika und Netzwerk-Veranstaltungen. Es bringt nichts, wenn wir Athleten rein finanziell fördern und wenn sie 30 sind, müssen sie die Rechnung dafür zahlen, dass sie sich für den Sport entschieden haben. Langfristig würden uns so noch mehr Talente frühzeitig verloren gehen. Das gilt es im Sinne des gesamten deutschen Sports und seiner wichtigen gesellschaftlichen Bedeutung unbedingt zu vermeiden.