Essen/Iten. Marathonläufer Hendrik Pfeiffer wähnte sich in Kenia im Trainingsparadies. Doch die Corona-Krise stellt den Wattenscheider vor schwere Probleme.

Hendrik Pfeiffer ist zum Telefonieren auf den kleinen Balkon vor seinem Hotelzimmer gegangen. Er schaut von hier aus auf das unter ihm liegende Tal. Am anderen Ende der Leitung hört man die Vögel zwitschern. Die Idylle Kenias. Die Landschaft ist wunderschön, doch der 26-Jährige hat keinen Blick mehr dafür. Er will hier einfach nur weg.

Das Lächeln fällt Hendrik Pfeiffer (Mitte) zunehmend schwer: Hier mit seinem Wattenscheider Kollegen Amanal Petros (l.) und seinem kenianischen Trainingspartner Enock.
Das Lächeln fällt Hendrik Pfeiffer (Mitte) zunehmend schwer: Hier mit seinem Wattenscheider Kollegen Amanal Petros (l.) und seinem kenianischen Trainingspartner Enock. © HO

Hendrik Pfeiffer ist Marathonläufer. Er ist nach Kenia gereist, um sich dort auf seine nächsten Rennen, auf seinen ersten Start bei Olympia in diesem Sommer in Tokio vorzubereiten. „Home of Champions“ nennt sich das Camp in Iten, dem Trainingsparadies für Langstreckenläufer aus der ganzen Welt. Hier werden Weltmeister und Olympiasieger geformt. Auf den langen einsamen Pisten mit dünner Höhenluft herrschen perfekte Bedingungen. Eigentlich. Denn seit das Coronavirus die Welt erschüttert, wird es für Europäer wie Hendrik Pfeiffer zunehmend ungemütlicher. Afrika ist – zumindest nach offiziellen Zahlen – von der Pandemie noch relativ wenig betroffen. „Fakenews sind hier ein großes Problem“, sagt der Athlet vom TV Wattenscheid, der in Dortmund Journalistik studiert. „Hier ist ein Großteil der Leute ungebildet, hinzukommen dann reißerische Aufmachungen in den Zeitungen. Die Leute haben Todesangst vor dem Virus. Sie denken, Corona kommt nur von Weißen, und wenn sie es kriegen, dann sterben sie.“

Pfeiffer ist verzweifelt: Kinder drehen sich weg

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Die Folge: Pfeiffer und seine Kollegen werden zunehmend beäugt. Sind sie unterwegs, drehen sich sogar Kinder von ihnen weg, andere schlagen den Kragen hoch, als wären sie hochansteckende Pest-Patienten. Pfeiffer: „Einer von uns war einkaufen und wurde aus Angst nicht bedient – er wurde weggeschickt.“ In Nairobi, erzählte ein anderer Athlet, sei die Stimmung schon aggressiver. Wohlgemerkt: Aktuell besteht bei keinem der rund zehn deutschen Athleten in Kenia der Verdacht, infiziert zu sein.

Als die Nachrichten aus Deutschland sich mehrten, dass die Maßnahmen zum Stopp der Ausbreitung nach und nach verschärft würden, hatte Pfeiffer sogar noch den Plan, die Krise in Kenia auszusitzen. Er fühlte sich sicherer als daheim. Doch die Situation hat sich verändert. Jetzt muss er der Reinigungskraft im Hotel erklären, dass sie sich nicht vor ihm wegducken muss. Diese Reaktionen nähmen gerade „richtig krass zu“, sagt Pfeiffer. „Das finde ich schon beängstigend, und ich habe Sorge, dass es in Feindseligkeit umschlagen kann.“

Acht Stunden zum Flughafen mit dem Taxi

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Ursprünglich sollte das Trainingslager bis Anfang April gehen. Doch seit dem Wochenende versucht Pfeiffer seine Rückreise vorzuziehen – die Hotline der Fluggesellschaft ist dauerbesetzt. Die aktuelle Lösung: Acht Stunden mit dem Taxi nach Nairobi, von dort aus über Uganda nach Deutschland. Sofern es keine weiteren Reisebeschränkungen gibt, sofern die Flüge nicht gestrichen werden. Es sind viele Unwägbarkeiten, aber Pfeiffer nimmt sie auf sich. Er ist frustriert, verzweifelt, das hört man auch am Telefon.

Er sagt: „Was die Stimmung hier extrem drückt, sind die ständigen Eilmeldungen. Es gibt kein anderes Thema mehr als Corona. Die Moral ist am Boden.“ Die Sorge um die Lieben daheim steigt genauso wie die Befürchtung, dass es nicht leichter wird, zurückzukommen. Zumal: Aufgrund der Corona-Krise sind vorerst alle Wettkämpfe, an denen Pfeiffer teilnehmen wollte, abgesagt. Die Motivation für das überaus harte Training ist dahin. „Kenia ist kein Urlaub. Das ist knallhart, es gibt keine Ablenkungsmöglichkeiten“, sagt Pfeiffer. Er fahre nach Iten, weil der Trainingseffekt für ihn dort am größten sei. Aber: „Wenn der keine Rolle mehr spielt, dann ist es wie im Gefängnis. Das kriege ich dann auch nicht mehr verarbeitet.“ Er sagt: „Das schlägt alles so auf die Psyche. Das ist nicht mehr leistungsfördernd für mich.“

„Dein Lebenswerk wird zerstört“

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Im Gegenteil. Pfeiffer schlägt die Situation auf die Gesundheit. Seit Tagen kann er nicht mehr schlafen, sein Rücken verhärtet, zuletzt musste er einen Trainingslauf nach der Hälfte abbrechen. „Ich konnte dann eineinhalb Stunden nach Hause gehen, weil ich natürlich irgendwo in der Pampa stand.“ Mit Schmerzen, die signalisierten: Es macht keinen Sinn mehr. „Ich will hier einfach nur noch raus“, sagt er. Die Anspannung und Sorge vor den nächsten Wochen und Monaten überlagert alles. Sportliche Ziele rücken in den Hintergrund.

Pfeiffer selbst hat noch das Glück, sich im Februar mit einer fantastischen Zeit für die Sommerspiele qualifiziert zu haben – andere wollten dafür das Frühjahr nutzen. Mit Rennen, die nun ausfallen. Doch der Gedanke an Olympia, an die Erfüllung seines Lebenstraums ist für Pfeiffer gerade weit weg. „Ganz ehrlich: Mit einer seriösen Olympiavorbereitung hat das nichts mehr zu tun.“ Und: „Ich kann mir nicht mehr vorstellen, dass Olympia planmäßig stattfindet.“ Er stelle sich darauf ein, „dass es nichts wird, damit der Schmerz nicht noch einmal so groß wird. Das ist dein Lebenswerk, das da zerstört wird.“

Olympische Spiele hätten Beigeschmack

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Selbst wenn Olympia stattfindet: Die Spiele hätten immer den Beigeschmack, dass die Qualifikation nicht mehr fair möglich sei. Das dämpfe die Freude, die eigentlich da sein sollte, noch mehr.

Auch die Ungewissheit schlägt auf die Seele. „Je länger die Krise dauert“, sagt Pfeiffer, „desto schlimmer wird die finanzielle Komponente.“ Es brechen viele Start- und Preisgelder weg. In einem halben, in einem ganzen Jahr „wird es schwierig. Dann muss ich – und es geht einigen anderen auch so – möglicherweise die Karriere beenden.“

In der Idylle Kenias ist für Hendrik Pfeiffer viel Zeit für düstere Gedanken.