Essen. Frank Kowalski war lange für große Leichtathletik-Events zuständig, dann wechselte er in den eSport. Im Interview erklärt er den Reiz.

Frank Kowalski hat mit 55 Jahren noch einmal die Sportart gewechselt. War der Eventmanager zuvor über 20 Jahre zunächst für die Vermarktung und dann für die Planung und Umsetzung von Veranstaltungen des Deutschen Leichtathletik Verbandes (DLV) zuständig, so wagte er Ende 2019 den Wechsel. Er stieg jedoch nicht in eine andere olympischen Kernsportart ein, nein, er entschied sich für etwas völlig Neues. Frank Kowalski ist Geschäftsführer der Global Masters in Gelsenkirchen, dem vom 17. bis 19. Juli in der Arena auf Schalke stattfindenden eSport-Festival. eSport – das ist sportliche Höchstleistung am Controller. Strategisches Denken wird genauso benötigt wie Reaktionsschnelligkeit und Ausdauer. Für Frank Kowalski Faszination genug, eine tiefgreifende Veränderung vorzunehmen.

Frank Kowalski, Geschäftsführer des Globals Masters auf Schalke.
Frank Kowalski, Geschäftsführer des Globals Masters auf Schalke. © dpa

Herr Kowalski, sind Sie ein Zocker?

Frank Kowalski: Sie meinen, ob ich Computer-Spiele spiele? Nein, ich bin überhaupt kein Zocker (lacht). Ich muss in meinem Job nur die verschiedenen Games verstehen – die reichen ja von der Simulation von Sportspielen bis hin zu Strategie- oder so genannten Shooter-Spielen.

Was hat Sie dann zu dem Wechsel von der traditionellen Leichtathletik hin zum noch jungen eSports bewogen?

Kowalski: Es war der Reiz an der jungen Zielgruppe. Glaubt man der Marktforschung, dann spielen 72,4 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen täglich am Computer. Sie sind so gut wie nicht mehr über das lineare Fernsehen zu erreichen. Ich finde es gibt so eine Art Generationenvertrag auch im Sport und der Reiz war groß sich damit zu befassen.

Wie hat sich Ihre Arbeit seitdem verändert?

Kowalski: Von der Großveranstaltung her unterscheidet sich das Global Masters nicht viel von der Leichtathletik-EM. In Berlin haben wir 2018 auch viel digital gearbeitet, um junge Zuschauer zu erreichen. Es gibt viele Eventmechanismen, die sich übertragen lassen vom analogen auf digitalen Sport: Kommunikation, Zuschauerbindung, Management – die Schnittmengen sind schon sehr groß.

Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus?

Kowalski: Momentan geht es um die Prozessplanung. Es gibt viele technische Herausforderungen, zum Beispiel wie genau die Multifunktionsbühne aufgebaut werden kann. Wie Videowalls eingesetzt werden, damit die Spiele von allen Seiten einsehbar sind.

Beim DLV haben Sie sich einen Namen gemacht, weil Sie die Veranstaltungen radikal verändert haben, weil Sie zum Beispiel das Programm bei Deutschen Meisterschaften extrem gestrafft haben. Wie lässt sich das übertragen?

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Kowalski: Die Mechanik ist immer die gleiche: Eine erfolgreiche Veranstaltung trifft immer den Nerv des Konsumenten – und das gilt es zu erreichen. Natürlich ist das Global Masters jetzt eine andere Richtung: Es ist ein Festival, das eSports und Musik verbindet. Die Zuschauer werden den ganzen Tag beschäftigt, sie kommen zusammen, haben Spaß. Das Erstaunliche ist, dass die jungen Menschen zwar offenbar immer nur vor dem Tablet hängen, aber die Marktforschung belegt, dass sie ein unglaubliches Bedürfnis nach Gemeinschaft und Gesellschaft haben. Etwas gemeinsam erleben wollen. Unser Ziel ist es, diese Generation über ein digitales Thema real zusammenzubringen, drei Tage ein Thema zu feiern. Ich habe mal den schlauen Satz gelesen, der das Thema gut trifft: eSports ist nicht die Digitalisierung des Sports, sondern die Versportlichung der Digitalisierung. Und das ist das Entscheidende: Ob wir das jetzt gut finden oder nicht, diese heranwachsende Zielgruppe lebt in diesem Medium.

Ist das Wachstum des eSports eine Gefahr für traditionelle Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen, die ja immer wieder ein Nachwuchsproblem beklagen?

Kowalski: Ich bin überzeugt, dass sich der tradierte Sport mit dieser Form des Sports verbinden wird. Es gibt schon Vereine, die Angebote zum eSports machen, um die Jugendlichen überhaupt in den Verein zu holen, um ihnen dann auch andere Sportangebote zu machen.

Quasi als Türöffner?

Kowalski: Genau. Letztendlich ist es eine Frage der Wertschöpfung: Warum soll sich der tradierte Sport nicht in einem momentan boomenden Sport refinanzieren?

Ist eSport denn Sport im klassischen Sinne?

Kowalski: Das ist eine Frage der Betrachtung: Fragen Sie einen jungen Menschen, ob eSports Sport ist, wird der sagen: Ja! Fragen sie jemanden in meiner Generation, würde eher „nein“ sagen. Die Definition ist schwierig, weil die Diskussion sehr philosophisch ist, man kann man die Linie mit Lineal nicht ziehen. E-sports ist aber definitiv kein olympischer Sport, denn dort gibt es eine scharfe Trennlinie zwischen natürlich und künstlich. Schach gehört dazu, aber auch kein Formel 1 -Sport oder Motorradfahren. Im eSports geht es sogar noch eine Stufe weiter. Hier wird dann die Leistung eines Avatars, eines Abbildes bewertet, und nicht die sportliche Aktivität des Spielers.

Wie reagiert die Sportwelt bisher auf eSport?

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Kowalski: Erstaunlich ist aber, dass der Sport beginnt, seine eigenen Spielregeln aufzuweichen. Fifa und Uefa fangen an, Turniere für eSportler zu veranstalten. Natürlich geht es dabei um Geld. Auch bei den Asienspielen 2022 werden erstmals Medaillen im eSports vergeben. Da merkt man schon, wie sich das Thema vermengen wird. Da ist ein Trend eingetreten, weil der Druck von unten zu groß ist: Wenn man der Marktforschung glaubt, gibt es 30 Millionen Menschen, die mehr oder weniger regelmäßig eSports betreiben.

Welche sportlichen Leistungen vollbringen eSportler?

Kowalski: Bei beiden Arten geht es ja um Leistung – und es ist wirklich unglaublich, was bei eSports an Hochleistungen abgerufen wird. Der Wert des Stresshormons Cortisol ist bei einem eSportler zum Beispiel genauso hoch wie bei einem Fußballer, der einen Elfmeter schießt. Es gibt zudem Gamer, die in einer Minute 400 Bewegungen ausführen.

Strategie, Geschicklichkeit, Reaktionsvermögen – klingt alles nach wichtigen Fähigkeiten. Sind Computerspiele also gar nicht so schlecht wie ihr Ruf?

Kowalski: Offenbar. Das Thema ist in Deutschland tatsächlich aber noch sehr frisch. Andere Nationen sind da schon deutlich weiter. In Norwegen gibt es zum Beispiel Schulen, die eSports als Wahlpflichtfach anbieten: Da geht es nicht um Bespaßung, sondern um die Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten im Sinne von Strategie und Reaktion. Die Skandinavier sind da relativ weit und sehr offen.

Was ist für Sie die größte Herausforderung durch eSports?

Kowalski: eSports ist ein Beispiel für die immense Fragmentierung des Sports. Seine Stärke ist es, sich über eine junge Zielgruppe und mit viel Marketinggeld entwickeln zu können. Er zeigt aber auch, dass man klug agieren muss. Es geht nicht mehr um Verwaltung, sondern um Gestaltung. Um kluges Marketing und darum, seine Stärken weiter auszubauen. Die Konkurrenz für den traditionellen Sport ist groß – was heute allein an internationalem Sport wie Basketball mit der NBA oder Football mit der NFL zu konsumieren ist, das war vor 20 Jahren noch gar nicht denkbar. Davon können auch viele tradierte Sportarten lernen. Für die Zukunftsentwicklung und das Dasein der Verbände ist es wichtig, sich weiterzuentwickeln. Es gibt da bereits tolle Beispiele: Die Handball-WM in Deutschland hat zuletzt einen großen Gewinn vereinnahmt, hat die eigene Qualität des Verbandes gestaltet – und war ein großer Erfolg.

Wie wichtig ist in Zukunft noch das Prädikat Olympia?

Kowalski: Unglaublich, weil es die große Triebfeder für den Athleten ist. Das ist das höchste Ziel und motiviert viele, kann ganze Karriere beeinflussen.

Bleibt das auch in der Daddel-Generation so?

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Kowalski: Unsere Gesellschaft sortiert sich unglaublich stark aus. Bei denen, die den olympischen Gedanken auch unter den jüngeren erkennen wird Olympia auch weiterhin Strahlkraft besitzen. Aber viele erkennen den Olympia-Gedanken gar nicht mehr. Meine Beobachtung ist, dass der Leistungsgedanke deutlich stärker ausgeprägt ist. Früher ging es darum, sich selbst zu verbessern, Bestleistungen zu erzielen. Heute ist es so, dass gerade im jungen Bereich die breite Masse schnell mit einer Sache aufhört, wenn sie nicht gewinnt. Dann fragen sich die jungen Menschen oft: Wo ist der Nutzen für mich? Das ist eine ganz andere Logik im Sport. Deshalb gibt es auch überall Nachwuchsprobleme. Viele machen mehrere Sachen ein bisschen.

Wie sieht die Zukunft des Sports denn aus?

Kowalski: Bei all den weltweiten Veränderungen ist der Sport mit einer solchen Kraft ausgestattet, die teilweise eher stärker als schwächer wird. Der Sport spielt weiterhin eine große Rolle in der Gesellschaft, weil es mit Leistung zu tun hat und mit Identifikation. In vielen Gesellschaften gibt es eine große Sehnsucht nach Identifikation – Stichwort Brexit – und der Sport bietet das.

Sind Sie in Ihrem neuen Job eine Bedrohung für die Leichtathletik?

Kowalski: Nein. So würde ich es überhaupt nicht formulieren. Ich bin nicht weggelaufen, ich habe nur eine andere Funktion und Tätigkeit. Ich kann mir immer wieder vorstellen mit den werthaltigen Erfahrungen aus der digitalen Welt in den tradierten Sport zurückzukehren. Ich bleibe mit Herzblut Leichtathlet, ich widme mich nur einem anderen Berufsfeld, einem anderen Thema. eSports ist keine Bedrohung, eher Konkurrenz. Wie alles im großen Markt. Dort setzen sich immer die schnelleren und besseren durch. Deswegen postuliere ich in alle Richtungen: Professionalisiert euch auf allen Ebenen. Es heißt ja nicht, dass eSports sich von heute auf morgen durchsetzt. Er geht aber noch mehr in den Bereich Entertainment. Im Kampf um Aufmerksamkeit kann das ein Vorteil sein. Qualität und Emotionalität sind es letztlich, die sich beim Konsumenten durchsetzen.