Essen. Die Technik macht gravierende Veränderungen im Sport möglich. Doch werden sie auch tatsächlich kommen? Experten blicken in die Zukunft.
2019 ist Geschichte. Mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit wird die Welt sich aber trotzdem weiterdrehen. Auch die des Sports. In zwölf Städten wird 2020 die Fußball-Europameisterschaft stattfinden. Und das neue Jahr ist auch ein olympisches. In Tokio werden im Sommer die Medaillen vergeben. In Japans Hauptstadt wird es wieder Veränderungen geben. Neu im Kanon sind junge Sportarten wie Skateboarden, Sportklettern und Surfen.
Wie die nahe Zukunft aussehen wird, wissen wir. Aber was kommt danach? Wird es auf ewig eine Fußball-Bundesliga geben? Wird sich sich Olympia noch lohnen? Fünf Thesen zur Zukunft des Sports.
Der Wettkampf bleibt – nur seine Erscheinungsformen ändern sich
2018 haben bei den European Championships erstmals sieben Europameisterschaften zeitgleich stattgefunden. Die der Leichtathleten in Berlin, sechs weitere in Glasgow. 2019 fanden zehn Deutsche Meisterschaften zeitgleich in Berlin statt. Multi-Sport-Events nennt sich das. Mit dieser Art von Veranstaltung „trifft man einen Nerv“, sagt Frank Kowalski. Der 55-Jährige hat über 20 Jahre für den Deutschen Leichtathletik-Verband gearbeitet, war 2018 Geschäftsführer der EM in Berlin. Er hat in seiner Zeit viele Innovationen vorangetrieben, um dem angestaubten Image einen frischen Anstrich zu verleihen.
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Seit einigen Monaten hat Kowalski einen neuen Job. Er ist Geschäftsführer des Global Masters. Das weltweit größte eSport-Festival wird im kommenden Jahr in der Arena auf Schalke stattfinden. Kowalski hat den Sprung vom traditionellen zum digitalen Sport gewagt. Er ist überzeugt, dass sich „der tradierte Sport mit dieser Form des Sports verbinden wird. Es gibt schon Vereine, die Angebote zum eSports machen, um die Jugendlichen überhaupt in den Verein zu holen, um ihnen dann Sportangebote zu machen.“
Auch Sascha Schmidt (48), Professor an der Otto Beisheim School of Management (WHU) in Düsseldorf, glaubt an so eine Zukunftsperspektive. Vor allem im Fußball. „Einige Vereine wie der FC Schalke sind frühzeitig in den eSport eingestiegen. Gemeinsame Wettbewerbsformen sind insbesondere bei den Fußballsimulationen Fifa oder PES denkbar“, sagt der Direktor des „Center for Sports and Management“ an der WHU. Denkbar wären Formate, bei denen erst virtuelle, dann reale Mannschaften gegeneinander spielen. „Das könnte ein sinnvolles Experiment im Amateurbereich sein.“
Mit Blick auf die Bundesliga ergeben Schmidts Forschungen: Ihre Bedeutung bleibt groß. „Es werden immer noch 18 Mannschaften einen Meister ausspielen – nur: In welcher Form das passiert, das wird sich zeigen.“ Ob Roboter dabei sind, als Teammitglieder oder als Gegner – alles ist denkbar.
Sportkonsum wird digitaler – im Stadion und auf dem Sofa
Beim Blick in die Zukunft rückt die sogenannte „Generation Z“ in den Fokus. Dazu gehören junge Menschen, die zwischen 1997 und 2009 geboren wurden. Diejenigen also, die zwischen zehn und 22 Jahre alt sind. Sascha Schmidt hat diese Generation in seiner „Zukunftsstudie Bundesliga-Konsum“ befragt, wie sie die erste deutsche Fußball-Liga erlebt. Das Ergebnis: Zum einen wird das Streaming immer relevanter – ein wichtiger Punkt für Sender wie Dazn und Amazon, die erfolgreich in den Kampf um Übertragungsrechte eingestiegen sind. Auch die Deutsche Fußball-Liga reagiert bereits auf diese Entwicklung, arbeitet an einem Kamera-Format in 9:16 – das entspricht dem Hochformat des Smartphone-Bildschirms.
Doch es gibt auch Hoffnung für das lineare Fernsehen. „Beim gemeinsamen Fußballgucken ist es noch immer beliebt“, sagt Schmidt. Jedoch: „Ein Drittel der Befragten nutzt parallel einen zweiten Bildschirm: um sich Zusatzinformationen zu beschaffen, oder um Social Media für Interaktionen zu nutzen.“
An Stelle des zusätzlichen Bildschirms könnte künftig die Datenbrille rücken. Schmidt: „Noch sind die Modelle groß und klobig, aber in absehbarer Zeit werden sie die Anmutung einer normalen Brille haben.“ Diese bequeme Variante könnte auch das Stadionerlebnis beeinflussen. Voraussetzung für digitale Echtzeitinfos: flächendeckend schnelles Internet mit 5G-Standard.
Technik wird den Sport verändern – die Maschinen sind schon da
Sascha Schmidt ist sich sicher: „Zukunftstechnologie wird sich deutlich auf den Sport auswirken.“ Das wird schon am Beispiel des Fußballs deutlich. Dort zeichnet sich längst das Phänomen „zweiter Lieblingsklub“ ab. Wie viele BVB-Fans verfolgen auch Jürgen Klopp beim FC Liverpool? „In dem Zuge wird die Hologramm-Technologie immer wichtiger“, sagt Schmidt und erklärt: „Warum sollte das Champions-League-Finale nur in einem Stadion stattfinden, wenn dank dieser Technik in 200 weiteren Stadien auf der Welt Fans zusammen das Spiel anschauen können? Rein technisch wird das bald möglich sein.“ Rudelgucken der Zukunft.
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Technik wird sich aber auch auf Spiel und Athleten auswirken. „So ist es natürlich denkbar, dass Menschen gegen humanoide Roboter spielen – oder mit ihnen.“ Auch Roboter-Schiedsrichter wären eine Variante, um nicht mehr vom Urteils- und Wahrnehmungsvermögen menschlicher Schiedsrichter abhängig sein zu müssen.
Ebenso ist der Einsatz von leistungssteigernder Technik laut Schmidt denkbar. Wie Exoskelette – mechanische Hilfen von außen. Die Spieler hätten dann künstlich verstärkte Beine, Arme oder ganze Rüstungen. „Über diese maschinelle Unterstützung ließe sich auch die Leistung im Sport steigern.“
Im Training werden erste technische Errungenschaften längst eingesetzt. Die Datenanalyse ist nicht mehr wegzudenken. Möglich sei sogar bei Trainingsspielen der Einsatz von „humanoiden Robotern, die genau darauf achten, beispielsweise einen angeknacksten Knöchel nicht zu belasten“, erklärt Schmidt.
Der Fan bleibt ein wichtiger Faktor
Ob Roboter-Mannschaften, gläserne Sportler oder digitale Stadionbesuche – am Ende entscheidet der Fan. Davon ist Sascha Schmidt überzeugt. Selbst die Klubs, glaubt er, könnten die Fans dank neuerer Technik noch weiter in den Fokus rücken. „Durch die sogenannte Blockchain-Technologie haben Klubs eine neue Möglichkeit, um Mitgliederbefragungen durchzuführen, da durch sie sichergestellt wird, dass jeder nur einmal abstimmt. Das könnte zu einer Demokratisierung des Sports führen.“
Der Reiz von Olympia bleibt – Die Zukunft birgt aber auch Gefahren
Wenn die Welt doch immer digitaler und die Angebote immer individueller werden – lohnt sich dann überhaupt noch das Festhalten an einer universalen Größe wie Olympia? „Großereignisse werden genauso wie der Stadionbesuch interessant für die Fans bleiben“, sagt Schmidt. „Olympia wird seine Strahlkraft nicht verlieren.“
Dabei hatte Olympia es zuletzt schwer. Dopingskandale und Korruption haben den Glauben in den Sport erschüttert. Frank Kowalski sieht aber eine andere Gefahr. Angesichts der sich massiv verändernden Welt müssen „die Verbände aufpassen, weiterhin im Boot zu bleiben“.
Wenn Agenturen die Organisation übernehmen, wird zur zentralen Frage: Wer entscheidet, wer mitmachen darf? „Es ist nicht mehr der Sport, sondern es sind die Agentur und das Fernsehen“, sagt Kowalski. „Der Olympische Sport läuft Gefahr, seine Autonomie zu verlieren.“