London. Alexander Zverev ist in Wimbledon krachend gescheitert. Nach der Pleite gegen Jiri Vesely gab er einen tiefen Einblick in sein Seelenleben.
Man musste Schlimmes befürchten, als Alexander Zverev am Montagnachmittag auf dem neu überdachten Showcourt 1 im All England Lawn Tennis Club zu seinem Erstrundenmatch aufschlug. Sechs deutsche Profis – zwei Damen, vier Herren – hatten vor dem 22 Jahre alten Hamburger ihre Auftaktauftritte in Wimbledon gehabt, nicht einer von ihnen hatte auch nur einen Satz gewinnen können. Furchtbare Vorzeichen waren das, und dennoch: Die 6:4, 3:6, 2:6, 5:7-Niederlage gegen den Tschechen Jiri Vesely (25), mit der sich um 17.44 Uhr Ortszeit auch Deutschlands Topspieler viel zu früh vom dritten Grand-Slam-Turnier der Saison verabschiedete, war zweifelsohne eine Überraschung. Und für den Weltranglistenfünften ein Debakel, das sich nahtlos in seine Achterbahnsaison 2019 einreiht.
Die Erklärung, die Zverev nur 20 Minuten nach Matchende in der Pressekonferenz präsentierte, gab einen tiefen Einblick in sein aktuelles Seelenleben. „Mein Selbstvertrauen ist gerade unter Null. Es sind in den vergangenen beiden Tagen Dinge passiert, die ich nicht beeinflussen kann, die mir sehr weh getan haben und mein Leben sehr schwer machen“, sagte er. Ohne den Namen seines Managers Patricio Apey zu nennen, erklärte er: „Ein Mensch, von dem ich dachte, er wäre mein Freund, mit dem ich über Jahre zusammengearbeitet habe, tut alles, um mir zu schaden. Sie können sich nicht vorstellen, was gerade passiert. Was da gerade los ist, ist abartig.“
Streit mit Manager um Millionensummen
Im März war bekannt geworden, dass sich Zverev nach dem Gewinn des ATP-WM-Titels im November 2018 mit Apey, der ihn seit 2012 zu einer globalen Marke aufbauen wollte, zerstritten hatte. Mittlerweile ist der Streit aktenkundig, es geht um mindestens hohe einstellige Millionensummen, die es kosten würde, den bis 2023 datierten Kontrakt vorzeitig aufzulösen. Am Montag hatte die britische Tageszeitung „Telegraph“ berichtet, dass in London, das als Standort von Apeys Managementfirma ACE Group als Gerichtsort fungiert, erst im Herbst 2020 verhandelt werden kann. So lange ohne Management im Spitzentennis aktiv sein zu müssen, kann eine Karriere kosten.
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Schon in den ersten Monaten nach der Trennung musste Zverev erfahren, wie hart es ist, plötzlich alles selbst organisieren und zusätzlich noch einen Rechtsstreit führen zu müssen. Zwar hilft Bruder Mischa, wo er kann. Der 31-Jährige, der am Montag in drei Sätzen am Belgier Steve Darcis scheiterte, hat aber auch noch seine Profikarriere zu meistern und sich um seine eigene Familie – Sohn Mischa junior war im September 2018 zur Welt gekommen – zu kümmern.
Trainer Lendl sitzt meist regungslos in der Box
Dazu kommt der interne Zwist im Trainerteam. Bei den French Open in Paris, wo Zverev das Viertelfinale erreicht hatte, war die Absenz seines Honorar-trainers Ivan Lendl, der offiziell wegen einer Pollenallergie den europäischen Frühling meidet und deshalb fehlte, ein großes Gesprächsthema. In London saß der 59-Jährige – meist regungslos – in der Box, dafür fehlte Zverevs Vater Alexander senior, der sich im heimischen Haus in Hamburg von den Folgen eines Krankenhausaufenthalts erholt. Verständlich, aber sicherlich nicht förderlich für das Fortkommen des Sohnes. Begründet liegt das Hin und Her darin, dass Vater Zverev das Kompetenzgerangel mit Lendl leid ist und seine Rolle im Trainerteam infrage gestellt hat.
Trotz all dieser Störfaktoren hätte Zverev die Partie gegen Vesely nicht verlieren müssen. „Ich hatte genug Chancen, aber ich habe zu viele leichte Fehler gemacht, und er hat überragend aufgeschlagen und returniert“, sagte der Daviscupspieler. Noch nie seit seiner Premiere 2015 war er in Wimbledon in Runde eins gescheitert, zuletzt war ihm dies bei einem der vier Majorturniere 2017 in Paris passiert. Und als er im ersten Satz seinen ersten Breakball zum 6:4 nutzte, sah auch alles nach einem erfolgreichen Auftakt aus.
Zverev verliert seine Linie
Zverev servierte stark, schlug allein im ersten Durchgang neun seiner insgesamt 24 Asse, gewann 17 von 18 Punkten bei erstem Aufschlag und wirkte dominant, wie man es von einem Weltranglistenfünften erwartet. Doch dann war es ein simpler Aufschlagverlust im zweiten Satz zum 3:4, der alles veränderte. Zverev verlor seine Linie, ließ sich von Veselys stoischer Ruhe verunsichern. Der Aufschlag war keine Waffe mehr, am Netz unterliefen ihm reihenweise leichte Fehler.
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Zur Wahrheit eines bitteren Tages gehörte auch, dass Vesely trotz seines Weltranglistenplatzes 108 keineswegs als lockerer Sparringspartner einzuschätzen war. Auf Rasen ist der Tscheche, der mit zwei Jahren mit seiner Familie nach Deutschland zog und bis Klassenstufe sechs in Göttingen und Wolfsburg zur Schule ging, mit seinem starken Aufschlag und dem guten Serve-and-volley-Spiel ein harter Gegner.
Vesely siegt nach 2:31 Stunden
„Ich habe ein unglaubliches Match gespielt, ich wollte ihn unter Druck setzen, das hat sehr gut geklappt. Nach dem ersten Satz habe ich mir gedacht, dass ich nichts mehr zu verlieren habe. Nach der 2:1-Satzführung war der Druck dann bei ihm“, sagte der 25-Jährige. Zwar stemmte sich Zverev im vierten Satz gegen das drohende Aus, konnte aber Veselys konstanten Service nicht brechen. Ein Rückhandvolley ins Netz beerdigte nach 2:31 Stunden die letzte Hoffnung auf eine Wende.
Fraglos dürfte das fatale Erstrundenaus die Diskussionen um Zverevs Schlingerkurs in der Ausrichtung seiner Karriereplanung erneut anfachen. Dazu beitragen wird der strauchelnde Hoffnungsträger der „Next Generation“ zunächst nichts weiter. „Ich werde die nächsten Tage frei machen und irgendwo hinfahren, wo mich niemand erreichen kann“, sagte er.