Essen. Sebastian Vollmer hat mit den New England Patriots zweimal den Super Bowl gewonnen. Im großen Interview schildert er seine Erfahrungen.

Wenn Sebastian Vollmer (34) an seine zwei Super-Bowl-Siege mit den New England Patriots zurückdenkt, dann fallen ihm zuerst die Momente nach der Pokalübergabe ein. "Dann sieht man die Familie, gibt der Frau einen Kuss - man ist am Ziel seiner sportlichen Träume", sagt der ehemalige Football-Profi. Vor dem 53. Super Bowl zwischen Vollmers Ex-Klub New England und den Los Angeles Rams am Sonntag, 3. Februar (22.45 Uhr, live bei ProSieben), blickt Vollmer (bei Instagram @vollmerseb erreichbar) als zurück.

Wo liegen Ihre Super-Bowl-Ringe?

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Sebastian Vollmer: Die sind weggeschlossen. Die ziehe ich nur an, wenn ich beim Fernsehen oder bei Wohltätigkeitsveranstaltungen bin – eben wenn die Leute sie sehen möchten. Die Dinger sind sehr pompös. Der Gegenstand symbolisiert die jeweilige Saison – ob ich ihn jetzt anschaue oder nicht, gibt mir keinen Mehrwert.

Die Super-Bowl-Woche beginnt nicht erst am Spieltag. Jede Mannschaft reist schon eine Woche vorher an. Wird die Woche auch mal langweilig?

Vollmer: Für mich war sie nervend. Es ist, statistisch gesehen, das einzige Mal, dass man die Chance hat, Meister zu werden. Ich wollte mich persönlich so gut wie möglich auf das Spiel vorbereiten. Im Hotel zu sein hat mich gar nicht gestört. Man ist dort abgeschottet, wird nicht abgelenkt – nur von den Pressekonferenzen. Ja, ohne Fans und Medien gäbe es das Spiel nicht. Auf der anderen Seite ist man aber eigensinnig, möchte mehr trainieren oder Massagen machen – anstatt Fußball mit einem Reporter zu spielen. Oder dass einer möchte, dass man in einem Frauenkostüm tanzt. Das ist teilweise nicht mehr seriös, sondern nur Halligalli. Erst jetzt bringen mich diese Erinnerungen zum Schmunzeln.

Bodyguard: Bei den New England Patriots sorgte Sebastian Vollmer (Nr. 76) dafür, dass Quarterback-Legende Tom Brady (r.) in Ruhe passen konnte.
Bodyguard: Bei den New England Patriots sorgte Sebastian Vollmer (Nr. 76) dafür, dass Quarterback-Legende Tom Brady (r.) in Ruhe passen konnte. © imago

Wann geht es am Spieltag selbst los?

Vollmer: Relativ früh morgens. Man versucht, die Routine beizubehalten, auch wenn das Spiel erst am Abend beginnt. Das heißt: Wer während der Saison zwischen 5 und 6 Uhr frühstückt, fängt auch beim Super Bowl so früh an. Danach gibt es ein Team-Meeting, in dem Kleinigkeiten besprochen werden. Die Stimmung in der Mannschaft ist beim Super Bowl etwas ernster. Alle sind mehr in sich gekehrt. Normalerweise wird auch viel Spaß gemacht, wenn 50, 100 Leute in einem Raum sind. Beim Super Bowl kommt jeder um 6 Uhr schon mit dem Kopfhörer. Nach dem kurzen Team-Meeting verziehen sich alle aufs Zimmer, gucken einen Film, sehen noch einmal die Notizen durch. Nach dem Mittagessen geht es los. Sobald der Bus im Stadion zweieinhalb, drei Stunden vor dem Kick-off ankommt, geht alles Schlag auf Schlag. Man hat eine große Leinwand in der Kabine, auf der alle Zeiten ganz genau stehen.

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Gibt es noch letzte taktische oder motivierende Ansprachen?

Vollmer: Mein Trainer Bill Belichick hat immer gesagt, auch in der regulären Saison: ,Wenn ich Euch für ein Spiel motivieren muss, dann seid ihr im falschen Beruf. Ich bin Trainer, kein Motivations-Spezialist.‘ Man hat beim Super Bowl nur eine ganz kurze Besprechung, 30 Sekunden vielleicht, oder eine Minute. Während des Warm-ups vor dem Spiel kann man gucken, ob es in der Aufstellung des Gegners eine Änderung gibt, vielleicht humpelt ja einer. Danach sagt dann vielleicht nur einer der Kapitäne zwei, drei Worte, bei uns zum Beispiel Tom Brady. Man muss eher aufpassen, nicht übermotiviert zu sein, nicht zu viel Energie während des Tages zu verblasen. Wenn der Kick-off kommt, fließt die Energie durch alle Spieler. Das ist ein einmaliges Erlebnis.

Der Entertainment-Faktor ist hoch. Superstars singen vor dem Spiel die Nationalhymne, die Show in der Halbzeit ist weltberühmt. Stört das?

Vollmer: Das sind zwei unterschiedliche Dinge. Die Nationalhymne wird vor jedem NFL-Spiel gesungen. Und sobald man den Sound hört, kribbelt der Körper. Man weiß, dass es in drei Minuten losgeht. Ein Adrenalinschub kommt, manche hüpfen schon. Dann ist es auch relativ egal, wer da singt – ob es ein Kinderchor ist oder Lady Gaga. Das ist für die Spieler relativ uninteressant.

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Und die Halbzeit-Show?

Vollmer: Die muss man geprobt haben. Das haben wir bei den Patriots auch gemacht während des Trainings. Die reguläre Halbzeit während der Saison dauert zwölf Minuten – während des Super Bowls sind es 30, 35 Minuten. Normalerweise läuft man in die Kabine, erledigt dort zwei, drei Minuten persönliche Dinge, hat eine kurze Besprechung – und läuft dann wieder zurück aufs Feld, hüpft zwei-, dreimal – und es geht weiter. Beim Super Bowl geht man in die Kabine, macht seine Dinge, hat das Meeting, dann sind aber erst zehn Minuten um und man hat noch 20, 25 vor sich. Die Gefahr ist, dass man sich hinsetzt, und dann ausgekühlt wieder rausgeht. Man schwitzt dann gar nicht mehr. Wir hatten deshalb richtige Aufwärmaktionen in der Umkleide. Wir standen in Reih und Glied, sind auf der Stelle gelaufen, haben uns gedehnt, Kniebeugen gemacht. Vom Gesang bekommt man in den Katakomben gar nichts mit. Vielleicht hört man hier und da den Bass. Ich wusste immer gar nicht, wer überhaupt gespielt hat.

Haben Sie sich hinterher die Halbzeit-Shows denn mal angeschaut?

Vollmer: Ich habe mir alle Spiele, die ich gespielt habe, bestimmt 10-, 20-mal angeschaut, um sie zu analysieren – aber nie den Super Bowl. Und das aus zwei Gründen: Erstens war für mich die Saison mit dem Super Bowl gelaufen und zweitens will ich die Erinnerungen so behalten, wie ich sie auf dem Feld empfunden habe.

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Ist denn die Kabinenparty nach einem Super-Bowl-Sieg wirklich legendär?

Vollmer: Nein, in der Umkleide passiert nichts. Man fällt sich in die Arme, klar, doch das Business kommt schnell. Man wird untersucht vom Arzt, muss unterschreiben, dass man sich nicht verletzt hat, damit alle rechtlich abgesichert sind. Wenn das geregelt ist, kommen die Interviews. Erst die Party am Abend kann sich sehen lassen. Die ist aber nicht legendär, weil sich alle besaufen – es ist einfach das letzte Mal, dass das Team in dieser Besetzung zusammen sein wird. Wenn man Geschichte geschrieben hat, möchte man das Jahr mit seinen Freunden Revue passieren lassen. Man möchte endlich mal ein Bierchen trinken, kann sich gehen lassen, die Zeit genießen. Man ist dann bis 6, 7 Uhr wach – und das war’s dann. Um 8 Uhr geht der Flieger, die Saison ist vorbei.

Aber es gibt doch noch die Parade in der Heimatstadt.

Vollmer: Ja, die ist normalerweise am Dienstag. In Boston stehen dann 1,5 bis zwei Millionen Menschen morgens um 10, 11 Uhr bei minus zehn Grad, trinken Bier, feiern, schmeißen Schnäpse auf den Bus. Anscheinend arbeitet dann keiner in Boston, alle stehen am Straßenrand. Das ist ein Wahnsinnserlebnis.

Sie haben gesagt, dass sie für immer Schmerzen haben werden. Hat sich der Aufwand gelohnt, wenn sie an den Super Bowl zurückdenken?

Vollmer: Das hat nichts mit dem Super Bowl zu tun. Ich sage nicht: Wenn ich nicht zweimal den Super Bowl gewonnen hätte, hätte sich das nicht gelohnt. Es sind andere Erinnerungen, die ich wertschätze –Dinge, die mich der Football gelehrt hat, die mir Bill Belichick mitgegeben hat. Freunde wie Tom Brady oder Nate Solder, die ich gewonnen habe. Ich saß in der Umkleide sieben, acht Jahre neben Nate – und das 15, 16 Stunden am Tag. Außerdem muss ich damit leben, dass ich jeden Tag Schmerzen habe. Mir war klar, dass jeder Kontaktsport seine Schattenseiten hat. Irgendwann hätte ich ja sagen können: Es reicht. Habe ich aber nicht. Zudem geht es mir gut. Ich kann alles mit meinen zwei kleinen Kindern machen, habe viel in meine Gesundheit investiert.

Was verbinden Sie mit Ihrem ersten Super-Bowl-Sieg – den entscheidenden Spielzug oder etwas anderes?

Vollmer: Das Jahr davor war für mich verletzungsmäßig sehr schwierig. Und dann kommt das Konfetti runter, ich finde auf dem Platz meine Familie, kann meiner jetzigen Frau einen Kuss geben – dann ist man am Ziel seiner sportlichen Träume angelegt.

Sie kehren als TV-Experte oder Fan immer wieder zum Super Bowl zurück. Kribbelt es immer noch?

Vollmer: Ja. Ich war achtmal beim Super Bowl, dreimal davon aktiv. Als Spieler an der Seitenlinie zu stehen, wenn die Hymne kommt - das kann man nicht überbieten. Aber auch wenn man auf der Medienseite steht, steigt das Adrenalin, man bekommt schwitzige Hände und Schnappatmung.