Köln. 1998 war Daniel Stephan Welthandballer des Jahres. Im WM-Interview verrät er, dass er Verbesserungspotenzial im deutschen Team sieht.
Daniel Stephan freut sich über den Halbfinaleinzug der deutschen Handballer bei der WM. Der gebürtige Duisburger, Welthandballer 1998, Olympiazweiter 2004 und EM-Zweiter 2002, erkennt deutliche Veränderungen im deutschen Team und bei Bundestrainer Christian Prokop im Vergleich zur misslungenen EM im vergangenen Jahr. Doch der 45-jährige Ex-Profi sagt auch: “Es gibt noch Verbesserungspotenzial.”
Herr Stephan, die deutsche Nationalmannschaft steht im Halbfinale. Hätten Sie damit gerechnet?
Daniel Stephan: Ehrlich gesagt: nein. Ich habe immer gesagt, dass sich die ganze Geschichte in zwei Richtungen entwickeln kann: In eine destruktive, wenn es schlecht läuft. Und in eine erfolgreiche, wenn wir gut in die Spiele starten und die Zuschauer eine Euphorie entfachen. So kam es auch. Gerade die Anfangsphase mit dem Auftaktspiel gegen Korea und diesem dominanten Sieg gegen Brasilien hat einiges bewirkt. Bei den Zuschauern, aber auch bei den Spielern, die mächtig Selbstvertrauen getankt haben.
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Was ist die große Stärke des deutschen Teams?
Stephan: Die Abwehr ist einfach überragend. Obwohl - überragend ist eigentlich das falsche Wort, da müssten andere Superlative her. Patrick Wiencek, der Kämpfer, und Hendrik Pekeler, der Stratege, halten die Deckung zusammen. Es ist wirklich bemerkenswert, wie die beiden da zu Werke gehen und die restliche Mannschaft mitziehen. Zudem hat Torwart Andreas Wolff gegen Kroatien sehr wichtige Bälle gehalten. Gegen Island im Spiel zuvor hatte er zehn Minuten lang mal nichts gefangen, aber dafür danach wieder spektakuläre Paraden gezeigt.
Und wo hakt es noch?
Stephan: Abwehr und Torhüterbereich - da sind wir einfach führend. Sie sind der Grund, warum wir im Halbfinale stehen. Das kaschiert momentan unsere Schwächen im Angriff, da gibt es noch Steigerungspotenzial. Klar, bei der derzeitigen Euphorie werden kaum kritische Worte gesprochen, aber dass im Angriff viele technische Fehler vermieden werden können und die Treffsicherheit manchmal nicht die beste ist, hat man wieder gegen Kroatien gesehen. Im Tempogegenstoß tun wir uns auch schwer. Aber der Einzug ins Halbfinale trotz dieser vermeintlichen Schwächen, an denen man noch arbeiten kann - das ist doch toll.
Für Spielmacher Martin Strobel ist das Turnier durch seinen Kreuzbandriss beendet. Eine große Schwächung?
Stephan: Ja. Er ist der Stratege, der Ruhige, der alles zusammenhält. Bei ihm weiß man eben, was man hat. Bei anderen Spielern wie Fabian Wiede und Paul Drux ist das Leistungsniveau von ganz oben bis unten offen. Ein Kreuzbandriss ist natürlich ein Schock, für Strobel selbst und für die Mannschaft. Große Alternativen gibt es nicht, mit Tim Suton kommt nun der logische Ersatz. Er wird nicht sofort helfen können, aber er hat die Lehrgänge alle mitgemacht, kennt Mannschaft und Systeme und kann sich gegen Spanien am Mittwoch einfinden. Aber von ihm dürfen wir jetzt nicht zuviel erwarten.
Welcher Spieler hat Sie bisher überrascht?
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Stephan: Linksaußen Uwe Gensheimer spielt bisher eine geile WM, auch wenn er gegen Kroatien viel verworfen hat. Am Ende hat er aber wichtige Tore erzielt. Fabian Wiede war der Matchwinner mit seinen wichtigen Toren aus der Distanz, als das Spiel zu kippen drohte. Steffen Fäth spielt gegen eine 6:0-Deckung immer sehr gut, weil er dann mit Schwung zum Wurf hochgehen kann. Gegen eine 5:1-Deckung tut er sich schon schwerer. Man kann einzelne Spieler nach diesen sieben Spielen aber fast gar nicht herausheben. Da kommt ein Fabian Böhm ins Spiel und macht wichtige Tore, ein Kai Häfner kommt rein und trifft - es ist das Gesamtkonstrukt, das sitzt.
Vor einem Jahr bei der misslungenen EM in Kroatien waren sie ein Kritiker von Christian Prokop und Gegner seiner Weiterbeschäftigung als Bundestrainer. Hat sich das geändert?
Stephan: Man muss ja auch unterscheiden, jedes Turnier ist anders. Ich glaube schon, dass Christian Prokop sich gewandelt hat. Die Spieler haben sich auch gewandelt. Das große Plus ist einfach die Heim-WM. Wer weiß schon, wie dieses Turnier in einem anderen Land verlaufen wäre. Aber da brauchen wir auch gar nicht spekulieren, ich freue mich riesig über den Erfolg von Prokop, ich freue mich für das Team und für den deutschen Handball. Und dafür gebührt auch Christian Prokop Lob, er macht seine Sache gut. Fachlich habe ich mitunter eine andere Meinung, aber das sind Kleinigkeiten wie die Zeitpunkte für den Einsatz des siebten Feldspielers beispielsweise. Egal, Prokop muss Verantwortung für das große Ganze übernehmen und das macht er derzeit wirklich gut.
Haben Sie das Gefühl, dass sich sein Verhältnis zu den Spielern auch verändert hat?
Stephan: Durch diese Euphoriewelle und den Erfolg werden Trainer und Spieler zusammengeschweißt. Wenn die WM jetzt nicht so gut gelaufen wäre, wäre es schwieriger geworden, dann hätte die Sache auch nach hinten gehen könne. Die Vorbelastung durch die Europameisterschaft war da, da ist einiges vorgefallen, da lagen sie alle nicht auf einer Wellenlänge. Erfolg ist da eine Lösung. Prokop versucht jetzt auch, die Spieler an der längeren Leine zu lassen. Auch das ist ein Lernprozess.
Sie sprechen häufig über das Publikum. Welchen Anteil haben die Zuschauer am Erfolg?
Stephan: Ich war beim Eröffnungsspiel in Berlin, das war großartig, aber Köln ist noch einmal anders. Köln ist seit 2007 das Mekka des deutschen Handballs, da hat das Publikum in Sachen Stimmung noch mal einiges draufgesetzt. Das Publikum ist wichtig, es gibt dem Spieler Selbstvertrauen. Es ist schon bemerkenswert, was Stimmung und Euphorie ausmachen können. Die Plattitüde, der Zuschauer sei beim Handball der achte Mann, stimmt in diesem Fall. Für den deutschen Handball ist das eine der besten Zeiten, die wir je erlebt haben. Zuschauerzahlen und Fernsehquoten stimmen, der Erfolg ist da. Wahnsinn.
Haben Sie auch München als Vorrundenspielort erlebt?
Stephan: Ja, ich habe aus München für Eurosport einige Spiele kommentiert. Die Spieltage dort waren auch häufig ausverkauft, es war mächtig was los, wenn Kroatien und Mazedonien gespielt haben. Im Vorfeld hatte man ja Zweifel am Standort München und alle Blicke waren auf Berlin gerichtet, aber die Stimmung war wirklich sehr gut. Es war eine gelungene Veranstaltung.