St. Moritz. Felix Neureuther hat bei der WM mit einer irren Aufholjagd Bronze im Slalom gewonnen. Nach dem Lauf kommen ihm die Tränen.
Dieser Schnee. Diese Sonne. Diese Berge, Festsaal der Alpen genannt. Felix Neureuther reißt in der Bilderbuchlandschaft von St. Moritz die Arme hoch. Kurz darauf fließen sogar Tränen. Jubel! Bronze! Plötzlich ist alles perfekt. „Es ist so emotional“, sagt Neureuther schluchzend und mit roter Nase. Eine große Erleichterung, die das ganze deutsche Team ansteckt.
Zwölf lange WM-Tage müssen die Deutschen auf ihre erste und einzige Medaille warten. Im letzten Rennen erst kommt die Erlösung mit einem Stangentanz von Felix Neureuther, der alle Rückenprobleme, die er vorher hatte, vergessen macht. Bis zu diesem Tag sind gute Ansätze im Team sicherlich zu finden, aber man muss sie lange suchen. Im Slalom am Abschlusstag schlägt sich Marcel Hirscher wieder einmal am besten durch den Stangenwald, gefolgt von seinem österreichischen Landsmann Manuel Feller.
150.000 Zuschauer an zwölf Tagen in St. Moritz
Vom nahezu perfekten Stil verstehen sie etwas in der Schweiz. Ob das nun für das Design ihrer Uhren, für die Form ihrer Berge oder für ein Skifest gilt. Rund 150.000 Zuschauer sind an den zwölf WM-Tagen an die Corviglia, den St. Moritzer Hausberg, gereist und offensichtlich in friedlicher Mission gekommen: Von Scharmützeln zwischen der pelzbemantelten Stammkundschaft in der Hauptstadt des Schickimickis und dem funktionsbekleideten Sportfan wird nichts bekannt. Ihre Wege kreuzen sich nicht oft. Vielleicht stiftet auch der Himmel Frieden. Das Engadin hat zum Finale am Sonntag noch einmal ein Blau angerührt, das man ausschneiden und mitnehmen möchte.
Medaillen rieseln allerdings bis dahin nicht zuhauf von oben herab. Jedenfalls nicht auf die deutschen Fahrer. Erst auf den letzten Drücker poliert Routinier Neureuther die Bilanz mit seinem dritten Platz im Slalom ein wenig auf. „Hier schließt sich für mich ein Kreis“, sagt der 32-Jährige. Vor 14 Jahren hat er an gleicher Stelle seinen ersten WM-Auftritt — und am Sonntag wohl seinen letzten. Pechvogel des Vormittags: Stefan Luitz. Er verliert während des ersten Durchgangs früh seinen linken Schienbeinschoner und muss mehr als die Hälfte des Rennens mit blankem Bein herunterbringen. Er ärgert sich. Über die blauen Flecken und das Ergebnis, denn er ist raus.
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Von drei Medaillen ist vor der Reise in die Schweiz die Rede, der Verband rechnet damit, dass eine bei den Frauen, eine bei den Männern und eine im Teamwettbewerb herausspringen könnte. Mit zunehmender WM-Zeit scheint ein weiterer verbaler Angriff auf die Plätze eins bis drei aber so weit zu entrücken, wie die Ausrichtung einer Ski-Weltmeisterschaft auf dem Mond. „Ich denke nicht an die Medaille“, sagt selbst Felix Neureuther nach dem ersten Durchgang im Slalom noch, obwohl er als Zehnter bloß den Wimpernschlag von 0,28 Sekunden Rückstand auf Platz drei entfernt liegt. Wenig später startet er seine sagenhafte Aufholjagd.
Nach dem Rennen zeigte Neureuther Gefühle. Der 32-Jährige wurde gefragt, ob es sein letzter WM-Lauf war. "Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Aber emotionaler kann es eigentlich nicht mehr werden. Ich bin normal nicht derjenige, der schnell zum Weinen anfängt. Aber heute hat es mir die Tränen richtig rausgedrückt", sagte Neureuther.
Es gibt sie also, die hellen Momente zwischen Celerina, wo die Deutschen wohnen, und dem vier Kilometer entfernten St. Moritz, wo die Rennen ausgetragen werden. So sieht es auch DSV-Alpinchef Wolfgang Maier: „Es ist nicht alles negativ, was wir hier abgeleistet haben. Kritik muss man vernünftig ansetzen.“
Hoffnung für die DSV-Zukunft
Zu den Lichtblicken aus deutscher Sicht gehört neben Felix Neureuther auch Andreas Sander. Der 27-Jährige aus Ennepetal kommt im Super-G auf Rang sieben und in der Abfahrt auf Platz acht — er ist so stark wie kein anderer deutscher Speed-Spezialist in den vergangenen zwölf Jahren. Oder Thomas Dreßen. Der 23-Jährige überrascht mit Platz zwölf in der Abfahrt und 14 in der Kombination — das lässt für die Zukunft hoffen. Und bei den Frauen? Ist Viktoria Rebensburg mit ihrem vierten Platz im Super-G gleich zur Eröffnung der Ski-WM so nah am Treppchen wie keine anderer DSV-Athletin in der Zeitrechnung nach Maria Höfl-Riesch. Für den meisten Gesprächsstoff sorgt unterdessen Christina Geiger. Allerdings nur wegen ihrer Playboy-Fotos. Zu einem Podestplatz führt das alles nicht.
Der Stammkundschaft von St. Moritz sind solche Themen fremd. Sie zieht dem letzten Ski-Rennen am Sonntag einen Besuch des White Turfs, des traditionellen Pferderennens auf Schnee unten am See, vor. Neureuther? Kennt sie nicht. Ab Montag ist sie wieder unter sich.