Essen. Markus Rehm springt weiter als die Konkurrenz, darf seinen DM-Titel trotzdem nicht verteidigen: Ein DLV-Beschluss bremste den Prothesen-Springer aus.

In fast genau einem Monat beginnen die Deutschen Leichtathletikmeisterschaften in Nürnberg. Wer von den Sprintern, Springern, Werfern und Mehrkämpfern fit und in Form ist, will um den Titel mitkämpfen oder eben diesen verteidigen. So auch Markus Rehm. Aber er springt in diesem Jahr nur zur Schau. „In getrennter Wertung“, nennt sich sein Ausschluss vom regulären Wettbewerb. Der amtierende Deutsche Weitsprungmeister darf seinen Titel nicht verteidigen. Das Problem: Der 26-jährige Leichtathlet ist unterschenkelamputiert und springt mit einer Prothese.

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Im vergangenen Jahr hatte sein Titelgewinn für Wirbel im Deutschen Leichtathletikverband (DLV) gesorgt. Unter Vorbehalt war Rehm zum Wettkampf zugelassen worden. Dass er besser als alle nicht-behinderten Sportler springen würde, damit hatte keiner gerechnet. Hat Markus Rehms Carbon-Bein für die erstaunliche Weite von 8,24 Metern gesorgt oder war es allein seine sportliche Höchstleistung? Der DLV sah sich in einer Zwickmühle. Eine erste biomechanische Analyse sollte eine Antwort bringen. Ergebnis: Ein Vorteil beim Absprung ist wahrscheinlich, aber nicht zu beweisen. Die ambivalente Lösung des DLV: Rehm behält den Titel, darf aber nicht zur Europameisterschaft. Eine endgültige Antwort auf die Frage gibt es bis heute nicht.

Paralympischen Weltrekord auf 8,29 Meter verbessert

Trotzdem musste eine Entscheidung her, die das Vorgehen bei den diesjährigen Deutschen Meisterschaften (25./26. Juli) regelt: Rehm, der den paralympischen Weltrekord kürzlich auf 8,29 Meter verbessert hat, darf bei der DM mitspringen, aber eben halt "in getrennter Wertung". „Vorübergehend bin ich damit einverstanden. Wenn ich aber das Gefühl habe, es wird auf Zeit gespielt, wären weitere Schritte möglich“, sagt Rehm, der ein endgültiges Gutachten haben möchte, auch wenn es zu seinem Nachteil ausfällt. „Ich bin an einem fairen Wettkampf interessiert und möchte wissen, ob ich einen Vorteil habe oder nicht“, so der Ausnahmeathlet des TSV Bayer Leverkusen.

Ist die Prothese "Hilfsmittel" oder" Ersatz"?

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„Aber es muss auch untersucht werden, welche Nachteile ich durch meine Prothese habe, zum Beispiel beim Anlauf. Das wurde bisher nicht gemacht“, sagt Rehm. „Ich möchte mich einfach nicht immer für meine Leistungen entschuldigen müssen.“ Es gilt zu klären, ob die Hightech-Prothese, mit der der Sportler und Orthopädietechniker seine Sprünge absolviert, schon ein „Hilfsmittel“ ist oder nur ein „Ersatz“ für den fehlenden Unterschenkel.

Warum dieses Gutachten noch nicht erstellt wurde, konnte DLV-Sprecher Peter Schmitt auch nicht beantworten, verwies aber auf die seit Januar 2015 geltende nationale Bestimmung. Nummer 144.3c. Sie sieht vor, dass Athleten mit technischen Hilfsmitteln zwar gemeinsam mit Nichtbehinderten starten dürfen, aber getrennt gewertet werden. „Das ist aus unserer Sicht ein richtiger Schritt Richtung Inklusion und Fair Play“, so Schmitt. Dass diese Regelung in Kürze gekippt werden könnte, hält er nicht für wahrscheinlich: „Es sei denn, die Entscheidungsgrundlagen würden sich grundlegend verändern.“ Ein allein auf Markus Rehm bezogenes Gutachten, das dem Ausnahmespringer bescheinigt, keinen Vorteil zu haben, würde also wohl nicht ausreichen.

DLV-Inklusionsbeauftragter: "Wollen kein Rehm-Gesetz"

„Es ist ein sehr komplexes Thema, aber wir wollen kein Rehm-Gesetz“, sagt auch Gerhard Janetzky, Inklusionsbeauftragter beim DLV. Deshalb sei ein wie von Schmitt gefordertes allgemeingültiges Gutachten in Planung. Für die Deckung der Kosten des Projekts, die im sechsstelligen Bereich liegen werden, gibt es aber noch nicht ausreichend Sponsoren. Sollte die Untersuchung in naher Zukunft gestartet werden, würde es rund ein Jahr dauern, bis ein Ergebnis vorliegt.

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Es scheint in Sachen Inklusion also einiges in Bewegung zu sein beim Deutschen Leichtathletikverband. Für den bald 27-jährigen Markus Rehm könnten Resultate allerdings zu spät kommen. Dabei will er eigentlich gar nicht mehr, als sich in einem fairen Wettkampf mit seinen Kontrahenten zu messen. „Mein Traum wäre es, bei den Olympischen Spielen zu starten“, sagt der Weitspringer. „Auch außerhalb der Wertung, das wäre völlig in Ordnung. Meine Medaille kann ich ja dann noch bei den Paralympics gewinnen“, sagt der Weltrekordler, der insgeheim auch auf die diesjährigen Weltmeisterschaften in Peking spekulieren dürfte.

Neuer Beschluss soll "Klarheit" bieten und verhindert Rehm-Nominierung

Doch selbst wenn Markus Rehm die geforderte Norm gleich mehrfach springt, wird ihn der DLV nicht nominieren, denn: „Der Beschluss 144.3c sorgt auch in Nominierungsfragen für Klarheit“, so DLV-Sprecher Schmitt. „Für internationale Großereignisse wie die WM in Peking kann nur der nominiert werden, der die DLV-Nominierungsvoraussetzungen in der jeweiligen Wertungsgruppe erfüllt.“ In diesen Richtlinien heißt es, dass die Teilnahme an den Deutschen Meisterschaften verpflichtend ist. Im Umkehrschluss bedeutet das also: Wer nicht offiziell gewertet wird, nimmt nicht an den Meisterschaften teil und kann somit nicht für die WM gemeldet werden.

Einziger Hoffnungsschimmer für Rehm: „Es wurde ein Antrag bei der IAAF eingereicht, auch international die DLV Bestimmung 144,3c zu übernehmen“, so Schmitt, also eine Teilnahme in getrennter Wertung. Die Entscheidung fällt allerdings erst wenige Tage vor der Weltmeisterschaft Ende August.