Melbourne. . Im Finale der Australian Open wartet auf den Schützling von Boris Becker der Schotte Andy Murray. “Körperlich war es okay, im Kopf ging nichts mehr.“
In besonderen, in großen Tennis-Matches bauen sich die Kontrahenten gegenseitig auf. Ein spektakulärer Schlag des einen wird vom anderen beantwortet oder übertroffen, und am Ende kommt so etwas dabei heraus wie die Begegnungen von Novak Djokovic und Stan Wawrinka in Melbourne in den vergangenen Jahren. Diesmal war es anders, ganz anders. Selten richteten zwei so herausragende Spieler so große Verwirrung an wie in diesem Halbfinale der Australian Open; Fehler über Fehler in grauem Durcheinander. Am Ende hatte Djokovic den längeren Atem und gewann 7:6, 3:6, 6:4, 4:6, 6:0, aber es passte, dass auch der allerletzte Punkt des Spiels aus einem Fehler resultierte.
Djokovic war zwischendurch so verwirrt, dass er nach dem Gewinn des dritten Satzes gar nicht merkte, was los war. Erst als die Sicherheitsleute wie bei jedem Seitenwechsel aus ihren Ecken kamen und er vom Schiedsrichter auf den Stand aufmerksam gemacht wurde, machte er sich kopfschüttelnd auf den Weg zum Stuhl.
Es passte zu diesem Chaos, dass Wawrinka trotz eines klar besseren vierten Satzes gleich zu Beginn des fünften wieder ein Break kassierte. Und noch eines. Und noch eines, womit das Spiel nach drei Stunden und 30 Minuten beendet war. Die Zahlen sprachen Bände: Bei Djokovic standen 27 sogenannten Winnern 49 unerzwungene Fehler gegenüber, bei Wawrinka war das Verhältnis mit 42:69 noch ungünstiger. Der Schweizer wusste am Ende kaum, was er fühlen sollte. Enttäuschung, natürlich, aber keinen Frust; Leere irgendwie. Er erklärte es so: „Ich hatte meinem Coach schon vor dem Spiel gesagt, dass keine Batterie mehr da ist. Ich denke, dass ich jetzt den Preis für die lange Saison 2014 mit dem Davis-Cup am Ende bezahle. Körperlich war es okay, aber im Kopf ging nichts mehr.“
Djokovic will besseres Niveau zeigen
Djokovic fand, er habe im fünften Satz, als es darauf angekommen sei, noch einmal Stärke bewiesen. Und, ja, zwischendurch sei es ihm auch nicht besonders gut gegangen. Er war stolz auf sich, dass er das Ding am Ende durchgezogen und Wawrinka seinen Willen aufgezwungen hatte, aber er sagte auch, das sei nicht das Niveau gewesen, auf dem er spielen wolle.
Was das nun alles für das Finale am Sonntag (9.30 Uhr MEZ/Eurosport) gegen den Schotten Andy Murray zu bedeuten hat? Gemessen am ebenso feurigen wie überzeugenden Auftritt beim Sieg gegen Tomas Berdych sieht es nicht schlecht für die Aussichten von Murray aus. Andererseits kann man sich nur schwer vorstellen, dass sich Djokovic zweimal nacheinander einen derart konfusen Auftritt gönnen wird.
Für Murray wird es das vierte Finale in Melbourne nach 2010, 2011 und 2013 sein, für Djokovic das fünfte, wobei er vier Titel gewann, der Schotte hingegen keinen. Bei der Bilanz der bisher vier Begegnungen in Finals von Grand-Slam-Turnieren steht es 2:2 mit Siegen für Murray bei den US Open 2012 und in Wimbledon 2013.
Murray wird am Montag in der neuen Weltrangliste wieder zu den ersten Vier gehören, aber einer anderen Geschichte misst er deutlich mehr Bedeutung bei. Er sei Ende des vergangenen Jahres wegen seiner durchwachsenen Ergebnisse ziemlich heftig kritisiert worden, und mehr oder weniger offen sei er immer wieder mit der Frage konfrontiert worden, ob die Entscheidung für Amélie Mauresmo als Trainerin richtig gewesen sei. Im Juni hatte er die ehemalige französische Wimbledonsiegerin als Nachfolgerin für Ivan Lendl verpflichtet, der ihm im Frühjahr die Kündigung auf den Tisch gelegt hatte. „Amélie hatte keine Schuld daran, wie ich Ende 2014 gespielt habe“, sagte er nach dem Sieg gegen Berdych. „Wir hatten bis dahin einfach zu wenig Zeit miteinander. Während der Turniere kannst du Dinge nicht ändern.“
Ein Plädoyer für Trainerin Mauresmo
Aber nach einem harten Trainingsblock in der Winterpause und vielen Gesprächen mit Mauresmo sieht Murray nun wie runderneuert aus, und es ist ihm offensichtlich ein Bedürfnis, der Welt zu sagen und zu zeigen, wie gut diese Frau ihre Arbeit macht. Nach der Meinung eines ausgewiesenen Fachmannes wird das trotzdem nicht für Murrays ersten Titel in Melbourne reichen. Stan Wawrinka sagte, bevor er sich erledigt auf den Weg nach Hause machte, für ihn sei Novak Djokovic am Sonntag Favorit.