Bochum..
In der bundesliga-freien Zeit geht es um das Hinüberretten von einer zur nächsten Saison. Zum Beispiel mit Lektüre von Ben Redelings. Der Bochumer Autor und Fußball-Kulturschaffender („Scudetto“) hat mit „Freunde der Südsee“ seine Spielzeit quasi Paroli laufen lassen. Ein persönlicher wie amüsanter Rückblick auf die Serie 2010/11.
Fußball-Unterhaltung gelingt oft am besten, indem markante Sprüche aus dem Bundesliga-Alltag komplexe Sachverhalte verkürzend zusammenfassen. Bei Ben Redelings’ sechstem Fußball-Buch „Freunde des Südsee - Meine Spielzeit“ führt der Titel fast ein wenig in die Irre. Denn wer glaubt, mit diesem Jürgen-Klopp-Zitat vom fünften Spieltag (auf die Journalisten-Frage, ob sein BVB Meister werde, antwortete der Trainer der Borussia: „Freunde der Südsee, geht mir damit nicht auf den Sack!“) stehe fortan hauptsächlich der meisterliche Rückblick aus Dortmunder Perspektive im Fokus, der irrt. Redelings blickt als Handlungsreisender in Sachen Fußball-Kultur aus seiner Ruhrpott-Rolle auf die gesamte Liga. Gespickt mit persönlichen Erlebnissen aus seinen „Scudetto“-Auftritten in ganz Deutschland, sind so kurzweilige Geschichten entstanden, die das Leben und die Menschen an sich genauso porträtieren wie skurrile Pointen aus dem Bundesliga-Zirkus.
Fast noch markanter als das titelgebende „Kloppo“-Zitat ist gleich zu Beginn eine Sprüche-Trilogie, wobei der ehemalige Bundesliga-Profi Ansgar Brinkmann („der weiße Brasilianer“) seine prominenteren Mitstreiter Heinz Rühmann und Peter Neururer an dieser Stelle in den Schatten stellt. Mit dessen Ausspruch „Man soll gehen, wenn es am schönsten ist. Und hier geht noch einiges“ legt Redelings die Strategie für die folgenden 192 Seiten fest: Anekdoten aller Art gehen dem Bochumer Autor und Filmemacher über alles. Die meisten hat er auf seinen Reisen gesammelt, die er für seine Fußball-Kultur-Reihe „Scudetto“ durch die Republik unternimmt. Und so fast zwangsläufig jede Menge Lustiges über die Deutsche Bahn erzählen kann.
Zurück zum Fußball. Die Besucher seiner „Scudetto“-Abende wissen, wie Ben Redelings Bundesliga-Geschichten amüsant aufarbeitet und in einer Reihe steht mit gleichgesinnten Humoristen wie Kollege Frank Goosen oder Fernsehmoderator Arnd Zeigler. In „Freunde der Südsee“ hat der Bochumer Autor natürlich viele Kurzgeschichten mit Ruhrgebiets-Bezug zusammengestellt. Er ruft etwa den Magath-im-Supermarkt-Cartoon von Oliver Hilbring aus der frühen (und schlechten Schalker) Saisonphase in Erinnerung: „Sammeln Sie Punkte? - Sehr witzig!“
Persönliches und Lustiges aus dem Fußball-Zirkus
Immer begleitet von persönlichen Erlebnissen, bildet Redelings aus der Ich-Perspektive kleine Schmonzetten genauso kurzweilig ab wie das große Bundesliga-Tamtam. So stehen Begegnungen mit außergewöhnlichen Fans von Standard Lüttich oder sogar der TSG Hoffenheim in einer Reihe mit der Oberhausener Bierbecher-Aktion für auswärtige Anhänger („Scheiß RWO“). Selbstironisch blickt er auf sein eigenes Kleinkünstler-Dasein, wenn er zwecks Werbung für seine Klolektüre von der Bild-Zeitung eben auf dem stillen Örtchen fotografiert werden soll oder mit Klischees aus seiner eigenen Berufswelt aufräumt: „Gediegener Vollrausch, hoch den Rock und rein den Pflock fand auf und hinter anderen Bühnen statt.“
Dennoch spielt das Bierchen eine wesentliche Rolle bei Redelings Reisen. Wenn seine Story-Lieferanten ihm ihre Anekdoten nicht via Internet zukommen lassen, dann erfährt der Fan-Chronist eben im geselligen Nachgang zu einem „Scudetto“-Auftritt die amüsanten Kapitel aus der Normalo-Sicht der Fußball-Anhänger. Ein „mittlerer Pegelstand“ stellt für den Kulturschaffenden eine gute Ausgangslage dar. Um eben jene Begebenheit aus einem Supermarkt zu erfahren, wo ein Kölner Bundesliga-Profi von einem enttäuschten FC-Kind angepampt wurde: „Man! Du sollst nicht einkaufen, du sollst trainieren!“
Der Supermarkt, die Bahn, die Auftrittsorte: Redelings Fußballwelt wird erst außerhalb der Stadien unterhaltsam, wobei sich Blicke in den Liga-Zirkus glänzend ergänzen. Deutlich wird: Dieser Sport steht für Spaß, er liefert Geschichten ohne Ende, hier kann Reviersprache mit „dat“ und „watt“ neben gelegentlichen Fäkalausdrücken ebenso bestehen wie rhetorisch Höherwertiges. Einer muss dies halt nur aufschreiben, damit beispielsweise eine Comedy-reife Jahreshauptversammlung des VfL Bochum („ein Andrang wie zu einem großen Roger-Whittaker-Konzert“) länger haften bleibt. Da stört auswärtige Leser dann auch der immer wieder durchschimmernde Bochumer Lokalcholorit kaum, selbst seine Ausflüge zu diversen Junggesellenabschieden führen nur kurz weg von dem runden Leder.
In einem Jahr, in dem der BVB als Meister und Schalke als Pokalsieger dastehen, kann und muss der Ruhrpott ausgiebig besprochen werden. Qua Herkunft ist der Bochumer Redelings dafür natürlich sensibel genug. Seine Begegnung mit Kult-Ruhrie Ralf „Ralle“ Richter steht dafür ebenso beispielhaft wie die Erinnerung an Westernhagens Schauspielerzeit in „Theo gegen den Rest der Welt“, als es hieß: “In fünf Minuten pfeifen sie in Herne an, und wir sitzen hier am Arsch der Welt.“ Der Facebook-Start von Felix Magath, der umgedrehte Werbeclip für Borussia Dortmund („Lieber eine Tochter im Puff als eine beim BVB“), Klopps TV-Auftritte bei Zeigler oder im SWR („eine Dauerkarte für den Seuchenvogel“ nach dem Auswärtsspiel in Kaiserslautern) und ein Marburger Kinderarzt, der nach Bochumer Siegen seine Patienten im Trikot behandelt: All diese unterschiedlichen Figuren sind quasi Redelings’ „Freunde der Südsee“.
Streng genommen, macht der Autor und Filmemacher nichts anderes als Karl Theodor zu Guttenberg: Er reproduziert. Sicher ist dies für die Allgemeinheit aber lesenswerter als die Doktorarbeit des Ex-Ministers. Vor Redelings’ runden Augen kommt keine kolumbianische Ente, die nach ihrer Landung im Stadion von einem Kicker „schulbuchmäßig“ ins Seitenaus getreten wurde, ungeschoren davon, kein Partytier wie Ansgar Brinkmann („Schlafen wird auch überbewertet“), kein telefonierender Pinkler Cesar Luis Menotti und erst recht nicht Thorsten Legat. Der ehemalige Bundesliga-Profi saß einst verletzt bei Bayerns Superdoc Müller-Wohlfahrt, als Pierre Brice mit schlimmen Schmerzen in die Praxis kam. Auf die Frage, ob er wegen seine Hexenschusses vorgelassen werde, soll ihm Legat entgegnet haben: “Nee. Außerdem dachte ich, ein Indianer kennt keinen Schmerz!“
Sich einen Reim drauf machen
Wer also wissen will, was der unvermeidliche Lothar Matthäus und ein Joint im Stadion miteinander zu tun haben, wie Christoph Daum seine Linie durchziehen wollte, wieso die Scheidung von seiner Frau für einen Kölner Fußballfan eine Chance darstellte, wie das defekte Faxgerät den Wechsel von Eric Maxim Chpupo-Moting verhinderte oder Reime a la „Unser Bier - Schalke 04“ funktionieren, dem sei dieses Fußball-Tagebuch ans Herz gelegt. Erst recht in der sommerlichen Überbrückungs- und Urlaubszeit (etwa an der Südsee) sowie zur Vorbereitung auf die neue Saison, die bestimmt genauso lustig wird.
- Ben Redelings, „Freunde des Südsee - Meine Spielzeit“ (192 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-89533-793-2, Verlag Die Werkstatt, 9,90 Euro)