Bochum..
Eine Messe für den Fußball-Humor: Im Scudetto-Saisonrückblick nahmen Gastgeber Ben Redelings und VfL-Aufsichtsratsmitglied Frank Goosen die Bundesliga scharfzüngig aufs Korn. In der ausverkauften Bochumer Christuskirche lachten 800 Besucher über Anekdoten aus dem Heiligtum der deutschen Sportwelt. Lästereien auf hohem Humorniveau.
Eine Aussage von Frank Goosen verwundert. Es gebe zu wenig Humor in der Bundesliga, hat der Autor beim Scudetto-Saisonrückblick mal so nebenbei fallen lassen. Wie bitte? Wieso können er und sein Gastgeber Ben Redelings dann zweieinhalb Stunden lang 800 Fußballanhänger in der seit langem ausverkauften Christuskirche mit etlichen Anekdoten rund um das runde Leder glänzend unterhalten? Wer die beiden befreundeten Bochumer mal wieder bei ihrem Heimspiel kongenial miteinander agieren sah, glaubt diese Aussage nicht. Vorschlag zur Güte: Es gibt nicht viel Komisches im bierernsten Lieblingssport der Deutschen, man muss es nur finden. Und das gelingt den zwei Literaten vorzüglich. Wobei der regionale Einschlag (vieles dreht sich mit entsprechendem Dialekt um Bochum, Schalke und Dortmund alias „Zahnlose und Zecken“) kaum einen zu stören scheint, ja eher angesichts vieler Plöpp-Geräusche einheimischer Bierflaschen beflügelt. Dazu passt dann auch irgendwie der Playback-Auftritt von Schauspieler Uwe Fellensiek mit der neuen Bochum-Hymne „VfL – ein ganzes Leben für dich“.
Wo anfangen, wo aufhören? Ben Redelings eröffnet die kurzweilige Kurzpass-Kanonade mit der aktuellen Trauer um den verpassten Aufstieg des VfL Bochum. Angesichts der Enttäuschung in der Stadt hat er sich auf einen einsamen Abend eingestellt. Doch wie nach einem Autounfall müsse man schnell wieder das Gefühl für den Pkw zurückgewinnen. Seine Schmerztherapie beginnt mit Gladbachs Marco Reus, der sich sinnigerweise seinen Namen und sein Geburtsdatum auf seinen Unterarm tätowieren ließ. Und Frank Goosen, der von seinem Kollegen immer wieder schön pointiert auf seinen VfL-Aufsichtsratssitz angesprochen wird, treibt kurz darauf den letzten Trübsal aus der heiligen Halle, indem er ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Rekordwiederaufsteiger 2011 – vertagt“ präsentiert.
Insider-Geschichten aus diesem Gremium sondert Goosen ohne Hemmungen ab. Angesichts von Aufsichtsrats-Nebenthemen wie Atomenergie und Kohlekraftwerke könne er dort nebenbei noch Material für seine Bühnenprogramme und Bücher sammeln. Er werde in einigen Jahren auch mal einen Fußballroman veröffentlichen, muss aber noch warten, „bis ein paar Leute nicht mehr leben“. Er sehe sich auch nach seiner Wahl im Oktober 2010 immer noch als Lehrling, den es befremdet, von VfL-Legenden wie Hermann Gerland plötzlich zur Sau gemacht zu werden: „Schön, dass du dich mal meldest.“ – „Ich geb’ dir gleich schön!“. Bei Peter Neururer, Trainer im Unruhestand, sehe die Sache aber schon anders aus…
Selbstironisch zweifelt Goosen auch mal seine Fußballkompetenz an: „Wer Mainz vor der Saison als Absteiger tippt…“ Auch seine Fahrt ins VfL-Trainingslager in der Türkei beinhaltet entgegen der Vorurteile keine durchzechten Nächte oder Frauen, die alles willig mitmachen. „In Antalya haben unsere Spieler mit Plastikchips gepokert, aber angezogen!“ Nur bei begleitenden Journalisten sei es zu Exzessen gekommen, als diese unter Zapfhähnen lagen. Abgerundet wird diese Episode durch den Rückflug mit dem Team vom 1. FC Köln. Bevor er sich schamhaft im Auftrag seiner Kinder ein Autogramm von Lukas Podolski geben ließ, wunderte er sich über den Kinderfilme guckenden Thomas „Icke“ Häßler im Flieger.
Lustige Bilder zum Warmwerden
Redelings Bilderschau sorgt im ersten Teil für Tempo. Seine Fußballkultur vereint Fotos von sich übergebenden Fans über Magath-Comics („Sammeln Sie Punkte?“ – „Sehr witzig…“) bis hin zu einer Darstellung, wie ein Schalke-Fan einem BVB-Anhänger den nackten Hintern küsst. Apropos fäkal: Lustig ist Goosens Geschichte, wie er einst zu vorgerückter Stunde Gladbachs Präsidenten auf dessen Grundstück in die Auffahrt pinkelte. Und Redelings’ Erlebnis auf St. Pauli, wo ihm in VfL-Montur von einem Kiez-Anhänger am Urinal beschieden wurde, er möge „sich hier besser verpissen. Besser nicht“, sagte daraufhin sein Nachbar.
Lästern - oder neudeutsch dissen oder bashen - gehört in bester Fußballer-Tradition zweifellos zu den Stärken der beiden Autoren. Gladbachs Dante, der unvermeidliche Lothar „Scheidung kann er auch nicht“ Matthäus (über den Waldemar Hartmann kürzlich sagte: „Loddar kann heute nicht kommen, er will bei der Geburt seiner künftigen Frau dabei sein“), Borussia Dortmund („Lieber eine Tochter im Puff als beim BVB“) oder Schalkes Pokaltrikot bekommen ebenso ihr Fett weg vom Vegetarier Redelings wie Christoph Daum, Felix Magath oder Jürgen Klopp wegen dessen tiefen Augenringen beim meisterlichen Autokorso. Die Einspielung von Arnd Zeiglers fast schon ikonigem Ironie-Interview mit dem Meistertrainer von November 2010 (mit Themen wie Lothar Sippel oder Roman Weidenfeller, den man sich „schön saufen müsse“) passt bestens dazu. Weidenfellers Englisch-Versuche „I think, we have a grandios Saison gespielt“ runden dies später ab
Redelings zielt wie immer mit Multimedia-Elementen auf das Zwerchfell der Zuschauer. Bei Günther Pohls emotionaler Doppel-Elfmeter-Schilderung im Radio zum Bochumer Gastspiel in Aachen gibt es auch für Griesgrämige kein Entkommen. Und wenn Mario Balotelli von Manchester City minutenlang versucht, sich beim Warmmachen ein Leibchen überzuziehen, artet das in ungewollte Slapstick aus.
Die schönsten Fehlschüsse
Da kann Goosen mithalten, wenn er von einem Besuch mit seinen Kumpels im VIP-Bereich bei Bayern München und dem „Halslosen“ (Helmut Markwort) sowie „Stammel-Ede“ Stoiber träumt. Luca Tonis Ohrschrauber-Jubel kommt darin ebenso vor wie die Weizenbier-Bestellung von Gruppenmitglied „Scotty“. Er wolle vier Stück, als sich die Bedienung damit abwendet, ruft er ihr nach: „Moment, die anderen wollen auch noch was!“ Derweil macht sich Redelings über den Hoffenheim-Fanklub „Die Demba-Bären“ oder Sonstiges aus diesem Retortenverein lustig. Es folgen Erinnerungen an die besten Fehlschüsse der Saison (Klose, Kuba Blaszczykowski, Katar-Kicker), die Kür des Spielers der Saison namens Marco Arnautovic aus Bremen oder Reiner Calmunds Künstlername „Flinker Dicker“ als imaginärer Pornodarsteller. Undsoweiter.
Ein paar Pils- und Bratwurst-Anekdoten später, biegt der Abend mit den besten Sprüchen der Saison auf die Zielgerade ein. Von Clemens Tönnies’ Reaktionen auf die in München befürchteten Mondpreise für Schalkes Manuel Neuer („Wie hoch der Mond hängt, bestimmen immer noch wir“) über Stuttgarts kritisierten Torwart Sven Ullreich („Jung und erfahren gibt es nur auf dem Straßenstrich“) oder Lauterns Trainer Marko Kurz („Der Kopf der Gruppe darf nie auf Sparflamme brennen“) bis hin zu Dede, Thomas Tuchel, Bastian Schweinsteiger, Dietmar Hopp, Faryd Mondragon, Otto Rehhagel und den Krake Paul verfluchenden Diego Armando Maradona – am Ende jagt ein Kalauer den nächsten. So schnell ist eine lange Saison vorbei. Ein sehr amüsanter Fußballabend, großes Tennis!