Berlin. Das DFB-Team erfüllte sich in Rio ihr Sommermärchen und holte den vierten WM-Titel für Deutschland. Die Doku zum Coup am Zuckerhut kann Wortmanns “Sommermärchen“ jedoch nicht das Wasser reichen. Am Montag wurde “Die Mannschaft“ in Berlin vorgestellt. Mehr als die Oberfläche zeigen die WM-Helden nicht.
Ganz am Ende des neuen WM-Films „Die Mannschaft“ kommt noch einmal Joachim Löw zu Wort. Knapp 90 Minuten lang kann der Zuschauer bis dahin auf der Kinoleinwand nachempfinden, was der Bundestrainer und die deutsche Fußball-Nationalmannschaft in diesem Sommer in Brasilien erlebten. Weltmeister werden. Sehnsüchte erfüllen. Kritikern eine lange Nase zeigen. Löw spricht so etwas wie den Schlusssatz und sinniert darüber, wie er in vielen Jahren – alt und in einem Schaukelstuhl auf seiner Veranda sitzend – sich noch an all das Erlebte wird erinnern können. „Wenn man Geschichte schreibt“, sagt Löw, „ist es irgendwie ja auch etwas Faszinierendes.“
Dieser Satz lässt einen sprachlos zurück. So erschreckend trocken, dass er nur von einem Mann stammen kann, der sich in einer Welt voller Rastlosigkeit bewegt. Erfolge sind im Fußball immer schon vergangene Erfolge. Das nächste Ziel steht schon bereit. Nach der Weltmeisterschaft ist vor der Europameisterschaft 2016 in Frankreich. Die vier vergangenen Monate seit dem Finalsieg gegen Argentinien fühlen sich in dieser Gemengelage an wie vier Jahre. Dabei besteht der Wunsch, den Triumph zu konservieren, ja weiterhin – bei Fans und Beteiligten. Man will sich erinnern.
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DFB gönnt sich kleine Medienschelte
Am Montag wurde sich in Berlin mit zwei Veranstaltungen noch einmal an diesen goldenen Sommer in Brasilien erinnert. Nachdem Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière den Weltmeistern im Schloss Bellevue das Silberne Lorbeerblatt verliehen hatten, ging es für sie am Abend zur Kinopremiere des WM-Films „Die Mannschaft“ ins Sony Center am Potsdamer Platz. Mitarbeiter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hatten mit Beginn der Turnier-Vorbereitung im Trainingslager von Südtirol bis hin zu der Siegesfeier am Brandenburger Tor die Kameras mitlaufen lassen.
Während Gauck den vierten Stern für den vierten gewonnenen deutschen WM-Titel als „bleibendes Geschenk für das ganze Land“ würdigte, muss die Frage, ob der DFB dem ganzen Land darüber hinaus auch mit dem WM-Film, der ab Donnerstag in den Kinos zu sehen sein wird, ein bleibendes Geschenk gemacht hat, mit „eher nein“ beantwortet werden. Löws Diktum „irgendwie ja auch etwas Faszinierendes“ gilt zwar ebenso hier. Es gibt Momente in diesen 90 Minuten, die Einblicke hinter die Kulissen zulassen und manche, die ziemlich viel Spaß machen. Etwa wenn Neuling Christoph Kramer nach dem 4:0-Auftakt-Sieg gegen Portugal auf der Fähre zurück ins Basislager Campo Bahia die Schnulze „When you say nothing at all“ von Ronan Keating zum Einstand singt. Oder wenn Thomas Müller, der heimliche Star des Films, in Südtirol im Dirndl das Mittagessen serviert, weil er eine Golfwette gegen den Physiotherapeuten Christian Huhn verloren hat. Und auch, als man Löw vor dem 7:1 im Halbfinale gegen Brasilien bei der Kabinen-Ansprache zuhören kann: „Wenn wir jetzt da rausgehen, sind fast alle gegen uns“, brüllt Joachim Löw in den Spielerkreis. „Umso wichtiger ist es, dass wir alles zusammen machen. Wir fighten solange, bis wir in Rio sind. Wir treten wie Gewinner auf.“
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Darüber hinaus aber bleibt es ein Film auf der Oberfläche. Echte Interna über das Innenleben des Teams erfährt der Zuschauer nicht – kein Blick in die WGs im Campo Bahia, kein Dabeisein, als über die Position des Kapitäns Philipp Lahm debattiert wird. Chronologisch entlang der Spiele bis zum Finale kann der Zuschauer durch das Turnier flanieren – doch er bleibt stets auf den vom DFB vorgegebenen Pfaden. Kein einziges Bild zeigt die massive Präsenz der Militärpolizei in Santo André, über die sich vor allem die Dorfbewohner erbosten. Der Autounfall bei einem Sponsorentermin im Südtiroler Trainingslager wird zwar kurz erwähnt, doch abgelöst wird er von einem Interview mit Sami Khedira, der erzählt, wie sich die negative Berichterstattung über die schlechte Stimmung im Passeier Tal nicht mit seiner eigenen Wahrnehmung deckte, als er nachträglich im Trainingslager eintraf. Diese kleine Medienschelte gönnt sich der DFB.
Doku ist Anfang Januar im TV zu sehen
Der Verband will mit „Die Mannschaft“ an den Erfolg des Vorgängerfilms „Deutschland ein Sommermärchen“ von Sönke Wortmann über die Heim-WM 2006 anknüpfen. Der spielte insgesamt vier Millionen Euro ein, doch damals lag auch mehr Zeit zwischen der Kino-Premiere und der TV-Premiere als diesmal. Schon am 2. Januar will die ARD „Die Mannschaft“ im Fernsehen ausstrahlen. Mit rund zwei bis drei Millionen Euro Erlös rechnet der DFB. Das Geld soll überwiegend in Stiftungen des Verbandes und der Fifa fließen. Filmisch aber kommt „Die Mannschaft“ nicht an Wortmanns Film heran, weil das WM-Märchen 2014, vielleicht auch wegen des Happy Ends, wesentlich weichgespülter wirkt.
"Die Mannschaft" auf dem Red Carpet
Einer, der in jeder Einstellung authentisch bleibt, ist Thomas Müller. Nach dem Finalsieg sitzt der Münchner in der Kabine und brüllt: „Ey, wer hat denn den Kasten Bier hier reingestellt? Wir müssen doch fit bleiben für die Qualifikation der Europameisterschaft.“ Das war als Witz gemeint, aber es zeigt: Für das Verweilen im Moment des Erfolgs ist kein Platz im Fußball. Deshalb ist es bei aller Kritik auch gut, dass es diesen Film gibt.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, der Film werde noch im Dezember im Fernsehen ausgestrahlt. Wir haben das korrigiert.