Krasnaja Poljana. Erik Lesser redet nicht besonders viel - und mit seiner Silber-Medaille bei den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi brachte er nach seinem Fehlstart nun auch die Kritiker zum Schweigen. Noch schneller als Lesser kam nur der Franzose Martin Fourcade ins Ziel.
Fritz Fischer ist ein Mann der lockeren Sprüche. Der 57-Jährige war Staffel-Olympiasieger 1992 und ist als Disziplin-Bundestrainer für die Männer verantwortlich. Auf die Frage, wie groß denn die Erleichterung im deutschen Biathlon-Team über die erste Medaille sei, hatte der Ur-Bayer diesen Vergleich parat: „So viele Lastwagen gibt es in ganz Russland nicht, um die Steine wegzufahren, die uns vom Herzen gefallen sind, als der Erik das Silber sicher hatte.“
Optimale Bilanz von Erik Lesser: vier Schießeinlagen, 20 Treffer
Der Erik heißt mit Nachnamen Lesser, ist 25 Jahre alt und wuchs im Einzel über 20 Kilometer über sich hinaus. Vier Schießeinlagen, 20 Treffer: Besser geht es nicht. Dazu zeigte der Mann aus dem thüringischen Frankenhain eine starke Vorstellung in der durch die warmen Temperaturen so weichen und daher so extrem kraftraubenden Loipe. Noch schneller als Lesser, um 12,2 Sekunden, kam der Franzose Martin Fourcade ins Ziel, der damit bereits sein zweites Gold in der Laura-Arena gewann.
„Beim letzten Schießen hatte ich schon ein bisschen den Stift in der Hose“, gab Lesser zu. Der Sportsoldat wusste, dass er alle Scheiben zu treffen hatte. Die Null musste stehen – und sie stand. „Auf der Schlussrunde habe ich verdrängt, dass es zu einer Medaille reichen könnte. Ich bin einfach gerannt.“
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Als er dann endlich wusste, dass er sich für alle Zeiten Olympiazweiter nennen darf, zeigte Lesser kaum Emotionen. „Ich bin eher der Typ, der sich im Stillen freut“, sagte er. Eine innige Umarmung mit Bundestrainer Mark Kirchner. Das war’s. Keine Sprüche, wie sonst fast alle Medaillengewinner formulieren. Kein „ich kann es noch gar nicht fassen“ oder „ein Traum ist in Erfüllung gegangen“. Und dann verriet Lesser, wie der Dialog mit Kirchner nach diesem überraschenden Silber-Triumph abgelaufen sei: „Er ist der beste Trainer der Welt. Aber wir sind halt ruhig. Wenn wir zusammen frühstücken, dann reden wir meist fünf Worte miteinander. Diesmal waren es vier. Herzlichen Glückwunsch! Danke! Sein viertes Wort habe ich vergessen.“
Olympia - Tag 6
Aber Lesser ist kein Mann, der sein Herz im Kettenhemd trägt. Seine Medaille wolle er seinen beiden Opas widmen. Sie hätten sich bestimmt daheim gefreut wie Schnitzel, sagte er. Der eine, Willi Pietzko, sei schon 93 und hätte alles gegeben, um den Olympiastart seines Enkels noch erleben zu können. Der andere, Axel Lesser, kann sich in seinen Erik hinein versetzen, weil er 1972 für die DDR als Langläufer bei den Olympischen Spielen auch Silber gewann. „Meine Opas sind meine Helden“, sagt der Enkel.
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Erik Lesser hat für Erleichterung im deutschen Team gesorgt. Nach den medaillenlosen ersten vier Rennen war die Kritik lauter geworden. „Es ist vieles zuletzt in den Medien schlecht geredet worden“, ärgerte sich Bundestrainer Kirchner. „Wir wussten, dass wir es draufhaben. Man sollte uns nicht gleich immer nach unten katapultieren.“ Kirchner ist der Matthias Sammer des Biathlons. Kritik mag er gar nicht.
Bundestrainer Müßiggang wird sein Amt wohl niederlegen
Kirchners Chef, der leitende Bundestrainer Uwe Müßiggang, wird wahrscheinlich im Frühjahr mit 62 Jahren sein Amt niederlegen. Aber das hat nichts mit dem Abschneiden in Sotschi zu tun. Das war schon vorher geplant. „Der Uwe hat doch sein Alter. Andere Leute gehen dann auch in Rente“, erzählte Magdalena Neuner. Die Doppel-Olympiasiegerin von 2010 ist zu Zweit bei Olympia. Sie ist im siebten Monat schwanger. „Später werde ich meinem Kind mal erzählen, dass es schon ein olympisches Erlebnis gehabt hat.“ Die 27-Jährige ist nach ihrem Rücktritt im deutschen Team noch nicht zu ersetzen. Aber sie hofft, dass nach dem Silber-Coup von Erik Lesser auch die Damen am Freitag im Einzel über 15 Kilometer einen Aufschwung schaffen. „Ich sehe noch viel Potenzial für uns hier in Sotschi“, sagte Neuner, „wir haben auch noch drei ganz starke Staffeln am Start.“ Die Kritik ist zunächst verstummt, im deutschen Biathlon herrscht wieder Optimismus. Erik Lesser hat dafür gesorgt.