Sotschi. Claudia Pechstein hat bei den Olympischen Spielen von Sotschi den Sprung aufs Podium knapp verpasst. Die 41-jährige Eisschnellläuferin wurde über 3000 Meter Vierte und musste sich mit der “Holzmedaille“ begnügen. „Ich bin nicht zufrieden, wie ich die Geraden gelaufen bin“, erklärte sie ihre Leistung.
Sie ist eine Frau der Extreme. Sie ist eine Sportlerin, die stark polarisiert. Das war schon immer so und das wird auch so bis zum Abschluss ihrer Karriere so bleiben. Von Rache sprach Claudia Pechstein vor den Winterspielen in Sotschi. „Mein eigentlicher sechster Olympia-Start ist mir vor vier Jahren gestohlen worden.“ Doch aus der Rache der Berlinerin, die wegen einer Doping-Sperre 2010 die Winterspiele in Vancouver verpasst hatte, wurde nichts. Statt wie erhofft und erwartet im Eisschnelllauf-Wettbewerb über 3000 Meter ihre zehnte Olympia-Medaille zu gewinnen, landete Pechstein in 4:05,26 Minuten nur auf dem vierten Platz. Am Ende fehlten der fünfmaligen Eisschnelllauf-Olympiasiegerin 1,79 Sekunden zu Bronze
Während das niederländische Königspaar Willem Alexander und Maxima ganz unroyal im Oranje-Sportanzug den schon dritten Olympiasieg von Ireen Wüst (4:00,34) ausgelassen bejubelten, verschwand Pechstein wortlos in den langen unterirdischen Gängen der olympischen Adler-Arena. Mit hängenden Schultern und aufeinander gepressten Lippen. Eine Viertelstunde später kam sie dann doch in Begleitung ihres Lebensgefährten Matthias Große zurück. „Ich habe alles gegeben. Aber was heraus gekommen ist, das ist Scheiße“, erklärte Pechstein, die am 22. Februar 42 Jahre alt wird. „Ich habe vorher gesagt, dass Platz eins bis sechs drin ist. Jetzt ist es leider nur die Holzmedaille geworden.“
Emotionen im zweiten Anlauf im Griff
Sie seufzte und verbarg ihre Augen hinter einer Sonnenbrille. Und dann ergriff Große, ein früherer Offizier der Nationalen Volksarmee, das Wort: „Gebt uns noch zwei Minuten.“ Den Mann mit den breiten Schultern und dem raspelkurzen Haar, der beim Weltcup in Berlin schon mal mit einem weißen Hummer vor die Halle fuhr, hatte Pechstein 2009 kennengelernt, als er sich gegen ihre Doping-Sperre einsetzte. Auch mit, sagen wir mal, ungewöhnlichen Mitteln. Selbst Mitgliedern im Sportausschuss des Bundestags soll er gedroht haben.
Bei ihrem zweiten Versuch in Sotschi, für das verpasste Ziel eine Erklärung zu finden, hatte Claudia Pechstein ihre Emotionen schon wieder einigermaßen im Griff. „Ich bin nicht zufrieden, wie ich die Geraden gelaufen bin“, sagte sie. „Ich kam von Anfang an nicht in meinen Rhythmus. Es ist enttäuschend, dass ich nicht das umgesetzt habe, was ich im Training gezeigt habe. Eigentlich muss ich mich mit meinen 41 Jahren nicht hinter meinem vierten Platz verstecken. Aber wenn ich jetzt nicht enttäuscht wäre, hätte ich auch etwas falsch gemacht.“
Zum ersten Mal hatte Pechstein aus ihren Streitigkeiten keine Kraft gezogen. Je mehr Konflikte sie in der Vergangenheit auszutragen hatte, desto stärker schienen ihre Leistungen zu sein. Andere zerbrechen an Disharmonie. So wie Stefanie Beckert, in Vancouver noch Team-Olympiasiegerin und zweimal Zweite. In Sotschi beendete die Erfurterin, die im Dauerzwist mit Pechstein lag, das Rennen nur auf Platz 17.
Zweiter Anlauf über 5000 Meter
2002 führte Pechstein einen medienwirksamen Zickenkrieg mit Anni Friesinger – und wurde Olympiasiegerin. Beide füllten sich mit ihrem Zoff die Konten. Pechstein musste allerdings später einen Teil ihrer Einkünfte für Rechtsanwälte ausgeben, weil sie sich mit allen Mitteln gegen ihre Dopingsperre wehrte, die der Weltverband (ISU) 2009 wegen erhöhter Blutwerte für zwei Jahre gegen sie verhängt hatte. Eine vererbte Blutanomalie sei die Erklärung für ihre erhöhten Retikulozytenwerte, sagt sie und bekam auch von einigen Wissenschaftlern Unterstützung. Die Sportgerichte wiesen ihre Einsprüche gegen das Urteil aber zurück.
Kurz nach den Winterspielen, am 26. Februar, wird in München vor Gericht über ihre Schadenersatzklage in Höhe von vier Millionen Euro gegen den Weltverband wegen Image-Schädigung verhandelt.
Vorher will sie aber in Sotschi einen zweiten Anlauf nehmen, ihre Rachegelüste erfolgreich ausleben zu können. „Die Russin Olga Graf hat heute den Lauf ihres Lebens gemacht und ist als Dritte vor mir gelandet. Über 5000 Meter soll mir das auch gelingen. Und dann sieht die Welt vielleicht schon wieder anders aus.“ Und als sie das sagte, sah sie schon fast wieder aus wie die ewige Kämpferin Claudia Pechstein.