Vancouver. . Von den „Glitch Games“ zu den „Golden Games“: Kanadas Olympische Winterspiele der gemischten Gefühle haben nach dem tödlichen Sturz des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwili kurz vor der Eröffnungsfeier eine bemerkenswerte Transformation erlebt.
Aus dem vorschnell als „Pannen-Spiele“ verspotteten Sport-Spektakel am Pazifik wurde für die Gastgeber ein Olympia der Menschen und Menschlichkeit, das zudem in einen wahren Goldrausch mündete. Der Gipfel für die Gastgeber war das Eishockey-Gold am Schlusstag durch das dramatische 3:2 im Finale gegen Erzrivale USA. Kanadische Athleten standen am Ende 14 Mal und damit öfter auf dem obersten Podestplatz als je zuvor bei Winterspielen. Dazu gab es noch siebenmal Silber und fünfmal Bronze. Nun zieht die Flamme weiter - bleibt das Feuer?
„Irgendetwas ist passiert in Vancouver und in ganz Kanada. Die Olympia-Euphorie hat das Land gepackt. Hier war die Bevölkerung wirklich Teil der Spiele und nicht nur als Zuschauer dabei“, bilanzierte VANOC-Chef John Furlong. Dabei wirkte der überschäumende Patriotismus nie überheblich, die Begeisterung ansteckend. Auch IOC- Präsident Jacques Rogge lobte die Macher vom Organisationskomitee VANOC. „VANOC hat tolle Arbeit geleistet, und die Sportler hatten großartige Spiele. Die Atmosphäre ist fantastisch. Die Athleten sind sehr glücklich“, adelte der belgische Boss des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Furlong und dessen Team.
Das ganze Land jubelt
Nach einer Serie von Problemen zu Beginn wendete sich das Blatt. Die anfängliche Kritik am Transportsystem, defekten Eismaschinen oder der Präsentation des olympischen Feuers verstummte, weil VANOC es schaffte, schnell zu reagieren. Schon am zweiten Wettkampftag gewann Buckelpisten-Held Alexandre Bilodeau die ersehnte erste Heim- Goldmedaille, fortan lag sich das ganze Land jubelnd in den Armen.
Eine nie gesehene Riesen-Party nahm ihren Lauf. Die Einnahmen aus den Souvenirverkäufen übertrafen alle Erwartungen. Es war nicht nur chic, das Ahornblatt auf Mützen, Schals, Jacken oder den roten Fausthandschuhen zu tragen, auch Restkontingente von Eintrittskarten gingen plötzlich weg wie nichts. „Wir haben es geschafft, jede zur Verfügung stehende Eintrittskarte zu verkaufen“, erklärte VANOC- Vizepräsident Dave Cobb. VANOC geht weiter davon aus, den operativen Olympia-Etat in Höhe von 1,76 Milliarden kanadischen Dollar (1,1 Milliarden Euro) ausgleichen zu können.
Großaufgebot von 16.500 Kräften
Keine Probleme gab es beim Thema Sicherheit. Ein Großaufgebot von 16 500 Kräften war zwischen Vancouver und Whistler im Einsatz. Die Kosten von knapp einer Milliarde Kanada-Dolalr (698 Millionen Euro) zahlte sich aus. Zwischenfälle im olympischen Hochsicherheitstrakt blieben aus. Wie bei den 25 000 freiwilligen Helfern funktionierte der Apparat mit fortschreitender Olympia-Dauer immer besser.
Als größte Hürde für einen reibungslosen Ablauf entpuppte sich das Wetter, das vor allem auf dem Cypress Mountain für viel Arbeit und Ärger sorgte. Die Austragungsstätte für Snowboard und Freestyle hielt den olympischen Anforderungen im wärmsten Vancouver-Winter seit 114 Jahren mit Mühe stand. „Der Berg hat uns schwer getestet“, räumte Furlong ein, „aber wir haben dort auch faszinierende Momente erlebt.“ Nicht zu vergessen sechs Bilderbuch-Sonnentage, die über das erste Olympia-Wochenende die Feierlaune anheizten.
Kritik an dem Programm „Own the Podium“
In den Medien fokussierte sich die Kritik vor allem auf das vieldiskutierte Programm „Own the Podium“ (Erobert das Podium). An ihm mussten sich Kanadas Olympioniken messen lassen. 117 Millionen Kanada-Dollar (82 Millionen Euro) investierten Regierung und das Nationale Olympische Komitee Kanadas (COC), um in Vancouver die meisten Medaillen zu gewinnen und Platz eins der Länderwertung zu übernehmen. Zur Halbzeit der Winterspiele räumte das COC das Scheitern des ambitionierten Planes ein, dessen Zukunft nun in den Sternen steht. Wenigstens in der Goldabrechnung belegten die Kanadier Platz eins.
Für Olympia-Cheforganisator Furlong steht fest, dass diese Winterspiele die Stadt Vancouver verändert haben: „Ich habe Bürgermeister Gregor Robertson schon gesagt, dass er eine ganz andere Stadt zurückbekommt, als vor den Spielen“. Bei aller rot-weiß-goldenen Euphorie wird Vancouver 2010 auch für Furlong für immer mit Kumaritaschwilis Unfalltod verknüpft sein. „Ich habe mich danach in mein Zimmer verkrochen und gedacht, oh mein Gott, wie soll ich damit bloß umgehen“ erinnert sich der sympathische Furlong, „sein Tod wird für immer Teil dieser Spiele sein.“ (dpa)