Turin. . Ausgerechnet im Land der Leidenschaften hat die Wintersport-Welt ein Olympia ohne große Emotionen erlebt. Dem Schauspiel auf Eis und Schnee mangelte es an strahlenden Helden und Emotionen, vor allem aber an der Begeisterung der Tifosi. Das IOC aber war zufrieden.
Die XX. Olympischen Winterspiele in Turin dürften als Jubiläum ohne Jubel in Erinnerung bleiben. Spannenden Sport gab es dennoch, und entgegen allen Befürchtungen waren die zweiten Winterspiele in Italien - 50 Jahre nach Cortina d'Ampezzo - fast perfekt organisiert. Und sie waren absolut sicher: Kein einziger ernsthafter Zwischenfall störte den olympischen Frieden.
So warfen nur die Wolken Schatten auf die 17 Olympia-Tage in der Hauptstadt des Piemont und der Bergregion um Sestriere - und Doping: Der Fall Olga Pylewa machte ebenso Negativ-Schlagzeilen wie der endlose Österreich-Skandal. Eine blitzsaubere Leistung lieferte dagegen das deutsche Team ab, das mit elf Gold-, zwölf Silber- und sechs Bronzemedaillen wie 1998 in Nagano wieder zur führenden Wintersportmacht aufstieg.
Motto der "geteilten" Spiele ging nicht auf
„Hier lebt die Leidenschaft“ - nur wo? Für viele ging das verheißungsvolle Motto der „geteilten“ Spiele einfach nicht auf. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass die Italiener sich auf die Winterspiele gefreut haben und sie hier haben wollten“, stellte der damalige Biathlon-Bundestrainer Uwe Müssiggang angesichts der mangelnden Atmosphäre in San Sicario fest.
„Das IOC ist glücklich und zufrieden mit den Spielen“, bilanzierte Jacques Rogge, der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC). Zuvor hatte er die Qualität der Wettkämpfe gelobt, aber manchmal die Zuschauer und den Enthusiasmus vermisst: „Insgesamt ist es so gelaufen, wie wir es erwartet haben“, meinte der Belgier, „aber nicht so, wie wir es uns gewünscht hätten.“ Von einer Million Tickets wurden 900 000 verkauft, bei etlichen Wettkämpfen blieben die Ränge jedoch fast leer.
Rekord-Einschaltquoten für europäische TV-Anstalten
Dabei wurden die Protagonisten vom Fernsehen spektakulär in Szene gesetzt, und die schönen Bilder kamen bestens an: Die europäischen TV-Anstalten freuten sich über Rekord-Einschaltquoten. Die deutschen Olympioniken jubelten über den Platz an der Sonne: Mit 29 Medaillen waren sie die strahlenden „Schneekönige“ der Spiele, obwohl das sieben weniger waren als vor vier Jahren in Salt Lake City. Zweitbeste Nation wurden die USA (9/9/7) vor Österreich (9/7/7).
Überragend in Schuss waren die Biathleten. Elf Medaillen erkämpften sie in zehn Wettbewerben, Michael Greis nimmt als erster Deutscher drei Goldmedaillen von Winterspielen mit nach Hause. Zum „König“ von Turin stieg indes Südkoreas neuer Shorttrack-Star Ahn Hyun-Soo (3/0/1) auf - als Nachfolger des vor vier Jahren mit vier Goldmedaillen dekorierten und diesmal enttäuschenden norwegischen Biathleten Ole Einar Björndalen. Aktive aus 26 Nationen, so viel wie noch nie, holten sich diesmal Medaillen ab.
Alpinen mit schlechtester Olympia-Bilanz aller Zeiten
Mit Doppel-Gold im Zweier und Vierer ist Bob-Pilot André Lange (Oberhof) nun auf Augenhöhe mit den Legenden Meinhard Nehmer und Wolfgang Hoppe. Schatten auf die glänzende Vorstellung warfen die Alpinen mit der schlechtesten Olympia-Bilanz überhaupt sowie die medaillenlosen Skispringer und Eiskunstläufer, die drei Wochen lang nur durch den „Fall Steuer“ für Aufsehen sorgten.
Team- Olympiasiegerin Anni Friesinger konnte sich den Traum von Einzel-Gold auf dem Eisschnelllauf-Oval diesmal nicht erfüllen. Dagegen katapultiert sich Rivalin Claudia Pechstein mit fünf Gold- sowie je zwei Silber- und Bronzemedaillen seit 1992 als erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin überhaupt auf Rang fünf der „ewigen“ Bestenliste.
„Wir sind sehr stolz auf unsere Bilanz“, sagte Klaus Steinbach, der Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK). „Die Biathleten stehen an allererster Stelle für unser hervorragendes Ergebnis.“ Angesichts wachsender Konkurrenz aus immer mehr Ländern sei dies umso bemerkenswerter.
84 Entscheidungen in 15 Disziplinen
„Die Leistung kann man wirklich nur als sensationell bezeichnen“, lobte auch Rogge-Nachfolger Thomas Bach, der die Spiele als „gelungene Balance zwischen Tradition und Fortschritt“ bezeichnete. Das Programm mit den 84 Entscheidungen in 15 Disziplinen war ein „Riesenerfolg“, es bestehe „kein großer Veränderungsbedarf“, betonte der Bach. Der dreimalige Rodel-Olympiasieger Georg Hackl scheiterte dagegen bei der Wahl für die 15-köpfige Athletenkommission des IOC ebenso wie mit dem Versuch, seine sechste Medaille einzufahren.
Nach den „Doping-Spielen“ von Salt Lake City mit insgesamt sieben Fällen und dem Mühlegg-Skandal um Blutdoping ging den Fahndern in Turin „nur“ die Skilangläuferin Pylewa ins Netz. Dabei wurden vor und bei den Winterspielen 1200 Kontrollen durchgeführt - ein Rekord. Die Testergebnisse von zehn österreichschen Athleten nach der Razzia in ihren Quartieren waren zwar negativ, dennoch wird die Affäre ein Nachspiel haben. (dpa)