London. Das hat es noch nicht gegeben: Drei Goldmedaillen holten die britischen Leichtathleten am Samstagabend - innerhalb von 37 Minuten. Besonders die Läufer aus Äthiopien und Kenia schauten sich fassungslos an.

Manche mögen’s leis, aber die sind in diesem Augenblick im Olympia-Stadion von London am falschen Platz. Es ist aufregender als der Nervenarzt erlaubt. Siebenkämpferin Jessica Ennis, Weitspringer Greg Rutherford und 10.000-m-Läufer Mo Farah haben innerhalb von 37 Minuten für die Gastgeber drei Goldmedaillen in der Leichtathletik gewonnen. Zuvor hatten die Briten in der Geschichte des Sports noch nie drei Leichtathletik-Medaillen an einem ganzen Tag gewonnen. 80.000 Zuschauer toben. So laut dürfte es direkt vor den Boxen beim Konzert der Heavy-Metal-Band Motörhead sein.

Für die Konkurrenz aus aller Welt ist es gut, dass der Tag damit lautstark zu Ende geht. Die Leichtathleten in den Trikots mit den Farben des Union Jacks könnten an diesem Abend vermutlich auch über Wasser gehen und würden einfach weiter alles abräumen.

Ziegenmilch war nicht nötig

In dem Lärm und der Hektik schmuggelt sich ein kleines Mädchen an den Soldaten vorbei und wagt sich Schritt für Schritt weiter auf die Laufbahn. Dann ist es bei Mo Farah angekommen. Der 29-Jährige hebt das Mädchen hoch. Es ist Rihanna (6), seine Stieftochter. Seine Frau Tania geht langsam hinterher. Sie ist im neunten Monat mit Zwillingen schwanger. Sie durfte nur in Begleitung ihres Arztes ins Stadion.

Mo Farah umarmt seine Familie, möchte aber am liebsten die ganze Welt umarmen. Er lacht. Er ist am Ziel angekommen. Als er im Alter von acht Jahren mit seinem englischen Vater und seiner somalischen Mutter aus Afrika nach England kam, konnte er drei Sätze Englisch. „Excuse me“, „Where is the toilet“ und „Come on boys!“

Nun lehnt er lässig an der Bande des Stadions und plaudert ins Mikrofon des Fernsehsenders BBC. In 27:30,42 Minuten hat er gewonnen. Auf dem zweiten Platz der US-Amerikaner Galen Rupp (27:30,90), ein Weißer. Über Weiße hat man gesagt: Sie können jeden Morgen drei Liter Ziegenmilch trinken und werden trotzdem nicht so schnell wie die afrikanischen Langlauf-Wunder. Zumindest an diesem Abend ist die These falsch.

Die Läufer aus Äthiopien und Kenia schauen sich fassungslos an. Sie sind viel gelaufen und haben wenig bewegt. Tariku Bekele aus Äthiopien (27:31,34) ist auf dem dritten Platz bester Afrikaner.

Während Mo Farah seine Ehrenrunde beginnt, ist Weitspringer Greg Rutherford gerade damit fertig. Er hat sich die britische Fahne über die Schulter gelegt. Im ersten der sechs Versuche ist er bei 6,28 Metern in den Sand gekracht. Bei manchen Schulsportfesten springen sie weiter. Doch dann, im vierten Versuch, fliegt er und fliegt, bis er bei 8,31 Metern landet. Gold vor dem Australier Mitchel Watt (8,16) und dem US-Amerikaner Will Claye (8,12).

Worte zum Einrahmen

Mit Rutherford hat an diesem Abend niemand gerechnet, er ist die Überraschung, der Brite mit Sahne. Er weiß das und sagt: „Mir geht es so unglaublich gut. Ich weiß gar nicht, womit ich das alles verdient habe. Ich habe eine wunderbare Freundin, ich bin gesund, alle unterstützen mich, und jetzt bin ich auch noch Olympia-Sieger. Ich habe fast schon ein schlechtes Gewissen, so gut geht es mir.“

Worte, die man sich am liebsten einrahmen und aufhängen würde.

Während sich Rutherford eher leise freut, zeigt Siebenkämpferin Jessica Ennis ihre Muskeln. Unter ihrem kurzen Trikot-Top spannt sich ihre Bauchmuskulatur als Sixpack. Wenn sie die britische Fahne schwenkt, zeichnen sich Trizeps und Bizeps unter der Haut der Oberarme ab.

Die Königin der Athleten hat die Konkurrenz mit 6955 Punkten förmlich in den Boden gerammt. Lilli Schwarzkopf ist mit 6649 Punkten auf dem Silber-Rang fast schon eine Ewigkeit entfernt. Und dabei muss die Deutsche nach einer kurzzeitigen Disqualifikation (Bericht 2. Sportseite) sogar noch um ihre Medaille zittern. Doch dieses Theater ist den Briten im Lärm der 80.000 Zuschauer ziemlich egal.

Kurz vor Mitternacht gehen Ennis, Rutherford und Farah noch gemeinsam durch die Katakomben des Olympiastadions. Nun, fast zwei Stunden nach dem dramatischen Finale des Tages, sieht man ihnen auch die Erschöpfung an.

Jessica Ennis sagt am nächsten Morgen sogar ihren eigentlich geplanten Start im Hürdensprint über 100 Meter ab. Sie sei zu müde, lässt sie ausrichten. Und sie weiß natürlich auch: So einen goldenen Tag wird es so schnell nicht wieder geben.