Berlin. Seit 2008 gab es keine Olympia-Medaillen mehr fürs deutsche Schwimm-Team. Weltmeister Florian Wellbrock soll die Durststrecke beenden.

Seit Peking 2008 haben die deutschen Beckenschwimmer bei Olympischen Spielen keine Medaille mehr gewonnen. Florian Wellbrock (23), Weltmeister über 1500 Meter Freistil und im Zehn-Kilometer-Freiwasserschwimmen, trägt die größten Hoffnungen, dass diese Phase in Tokio, wo am 23. Juli die Spiele beginnen, endet. Er hat pro Woche fast 100 Kilometer im Wasser zurückgelegt, um diese Erwartungen zu erfüllen, fühlt sich in Topform und ist voller Zuversicht.

Herr Wellbrock, wie ist die Stimmung kurz vor den Olympischen Spielen im deutschen Schwimmteam? Und wie ist sie konkret bei Ihnen?

Florian Wellbrock: Bei mir ist sie recht entspannt. Ich hatte ein paar Tage zum Durchschnaufen, und die habe ich auch genau dazu genutzt – versucht, im Kopf noch gelassen zu sein und mich nicht pausenlos mit Tokio zu beschäftigen. Im gesamten DSV-Team ist die Stimmung sehr gut. Wir haben meiner Meinung nach eine sehr schöne Mischung aus etablierten, erfahrenen und neuen, jungen Sportlern. Das bringt insgesamt einen sehr guten Wind in die Mannschaft.

Ihre Olympia-Generalprobe in Banyoles, wo Sie an den spanischen Meisterschaften teilgenommen haben, verlief sehr gut, Sie haben das Zehn-Kilometer-Rennen gewonnen. Hat Sie das auch ein Stück weit erleichtert? Zu erkennen, dass Sie kurz vor Tokio richtig ins Rollen kommen?

Auf jeden Fall. Wir haben den Wettkampf in Banyoles direkt nach dem Trainingslager ganz erfolgreich bestritten. Das gibt natürlich zusätzliches Selbstvertrauen, wenn man merkt, dass alles passt. Das lässt einen entspannter in die Wettkämpfe in Tokio reingehen.

"Das eine Jahr Wartezeit stört nicht großartig"

Ich frage auch deshalb, weil der olympische Zyklus durch die Verlegung der Spiele um ein Jahr doch völlig durcheinandergeraten sein muss, der vier Jahre dauernde Aufbau auf den einen Höhepunkt hin.

Man hat natürlich schon gemerkt, dass es diesmal länger ist, eben fünf Jahre. Ich denke allerdings, das war für den Kopf eine größere Belastung als für den Körper. Es hat sich auch deshalb so lang angefühlt, weil es im letzten Jahr so wenig Wettkämpfe gab. Aber die Sportler, die in Tokio erfolgreich sein wollen, sind so fokussiert und wissen, wofür sie das tun. Da stört das eine Jahr Wartezeit nicht großartig.

Gerade auf dem Doppel-Weltmeister Wellbrock ruhen große Hoffnungen. Es gab zuvor nur Nullnummern in London und Rio. Wie sehen Sie Ihre Chancen, diese Negativserie zu beenden?

Ich denke, sie sind sehr gut! Ich weiß, dass ich sehr gut in Form bin. Das Trainingslager lief einwandfrei. Das gesamte DSV-Team ist gesund und verletzungsfrei geblieben. Deshalb bin ich guter Dinge, dass es in Tokio erfolgreiche Spiele werden.

Spielt Ihnen ein bisschen in die Karten, dass einer Ihrer großen Rivalen, der Italiener Gregorio Paltrinieri, am Drüsenfieber erkrankt ist?

Das kann man sehen, wie man will. Auf der einen Seite ist es vielleicht für mich ganz gut, falls ein so starker Konkurrent fehlt. Auf der anderen Seite bin ich aber mit ihm ganz gut gestellt und weiß natürlich, was das für ein großer Mist ist für einen Sportler, wenn er vor den Olympischen Spielen schwer erkrankt. Als ich davon hörte, habe ich ihm direkt eine Nachricht geschrieben und ihm alles Gute gewünscht. Ich hoffe, dass er bis dahin wieder fit ist und wir einen fairen Wettkampf auf Augenhöhe austragen können.

Wellbrock: Das Beckenschwimmen ist immer etwas planbarer

Paltrinieri ist genau wie Sie sehr schnell im Becken und im Freiwasser unterwegs, somit in beiden Disziplinen einer Ihrer größten Gegenspieler. Wo sehen Sie selbst für sich die größeren Chancen: im Freiwasser oder im Becken?

Ich glaube, dass meine Chancen momentan im Becken ein bisschen größer sind. Gerade auf den 1500 Metern bringe ich relativ viel Erfahrung mit. Außerdem ist das Beckenschwimmen immer etwas planbarer. Im Freiwasser kann man einen Tritt oder einen Ellbogen abbekommen, der das ganze Rennen durcheinanderbringt. Das hat man im Becken nicht, deswegen ist dort alles etwas vorhersehbarer.

Zum Glück sind Sie nicht der einzige aus dem DSV-Team, der mit Medaillenchancen in Tokio an den Start geht. Sicher drücken Sie Ihrer Verlobten Sarah Köhler die Daumen, die ebenfalls auf den langen Freistildistanzen Mitfavoritin ist. Auf wen setzen Sie noch?

Natürlich wünsche ich besonders Sarah, dass sie eine Medaille holt (lacht). Neben ihr setze ich auf Franziska Hentke über 200 Meter Schmetterling, Lagenschwimmer Philip Heintz, Marko Koch über 200 Meter Brust und meine Wenigkeit. Wir sind alle etablierte Sportler. Ich denke, dass wir die größten Chancen auf Edelmetall bei den Spielen haben.

"Das ganze, gewohnte sportartenübergreifende Multikulti fehlt"

Sie waren als Neuling schon vor fünf Jahren in Rio de Janeiro am Start. Was erwarten Sie nun in Tokio? Das werden Olympische Spiele ohne Fans, vermutlich ohne ein großes Zusammentreffen der Nationen. Die Party fällt aus – freuen Sie sich trotzdem darauf?

Ich freue mich erst mal, dass die Wettkämpfe überhaupt stattfinden. Darüber wurde ja lange diskutiert. Das ganze, gewohnte sportartenübergreifende Multikulti fehlt natürlich, das wird’s nicht geben. Aber im Endeffekt bin ich vor allem froh, dass wir antreten können, denn dafür haben wir die letzten fünf Jahre trainiert. Und man muss jetzt eben vernünftig sein in der Corona-Zeit. 2024 kommen dann die nächsten Spiele, die hoffentlich wieder normal sein werden.

Wie weit planen Sie voraus?

2024 mache ich auf jeden Fall mit. Wenn ich dann noch Lust habe und die Gesundheit mitspielt, dann kann man auch 2028 angehen.

Angenommen, dass es überhaupt möglich ist: Welche Sportart würden Sie sich als Zuschauer am liebsten ansehen?

Ich würde am liebsten ins Leichtathletikstadion gehen. Allein aus dem Grund, dass dort immer mehrere Disziplinen gleichzeitig stattfinden werden. Da ist die Stimmung noch mal atemberaubender, das finde ich extrem spannend. Das kenne ich aus dem Schwimmen nicht, deshalb würde mich das am meisten interessieren.

Was wünschen Sie sich für die Spiele in Tokio, Herr Wellbrock?

Natürlich, dass ich Erfolg habe, dass ich zufrieden wieder nach Hause komme. Außerdem gesund, das ist ja gerade besonders wichtig.