Frankfurt/Main. Von 100 potenziellen Olympia-Fahrern haben nur 18 Fußballer für Tokio zugesagt. Max Kruse hofft dennoch auf die Goldmedaille.
Die berühmte Faust in der Hosentasche ballte Stefan Kuntz nicht. Stattdessen hatte der Trainer zumeist die Arme verschränkt und beobachtete im Regenwetter auf der Kleinen Kampfbahn an der Wintersporthalle im Schatten der Frankfurter Arena die erste Trainingseinheit jener Profis, die bald als „Team D Fußball“ die deutschen Farben beim Olympischen Fußballturnier vertreten. In der Übungsstunde vor dem Abflug nach Tokio steckte einiges an Intensität, auch etliches an Spaß, aber trotzdem hätte der 58-Jährige an der Seitenline gerne mehr gesehen – mehr Spieler vor allem.
Es spielen vielschichtige Gründe hinein, dass der deutsche Fußball nur 18 von 22 möglichen Akteuren für dieses bedeutende Event nominiert. „Einige Spieler wollten nicht, und dann haben wir einige Vereine, die mit der Unterstützung hinter dem Berg gehalten haben. Ich finde, das ist kein optimales Zeichen. Es gibt sonst wohl keine Sportart, in der nicht alle möglichen Kaderplätze besetzt werden“, sagte Kuntz mit einem süffisanten Lächeln, wo eine sauertöpfische Miene beim gebürtigen Saarländer besser gepasst hätte. Für den Erfolgscoach der U21-Europameister bedeutet das: Wenn sich nur ein einziger Feldspieler eine Zerrung holt, das Band anreißt oder an Corona erkrankt, kann die deutsche Mannschaft ihre fünf Wechseloptionen nicht mehr ausschöpfen – es sei denn, die Ersatztorhüter Luca Plogmann (Werder Bremen) oder Svend Brodersen (Yokohama FC) versuchen sich als Feldspieler. Nachnominierungen kann es nicht mehr geben, stellte Kuntz klar: „Wir mussten im Januar eine 100er Liste erstellen. Wir haben alle Spieler auf dieser Liste abtelefoniert. Diese 18 sind übrig geblieben.“
Olympia: Routinier Max Kruse soll für Deutschland vorangehen
Eine Fifa-Abstellungspflicht besteht nicht, weshalb der Deutsche Fußball-Bund (DFB) gegenüber Vereinen und Spielern wie ein Bittsteller auftrat und sich teilweise eine blutige Nase holte. Meister FC Bayern gab beispielsweise nicht mal seinen Ersatzkeeper Ron-Thorben Hoffmann frei. Die letzte Absage kam am Montag von Ismail Jacobs, der kurzfristig vom 1. FC Köln zum AS Monaco wechselte. Ein Beispiel von vielen: Niklas Dorsch als Leistungsträger von den U21-Europameistern will nach seinem Wechsel zum FC Augsburg sich lieber beim neuen Arbeitgeber empfehlen, statt das zweite Sommerturnier für Deutschland zu spielen.
Doch was im Einzelfall verständlich sein kann, ist fürs große Ganze fatal: Nur ein Rumpfaufgebot bestieg den Abendflieger gen Osten, der am Mittwoch zur Mittagszeit in Tokio erwartet wird. Dann geht es weiter nach Osaka, um dann sich im Trainingslager in Wakayama den Feinschliff für die herausfordernden Gruppenspiele gegen Brasilien (22. Juli/13.30 Uhr/ARD), Saudi-Arabien (25. Juli/13.30 Uhr/ZDF) und die Elfenbeinküste (28. Juli/ ZDF) zu holen. Kuntz wollte zwar über nicht mehr als das Erreichen des Viertelfinals reden, aber vielleicht hat er wieder die richtigen Typen dabei.
Max Kruse hätte den Motivationsvortrag der Handball-Heroen Stefan Kretzschmar und Christian Schwarzer am Montagabend in einem Frankfurter Flughafenhotel wohl gar nicht gebraucht, denn der 33-Jährige sprühte nicht nur vor Spielfreude, sondern gab in der Mixed Zone auch den Motivator für die Japan-Mission, die der Führungsspieler von Union Berlin nach der vermasselten Europameisterschaft der A-Nationalmannschaft mit einem übergeordneten Auftrag versah: „Wir wollen wieder Spaß am Fußball nach Deutschland transportieren. Solange wir elf Leute auf den Platz bekommen, werden wir alles versuchen, die Goldmedaille zu holen.“
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2016 scheiterte Deutschland bei Olympia erst im Finale
2016 scheiterte die von Horst Hrubesch trainierte Olympia-Auswahl nach einer Reihe begeisternder Auftritte erst in Rio de Janeiro gegen Gastgeber Brasilien unglücklich im Finale im Elfmeterschießen. Im Nachhinein war niemand zu finden, der damals die Eindrücke und Erfahrungen missen möchte. Deshalb glaubt auch Maximilian Arnold (VfL Wolfsburg), mit Kruse und Nadiem Amiri (Bayer Leverkusen) einer von drei älteren Akteuren, dass sich „alle noch in den Hintern beißen, die nicht dabei sind.“ Auch der Sportliche Sportlichen Leiter Joti Chatzialexiou findet die Geringschätzung unangebracht, weil vor fünf Jahre viele Spieler nicht nur in der Persönlichkeitsentwicklung, sondern auch die Vereine von gestiegenen Marktwerten profitiert hätte. Bestes Beispiel: Serge Gnabry, der erst unter den Olympischen Ringen so richtig ins Laufen kam. Überdies würde der deutsche Fußball, bedauerte die rechte Hand von DFB-Direktor Oliver Bierhoff, leider den olympischen Geist „ein bisschen mit den Füßen treten“.