Schwergewichtsboxer Ammar Riad Abduljabbar tritt in Tokio bei den Olympischen Spielen an. Sein Handschuh muss immer perfekt sitzen.
Eine Mischung aus Entsetzen und Ungläubigkeit ist es, die sich aus Ammar Riad Abduljabbars Gesicht ablesen lässt. „Das haben die wirklich gemacht?“, fragt er seinen Trainer Christian Morales, „dann ist es ja wirklich wichtig, dass das so genau kontrolliert wird.“ Morales nickt und sagt: „Es ist schön zu sehen, dass Ammar über solche Dinge noch nie nachgedacht hat.“
Ammar Riad Abduljabbar ist einer von drei deutschen Boxern, die sich für die Olympischen Sommerspiele in Tokio qualifiziert haben. Der 25 Jahre alte Hamburger wird im Schwergewicht bis 91 Kilogramm um eine Medaille kämpfen, und wer weiß, welch harten Weg der 2010 aus dem Irak nach Deutschland gekommene und 2018 eingebürgerte Athlet gegangen ist, um in Japan ins Seilgeviert zu steigen, der kann ermessen, dass er alles tun würde, um mit Edelmetall von seiner Olympia-Premiere zurückzukommen. Alles, und diese Einschränkung ist wichtig, was im Rahmen des Erlaubten möglich ist.
Kontrollen vor dem Kampf
Für diese Serie soll der Offensivboxer über sein wichtigstes Werkzeug sprechen, die Handschuhe. Dass sie vor jedem Kampf erst kurzfristig an die Athleten ausgeteilt werden und das korrekte Anlegen mehrfach kontrolliert wird, hat ihn immer schon gewundert. Aber dann erzählt sein Coach die Geschichte des britischen Supermittelgewichtsprofis Glenn Catley, der im Jahr 2000 seinen WBC-WM-Titel überraschend an den Südafrikaner Dingaan Thobela verlor, dem später nachgewiesen wurde, seine Handschuhe mit einer Betonmischung ausgepolstert zu haben, um die Schlagwirkung zu erhöhen.
Aktenkundig ist auch der Betrugsversuch des polnischen Schwergewichtlers Mariusz Wach, der vor dem WM-Duell mit Wladimir Klitschko 2012 in Hamburg die Polsterung im Handschuh seiner Schlaghand entfernt hatte – was Wladimirs Bruder Vitali glücklicherweise rechtzeitig auffiel. Dass Boxer zudem versuchen, ihr Schlagwerkzeug mit augenreizenden Substanzen zu präparieren, um dem Gegner die Sicht zu nehmen – auch das ist nichts Neues. Für Ammar Riad Abduljabbar allerdings schon. „Ich habe davon noch nie gehört und würde niemals so etwas tun“, sagt er.
Seine ersten eigenen Boxhandschuhe konnte er sich erst in Deutschland kaufen, und das auch nur, weil er einen Onkel um Geld bat. „Ich habe sie für 50 Euro gebraucht gekauft und sie ganz stolz im Training bei meinem ersten Verein HBC Heros getragen. Leider habe ich sie heute nicht mehr“, sagt er. Seine Handschuhe aus Tokio will er, wenn möglich, mitnehmen.
IOC bestimmt den Ausrüster
Als vom Deutschen Boxsport-Verband (DBV) geförderter Athlet muss sich der Kapitän des Bundesligateams Hamburg Giants keine Gedanken mehr um seine Ausrüstung machen. Im Training trägt er zwar am liebsten die Handschuhe seiner favorisierten Marke Paffen Sport, im Wettkampf jedoch hat er keine Wahl. Während sich im Profilager die beiden Kontrahenten auf die Marke einigen können, schreibt bei Amateurturnieren der Veranstalter im Sinne der Chancengleichheit vor, welcher Ausrüster die Handschuhe stellt. In Tokio ist das Internationale Olympische Komitee dafür verantwortlich, da der Amateurbox-Weltverband Aiba wegen diverser Unregelmäßigkeiten aktuell suspendiert ist.
Für die Handschuhe gelten eine Reihe an festgelegten Kriterien. Seit 1892 wird mit Polsterung gekämpft. Während diese früher vornehmlich aus Rosshaar bestand, wird heutzutage hochwertiger Schaumstoff verarbeitet. Der Überzug muss aus echtem Leder bestehen. Vorgeschrieben ist auch das Gewicht eines Handschuhs, das im olympischen Boxen bei den Gewichtsklassen bis 69 Kilogramm zehn Unzen und darüber zwölf Unzen beträgt, wobei eine Unze 28,35 Gramm entspricht. Variabel ist allerdings, wie dieses Gewicht verteilt wird. So gibt es Hersteller wie Reyes oder Grant, die die Handschuhe eher am Handgelenk verstärken und die Polsterung vernachlässigen, was sie extrem hart macht. Top Ten dagegen legt Wert auf eine sehr weiche Polsterung.
Tape gegen Schnittverletzungen
Ammar Riad Abduljabbar hat keine Präferenz, was die Gewichtsverteilung angeht. Für ihn ist viel wichtiger, dass sich der Handschuh stramm an die Hand anpasst und er seine Faust fest schließen kann. Die Schnürung oder der Klettverschluss – beides ist gestattet und wird im Kampf mit Tape abgeklebt, um Schnittverletzungen im Gesicht des Gegners zu verhindern – muss für ihn am Handgelenk so fest sitzen, dass praktisch kein Blut mehr fließen kann. „Ich mag es nicht, wenn die Hand im Handschuh rutscht“, sagt er. Dasselbe gilt für das Tape an den Händen, das die Boxer bis unterhalb der Fingerknöchel anlegen dürfen.
Zwei Stunden vor einem Kampf beginnen sein Trainer und er mit dem Wickeln des Tapes, das rund 30 Minuten in Anspruch nimmt. Danach startet die Erwärmung – noch ohne Handschuhe. Die zieht Ammar Riad erst maximal 20 Minuten vor dem ersten Gong an, aus triftigem Grund: „Ich bin vor Kämpfen aufgeregt und muss mehrmals pinkeln.“ Und das funktioniert selbst mit den flexibelsten Boxhandschuhen nicht.