Pyeongchang. . Mit ihrem Antritt beim Start ist Annika Drazek wie ein Motor im Zweierbob. Am Mittwoch kann die Ex-Leichtathletin mit Stephanie Schneider sogar zu Gold rasen.
Zwei Tage nach dem Olympiasieg von Francesco Friedrich und Thorsten Margis kann das deutsche Bob-Team auf weitere Medaillen hoffen. Zur Halbzeit des Frauen-Rennens führt überraschend Mariama Jamanka mit Lisa Buckwitz. Stephanie Schneider und die an Fußbeschwerden leidende Annika Drazek liegen auf Rang drei. „Wir hatten schon Angst, dass sie nicht teilnehmen kann“, so Bundestrainer Rene Spies über den Gesundheitszustand der Anschieberin.
„Ich war total baff. Ich war noch nicht einmal zufrieden mit den Läufen“, sagte Jamanka. „Anscheinend habe ich eine Abkürzung gefunden.“ Aber auch für Schneider/Drazek ist mit einem Rückstand von 0,3 Sekunden noch alles drin.
Anja Schneiderheinze hat die Rennen am TV verfolgt. Kaum jemand kennt die Vorzüge von Drazek besser als die ehemalige Pilotin aus Erfurt.
Nach WM-Silber 2015 raste sie mit der Gladbeckerin 2016 in Igls zum WM-Titel: „Auch wenn es keine offiziellen Vergleiche gibt, glaube ich, dass sie aktuell die beste Anschieberin der Welt ist“, sagt die 39-Jährige. „Wo Anni schiebt, ist vorn.“
Auch Olympiasieger Margis spricht voller Respekt von der Teamkollegin: „Sie hat mit die besten athletischen Voraussetzungen aller Starterinnen.“ Und ihr Heimtrainer Heiner Preute, der sie einst zum Bobsport brachte, sagt: „Anni ist eine Wettkampfsau. Sie wird sich aufpumpen und alles geben.“ Am Mittwoch ab 12.40 Uhr (ZDF/Eurosport) steht die Entscheidung an.
In einer Bob-Welt, in der die Beifahrer meist im Schatten ihrer Piloten stehen, gehört der 22-Jährigen das Rampenlicht. Sie ist so etwas wie die wichtigste Frau im deutschen Team. Denn das, was Drazek anpackt, verspricht Erfolg.
Niemand ist in der Lage, den 170 Kilogramm schweren Schlittern derart zu beschleunigen wie die frühere Sprinterin. Sie selbst will ihre Rolle aber nicht überbewerten und meint: „Vielleicht gebe ich den Pilotinnen durch einen guten Start mehr Sicherheit. Aber lenken müssen ja sie.“
Aber Spies weiß, was er an ihr hat. Um die Chance auf die erste Olympia-Medaille seit Sandra Kiriasis 2006 zu wahren, packte er seine Schlüsselfigur in Watte. Bei den ersten drei Weltcups wurde sie geschont, bloß keine Krankheit oder Verletzung riskieren. Statt nach Übersee ging es in den Kraftraum: Athletik- und Techniktraining. Drazek stemmte Gewichte, machte Kniebeugen mit 200 Kilo auf den Schultern und fühlte sich danach „drei Zentimeter kleiner“.
Die schweißtreibenden Einheiten zahlten sich aus. Die groß gewachsene Blondine verbesserte ihre ohnehin schon beeindruckenden Kraftwerte und brachte die Kraft aufs Eis. Meist profitierte in dieser Saison die Oberhoferin Jamanka davon.
Planänderung im Januar
Im Januar änderte der Bundestrainer jedoch die Besetzungen. Weil Schneider ebenfalls eine starke Sprinterin ist, bekam sie Drazek zugeteilt. Diese Kombination versprach den größten Erfolg – auch wenn aktuell Jamanka/Buckwitz vorn liegen. Drazek war einst eine talentierte Sprinterin, was ihre Explosivität erklärt. Spies fiel die junge Frau bei einem Sportfest auf. Er dachte zuerst, sie sei Speerwerferin. Als er sie dann über die Hürden fliegen sah, war er begeistert.
Drazek selbst fand den Gedanken an einen Umstieg von der Laufbahn in die Eisrinne anfangs alles andere als reizvoll: „Ich dachte: Was soll das? Ich bin doch Sommersportlerin; Schönwettersportlerin“, sagte sie. Und bei ihren ersten Fahrten 2013 in Winterberg hätte sie nach ein paar Kurven nicht mehr gewusst, „wo unten und oben ist“.
Aber die Musterschülerin gewöhnte sich an die rasanten Ritte talwärts mit 130 Sachen. Mittlerweile ist sie eine feste Größe im internationalen Bobsport, die ersten Erfolge sind verbucht. In Pyeongchang will sie sich heute den Traum von einer Olympia-Medaille erfüllen.