Pyeongchang. . Mit Tee, Tanz und T-Shirts kämpfen die russischen Sportler gegen die empfundene Demütigung. Russland darf nicht spürbar sein, ist aber da.
Man soll sie nicht sehen, aber Oksana hat mehr oder weniger bewusst alles dafür getan, um doch mit ihr aufzufallen.
Ein Olympia-Abend in Gangneung, die Moskauerin will mit ihrer Freundin Natalja die olympischen Wettbewerbe der Shorttracker aufsuchen. Ihr figurbetonter Einteiler erinnert an die Skianzüge aus den 80er-Jahren, nur nicht in grellen Tönen gehalten, sondern in kräftigem Rot. Wandert der Blick hoch zum hübschen Gesicht der 23-Jährigen, sieht man sie: Auf ihren Wangen ist in Weiß-Blau-Rot die russische Flagge aufgemalt, auf dem Kopf trägt Oksana selbiges Motiv als Pudelmütze. „Diese Athleten sind der Stolz unserer Nation“, sagt die Studentin und überschlägt sich förmlich mit Pathos: „Wir werden für sie klatschen, bis unsere Hände weh tun.“
Zu Neutralität verpflichtet
Was für Oksana und ihre Landsleute selbstverständlich ist, die bei den Schlittschuhwettbewerben und Eishockeyspielen oft bis zu zwei Blöcke der Arenen in der Hafenstadt am Japanischen Meer rot färben, steht für Russlands 167 Sportler bei den Spielen in Pyeongchang unter Höchststrafe. Sie sind vom IOC eingeladene, aber nur geduldete Athleten. Wegen des Dopingskandals und des suspendierten Nationalen Olympischen Komitees dürfen die als sauber geltenden Sportler in Südkorea starten, aber bei Siegerehrungen keine Fahnen von Fans entgegennehmen, nicht ihre Hymne hören. Und sie müssen neutrale Kleidung tragen, auf der rechten Brusttasche ist OAR eingestickt: Olympische Athleten aus Russland.
Aber wie viel Russland steckt eigentlich in Olympia?
Russen, die eine Portion Nationalstolz erfahren wollen, setzen sich dann am besten in ein Taxi. Wenige Kilometer vom Eisstadion entfernt, nahe des Strandes, steht in einer Seitenstraße ein Gebäude, das bis zur Suspendierung des russischen NOK durch das IOC als russisches Haus bezeichnet worden wäre und in dem wie in der Vergangenheit Wodka-Gelage gefeiert wurden. Jetzt darf es niemand mehr so nennen, de facto ist es das aber, das „Sports House“ – und es bietet den Besuchern eine Schocktherapie in Sachen Heimatliebe. Rot, rot, rot sind alle seine Farben: Auf Bannern, T-Shirts und Kappen prangt, social-media-freundlich, das Motto #russiaintheheart – Russland im Herzen. Wer fremd ist im Sports House, fühlt sich einer Gehirnwäsche ausgesetzt.
Das Herzstück des Hauses ist ein Saal: Die Decke sieht aus wie der Boden eines Schwimmbads, unten ertrinkt man dann in weiß-blau-rotem Herzschmerz. Am Ende eine Riesenleinwand, eingerahmt von meterhohen Matrjoschkas. Eigentlich viel zu junge Mädchen, die aber zu den Angestellten gehören, tanzen zu russischer Volksmusik.
Eine Ausstellung zeigt die acht olympischen Eishockey-Goldmedaillen der Sbornaja samt der damaligen Trikots. Ein Mann mit den Körpermaßen eines Viererbob-Anschiebers verteilt Fähnchen. Auf der anderen Seite des Raumes gibt’s zum Haselnusskuchen Tee aus einem Samowar. Der Becher droht aus der Hand zu fallen, sobald man eine Staffelei von elf Großaufnahmen erblickt – auf acht von ihnen ist Wladimir Putin zu sehen, auf einem mit dem vom Olympischen Komitee lebenslang gesperrten russischen Vize-Premierminister Witali Mutko. Mit absurder Überkompensation wird den als Demütigung empfundenen Sanktionen entgegengetreten.
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Den Athleten, die hinter Kanada und den USA die größte Delegation in Pyeongchang stellen, wird gestattet, bei den Spielen ihren Stolz auszuleben, nicht aber über die Stränge zu schlagen. Anlass dazu hatten sie wegen einer Silber- und vier Bronzemedaillen nach sechs Wettkampftagen nicht.
Im Olympischen Dorf fallen sie auch kaum auf, Silber-Rodlerin Dajana Eitberger kann sich kaum an Berührungspunkte mit den Osteuropäern erinnern – und wenn doch, dann wurde nicht über Doping gesprochen, weil man niemanden unter Generalverdacht stellen wollte. Auch eine Form von Fair Play unter den Sportlern.
Einen mehr oder weniger strengen Blick wirft das IOC auf das Sports House. Es toleriert dessen Existenz, weil es nicht vom NOK betrieben wird. Dafür aber von einem Wettanbieter und der „Stiftung russischer Olympiateilnehmer“ mit Kreml-nahen Oligarchen.
Und die Hymne wird doch gespielt
Und um ein paar Provokationen kommen sie nicht herum: Stehen Russen auf dem Siegerpodest, wird wenigstens im Sports House die Hymne gespielt. Die Gäste salutieren und lassen die Hacken aneinander schlagen. Medaillengewinner dürfen nicht vorbei schauen; Alexander Kruschelnizki, Dritter im Mixed-Curling, soll dort aber bereits gesehen worden sein. Dieses Verbot ist Eiskunstläufer Maxim Trankow, vor vier Jahren in Sotschi Olympiasieger im Paarlauf, sowieso egal: „Mit kühlem Kopf kann ich sagen, dass Flagge, Hymne und diese Sachen nicht so wichtig sind, wenn du sie in deinem Herzen und deinem Verstand hast.“
Russland darf bei Olympia nicht spürbar sein, ist aber gewaltig da. Ab dem 25. Februar, dem Tag der Abschlussfeier, verschwindet die neutrale Flagge – bleibt zu hoffen, dass dann nicht alles wie vorher ist.