Pyeongchang. Zum ersten Mal seit 1998 sind bei Olympia die Topspieler der amerikanischen Profi-Liga NHL nicht dabei. Die Qualität des Turniers leidet.
Hinter Sean Burke liegt eine lange Reise. Da er der Teammanager der kanadischen Eishockey-Nationalmannschaft ist, klingt das bei den Olympischen Spielen zunächst wenig überraschend. Doch der Flug nach Südkorea war für Burke fast das kürzeste Teilstück eines Weges, der ihn weit herumführte. „Ich war an Orten in Russland und auf der ganzen Welt, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren“, sagt er. Das Meilenkonto dürfte also üppig gefüllt sein.
Noch nie mussten die Kanadier solch einen Aufwand betreiben, um eine Eishockeymannschaft zusammen zu bekommen. Kein Land hat mehr Spieler, keines verfügt über bessere. Doch die besten waren diesmal einfach tabu für Burke. Weil die beste Liga der Welt, die National Hockey League (NHL) in Nordamerika, finanziell zu wenig von Olympia profitiert, hat sie beschlossen, keine Profis mehr zu entsenden. Der Reisestress für Sean Burke ist nur eine Folge dessen, die Auswirkungen auf das olympische Eishockeyturnier sind viel erheblicher.
Das ist der Modus beim Eishockey-Turnier
Es gibt drei Vierergruppen in der Vorrunde. Die Gruppensieger und der beste Zweite qualifizieren sich direkt für das Viertelfinale, die anderen Teams werden in einer gemeinsamen Tabelle zusammengefasst, nach der die vier weiteren Viertelfinal-Teilnehmer ausgespielt werden. Der Beste trifft auf den Schlechtesten, der Zweitbeste auf den Zweitschlechtesten usw.
Am Mittwoch beginnen die Profis in Pyeongchang mit der Vorrunde, die Slowakei trifft im ersten Spiel auf die Olympischen Athleten aus Russland. „Jede Mannschaft wird die NHL-Spieler vermissen“, sagt Ilja Kowaltschuk, einer der Stars der Russen, der selbst lange in Nordamerika gespielt hat. Viele prominente NHL-Profis bedauern die Entscheidung der Liga. In Pyeongchang erzählt Kowaltschuk: „Sie sollten hier sein. Eishockey ist der wichtigste Sport bei Olympia und die ganze Welt sieht zu.“ Alle vier Jahre boten die Spiele ein grandioses Spektakel, weil nur hier die allerbesten Eishockeyprofis zusammenkamen. Eishockey sorgte für die meisten Zuschauer, die Tickets waren die teuersten.
Nun verliert alles an Wert. Erstmals seit 1998 muss Olympia ohne die Kufenstars der NHL auskommen. Darunter leidet die Qualität des Turniers, dadurch verschieben sich die Favoritenrollen. In den fünf Auflagen mit NHL-Beteiligung dominierten die Kanadier, siegten drei Mal bei Olympia. Die USA wurden zwei Mal Zweite. Beide stellten komplette NHL-Aufgebote. „Für die ist das ein enormer Verlust“, sagt Bundestrainer Marco Sturm. Sie gelten nicht mehr als die großen Favoriten, obwohl sie das selbst natürlich etwas anders sehen. „Jedes amerikanische Team kämpft um Medaillen. Wir brauchen kein Wunder, um zu gewinnen“, erzählt US-Coach Tony Granato in Anspielung auf das „Miracle on Ice“ 1980, als die USA mit College-Spielern die großen Favoriten aus der Sowjetunion schlugen und Gold gewannen.
USA geht mit einigen College-Spielern ins Rennen
Jetzt gehen die Amerikaner wieder mit einigen College-Spielern ins Rennen. Auch Profis aus der deutschen Liga setzen die USA und Kanada ein, was sonst undenkbar wäre. Vorwiegend suchte der Titelverteidiger seinen Ersatz in europäischen Ligen und der panrussischen KHL. „Die meisten dieser Spieler hätten sich nie erträumt, einmal diese Möglichkeit zu haben“, sagt Burke. Weil sie nicht gut genug sind für die NHL. Jetzt wollen sie das Gegenteil beweisen, das treibt sie an. Intensive Spiele wird das Turnier also in jedem Fall bieten.
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Vor allem wenn die Russen aufs Eis gehen. Sie sind der große Profiteur, besitzen in der KHL die zweitbeste Liga und einen ebenso großen Pool an hochklassigen Spielern – von den sich einige bewusst gegen die NHL entscheiden, weil sie in der Heimat ebenso viel Geld verdienen können. „Wir würden sie auch mit den NHL-Spielern schlagen“, sagt Kowaltschuk trotzig in Richtung der Nordamerikaner, wohl wissend, dass die Chance nun wesentlich größer ist. In der NHL-Epoche gelang den Russen nicht viel, die letzten beiden Turniere endeten im Viertelfinale; vor allem 2014 daheim in Sotschi ein Desaster, weil keine Medaille so sehr herbeigesehnt wird in Russland wie die goldene im Eishockey. Zuletzt gab es die 1992. „Die Fans erwarten eine Menge“, sagt der Stürmer. Er fühle aber weniger Druck als zuletzt in Sotschi.
Dort war das deutsche Team gar nicht qualifiziert, insofern hat Sturm den wichtigsten Erfolg bereits errungen mit der Teilnahme. Auch der Bundestrainer muss auf einige NHL-Profis verzichten, der Verlust fällt aber nicht so sehr ins Gewicht wie bei den großen Nationen. „Wir wissen, dass die Gegner besser sind als wir, aber der Spagat ist hoffentlich nicht so groß wie in der Vergangenheit“, sagt Sturm. Zu hohe Erwartungen wären dennoch vermessen. „Unsere Chancen sind zwar besser, aber wir haben auch eine sehr schwere Gruppe erwischt“, sagt Kapitän Christian Ehrhoff. Am Donnerstag startet das Team gegen Finnland (4:10 Uhr/MESZ), spielt am Freitag gegen Weltmeister Schweden (13:10 Uhr) und trifft am Sonntag auf Norwegen (4:10 Uhr). Finnen und Schweden verfügen ebenso über starke heimischen Ligen und gelten daher neben den Russen als Favoriten in diesem Turnier, selbst die Schweizer rechnen sich viel aus. Sie alle eint, dass die Teamchefs es deutlich leichter hatten als Sean Burke, eine Mannschaft zusammenzustellen.