Rio de Janeiro. Thiago Braz da Silva hat im Stabhochsprung das erste brasilianische Leichtathletik-Gold seit 32 Jahren gewonnen. Lavillenie ärgert sich über die Fans.

Die Uhr zeigte schon zwei Uhr in dieser brasilianischen Nacht, als Thiago Braz da Silva endlich im Bauch des Olympiastadions von Rio de Janeiro auftauchte, um mit ebenso erschöpften wie glücklichen Gesichtszügen von diesem Wettkampf zu erzählen. Dreieinhalb Stunden hatten die Stabartisten um die Medaillen gekämpft. Erst sorgten sintflutartige Regenfälle für eine lange Unterbrechung, dann gab es Probleme mit der Anlage.

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Und schließlich die Sensation: Thiago Braz da Silva versetzte die brasilianischen Fans in einen Freudentaumel, als er seinen Körper elegant über die auf 6,03 Meter gelegte Latte schlängelte. Noch nie war ein Stabhochsprung-Olympiasieger besser. Nicht Sergej Bubka (1988 Gold mit 5,90 Metern), der 35 Weltrekorde bis zur Marke von 6,14 Metern aufstellte, und auch nicht Renaud Lavillenie, der die Olympia-Höchstmarke 2012 mit 5,97 Metern aufgestellt hatte. Da nutzte es dem 29 Jahre alten Franzosen auch nichts, dass er sich diesmal noch einen Zentimeter höher über die Latte schraubte. Diesmal war dieser sieben Jahre jüngere Brasilianer, der sich in diesem Wettkampf um elf Zentimeter steigerte, zu gut und vor allem zu cool für Lavillenie.

„Ich bin sehr glücklich, für Brasilien ist das überragend“, sagte da Silva, der das erste Männer-Gold in der Leichtathletik für Brasilien seit 32 Jahren gewann. 1984 hatte Joaquim Cruz über 800 m triumphiert.

Publikum buhte Konkurrenten Lavillenie aus

Zu dieser brasilianischen Nacht, die mit einem Unwetter begann und mit einer Party endete, waren nur 10 000 Zuschauer gekommen. Einen Tag zuvor waren noch alle 56 437 Sitze besetzt. Aber da lief Usain Bolt, der weiß, wie man Stadien füllt. Die 10 000 machten jedoch Lärm wie 100 000. Als Lavillenie nach dem 6,03-Meter-Sprung seines brasilianischen Konkurrenten mit einem Satz über 6,08 Meter kontern wollte, buhte ihn das Publikum aus. Der Franzose reagierte sichtlich genervt, zeigte mit grimmigem Blick den gesenkten Daumen in Richtung Tribüne.

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Der Olympiasieger von 2012 konnte diesmal seine Wut nicht in positive Energie umwandeln. Der Athlet mit einer Bestleistung von 6,16 Metern riss und raufte sich vor Enttäuschung die Haare. Wenige Meter von ihm entfernt hüpfte Thiago Braz, wie er in Brasilien verkürzt genannt wird, wie ein kleiner Junge über die blaue Tartanbahn.

Braz ist das neue Idol des olympischen Sports in Brasilien. Vor ihm hatte bereits die Judokämpferin Silvana Silva Gold gewonnen, aber ein Olympiasieg in der Leichtathletik hat einen noch höheren Stellenwert. Olympische Spiele im eigenen Land haben schon immer ihre Leichtathletik-Helden gehabt: 1972 in München waren es die 16-jährige Ulrike Meyfarth und Heide Rosendahl, 1992 in Barcelona der 1500-Meter-Läufer Fermin Cacho, 2000 in Sydney die 400-Meter-Olympiasiegerin Cathy Freeman und in London 2012 machte das Trio Jessica Ennis-Hill im Siebenkampf, Greg Rutherford im Weitsprung und Mo Farah über 10 000 Meter den goldenen Sonntag der Briten perfekt.

Unglücklicher Nazi-Vergleich

Im Vergleich der gewonnenen Medaillen liegt Brasilien weit hinten. In vielen Ländern lösten die Spiele einen Schub aus, bei Brasilien, so viel steht fest, eher nicht.

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Das Zuschauerverhalten sollte nicht die letzte Peinlichkeit bleiben. Das Buhen gegen ihn hatte Lavillenie noch eine Stunde nach dem Wettkampf nicht verdaut und fühlt sich an Nazi-Deutschland erinnert.

„Ich habe den Brasilianern nichts getan. 1936 in Berlin war die Menge gegen Jesse Owens. Seitdem habe ich so etwas nicht mehr gesehen. Wir müssen uns damit beschäftigen“, sagte Lavillenie: „Das war kein Fair Play.“

Zweifel wegen Dopingkontrollen

Seine Wut war zum Teil verständlich, bisher kannte man solche Reaktionen des Publikums im Gegensatz zum Fußball in der Leichtathletik nicht. Aber in der Schule hatte Lavillenie offensichtlich nicht gut aufgepasst. Jesse Owens, der bei den Nazi-Spielen im Berliner Olympiastadion über 100 Meter, 200 Meter, im Weitsprung und mit der Staffel triumphierte, war zwar als Afroamerikaner das Feindbild von Hitler und seinen Ganoven, doch das deutsche Publikum jubelte dem US-Amerikaner frenetisch zu.

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Einige Stunden nach seinem verpatzten Nazi-Vergleich entschuldigte sich Lavillenie: „Das war ein großer Fehler von mir. Es waren meine ersten Worte nach dem Wettkampf, aus der Emotion heraus.”

Mit Zweifeln über seine plötzliche Verbesserung um elf Zentimeter muss Thiago Braz leben, denn die Welt-Anti-Doping-Agentur bestätigte, dass es einen Monat vor den Spielen keine Kontrollen mehr in Brasilien gegeben hat. Thiago Braz wird von Bubkas früherem Trainer, dem schon 78-jährigen Witali Petrow, betreut. Vor Olympia zog er sich mit seinem Schützling nach Natal im Norden Brasiliens zurück. Offiziell um sich in Ruhe vorzubereiten. Auf jeden Fall hat es geklappt.