Melbourne. . Nach dem ersten Rennen der neuen Saison hakt es in der Formel 1 noch an allen Ecken und Enden. Es sieht danach aus, als wäre die Zeit zur Umstellung auf die die vielen technischen Neuerungen und Regeländerungen einfach zu knapp gewesen.
Je nachdem, welche Zeitung im Briefkasten steckte, lebten die Melbournians am Montag noch einmal den rauschenden Grand-Prix-Tag des Daniel Ricciardo nach, oder sie wachten mit dem Kater der Disqualifikation für den Red-Bull-Piloten auf. Recht hatte die „Herald Sun“, die kurz vor Mitternacht noch die Wende mitbekam, fünf Stunden nach Ende des Formel-1-Auftakts, und die Schlagzeile trifft mitten ins Herz: „Grand Farce“! Die komplexe Technik der Turbo-Ära ist offenbar auch für die Techniker auf die Schnelle nur schwer in den Griff zu bekommen. Für die Fans und die Formel 1 gilt der Beziehungsstatus: Es ist kompliziert.
Dass Taxis und Straßenbahnen rund um den Albert Park mehr Lärm machten als die neuen Motoren der nur 14 Rennwagen, die ins Ziel kamen, nahmen die Zuschauer hin. Das erste Rennen mit Hybrid-Technik war kein Knaller, aber hinter dem einsamen Gewinner Nico Rosberg ganz unterhaltsam. Vor allem, wenn, wie mit Sebastian Vettels Stallgefährte Daniel Ricciardo, ein Westaustralier den zweiten Platz mit dem Red-Bull holt – zumindest für ein paar Stunden.
Die Nation vereinnahmte ihn prompt als „unser Dan“. Aber auf die Begeisterung kommt es trotz der ungewissen Zukunft von Bernie Ecclestones Grand-Prix-Zirkus gar nicht so an. Sondern mehr auf die maximale Benzinmenge, die pro Minute in die Brennkammern der Sechszylinder-Motoren gespritzt werden darf.
Die nennt sich „mFFMIllegal“ und liegt bei 100 Kilo pro Stunde. Denn der Verbrauch in der Formel 1 ist limitiert, auch diese Spritsparformel soll dazu beitragen, dass sich die Automobilhersteller wohler fühlen, soll es doch ans „downsizing“ erinnern.
Warnungen in den Wind geschlagen
Solche Regeln und Begrenzer sind nicht neu im Motorsport, die gibt es seit Jahrzehnten. Und seither gibt es auch immer wieder Ärger. Manchmal wird getrickst, manchmal werden Fehler gemacht, manchmal stimmen die Messungen nicht. In Melbourne wurde Red Bull Racing schon am Samstag vom Fia-Delegierten Jo Bauer aus dem Saarland mehrfach ermahnt, weil offenbar konstant zu viel Benzin durch den Filter floss.
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Die Techniker des Champion-Teams tauschten den Sensor, auch wenn das bei der Neuprogrammierung der Software Probleme bereitete. Die Verwarnung trug wohl dazu bei, dass Ricciardo von den Rennkommissaren am Sonntagabend disqualifiziert wurde, weil der RB 10 wieder zu viel geschluckt hatte.
Red Bull kündigte umgehend Protest an, aber die 18 Punkte sind erstmal weg. Bis spätestens Donnerstag muss der österreichische Verband für das Team die Note beim Berufungsgericht einreichen. Der ganze Fall ist ein Debakel für die ohnehin aus dem Tritt geratenen Titelverteidiger, aber auch für die ganze Formel 1 – weit über die verstörten Melbourner Zeitungsleser hinaus. Die Kalibrierung als entscheidender Faktor einer WM: Das ist wirklich gewöhnungsbedürftig.
Die neue Technik ist anfällig
Regelmäßig, hielten die Richter dagegen, wurde die erlaubte Menge in Ricciardos Auto überzogen. Da spielte es auch keine Rolle, dass er mit den 100 Kilogramm Benzin über die 57-Runden-Distanz kam. Der Sensor wurde zwar von einer externen Firma geliefert, aber vom Team kontrolliert.
Red Bull wies dennoch jede Verantwortung von sich. Doch die Kommissare waren wohl auch sauer, dass alle samstäglichen Warnungen in den Wind geschlagen wurden: „Das Team entschied sich dafür, eine eigene Verbrauchsmessung zu benutzen, ohne sich dabei an die Anweisungen der Fia zu halten.“
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Dass die neue Technik zu anfällig ist, hatte sich in der für die Radikalität der Maßnahmen zu kurzen Vorbereitungszeit schon erwiesen. Auch, dass die meisten Teams über die viel zu hohen Kosten stöhnen, wusste man. Ein Verbrauchsreglement und die gewünschte Veränderung der Hackordnung wäre auch anders hinzubekommen gewesen.
Disqualifikation von Ricciardo als Stimmungskiller
Aber das alles hatte nichts mit dem Fauxpas von Red Bull zu tun. Wenn es die Regel gibt, muss sie auch gelten. Und dennoch ist die Disqualifikation als Stimmungskiller genau das, was die Branche nicht gebrauchen kann – gab es doch schon genug Kritik an der Punkteregelung beim Saisonfinale, wo durch die Vergabe von doppelten Zählern künstlich Spannung erzeugt werden soll.
Schon seit Jahren entfernt sich die Königsklasse durch immer neue Einflussnahme der Funktionäre vom Grundprinzip, dass der beste Speed über den Sieger entscheidet. Gerade erst hat sich die Fangemeinde von der Reifenlotterie erholt, nun müssen Benzin-Codes wie „Lift“ und „Coast“ dechiffriert werden.
Keine Frage: Gegen unerlaubtes technisches Doping muss immer vorgegangen werden, aber die Causa Red Bull schürt neues Misstrauen oder – im Wortsinn – neues Unverständnis für die Formel-1-Reform. Vieles ist derzeit eine Verständnis-Frage. Einstweilen aber präsentiert sich die Formel 1 wie die Selbstanzeige von Uli Hoeneß – sie liefert ein höchst unvollständiges Bild.