Montreal. Das Reifenroulette entschied auch den Großen Preis von Kanada: Lewis Hamilton war im siebten Rennen der Formel-1-Saison 2012 der siebte Sieger. Sebastian Vettel kam als Vierter ins Ziel, Michael Schumacher schied aus. Wieder einmal.

Siebtes Rennen, siebter Sieger! Lewis Hamilton führt die verrückte Reihe der Formel-1-Rennen fort. Im McLaren zieht er in einem Reifen-Poker der dramatischen Art den Joker, und holt sich seinen ersten Erfolg in diesem Jahr. Dahinter ist es noch verrückter: Romain Grosjean im Lotus und Sergio Perez im Sauber kommen ebenfalls aufs Treppchen. Sebastian Vettel wird von der Pole-Position aus Vierter vor Fernando Alonso. Er musste einen Stopp mehr als geplant einlegen. In der WM-Gesamtwertung ist es so eng wie auf dem Kurs von Montreal: Hamilton übernimmt mit 88 Punkten die Führung vor Alonso (86) und Vettel (85). Triumphator Hamilton, nachdem er Geschichte geschrieben hat: „Ich habe jede Minute dieses Rennens geliebt.“

Michael Schumacher erlebt den fünften Ausfall im siebten Rennen

Für das Mercedes-Team ist es ein schwaches Trostpflaster, dass McLaren im 300. Rennen mit Stuttgarter Aggregaten erfolgreich ist. Nico Rosberg kommt als Sechster ins Ziel, eine Position schlechter als in der Startaufstellung. Michael Schumacher erlebt den fünften Ausfall im siebten Rennen, was für ein Debakel. Sportchef Norbert Haug: „Wir alle wissen, dass wir die Zuverlässigkeit verbessern müssen.“

Sebastian Vettel hat seinen ungeliebten RB 8 ganz auf Kampf abgestimmt – kurze Übersetzung, maximaler Speed. Ohne Löcher im Unterboden und ohne die kurzfristig verbotene bessere Bremsbelüftung konnte er in der Qualifikation den Favoriten Lewis Hamilton niederringen, die zweite Pole Position des Jahres ist Vettels Antwort auf alle Kritiker gewesen. Die Mechaniker hat er schon am Samstagmorgen angewiesen, das Auto nicht mehr anzurühren. Keine Experimente mehr, mit dem Start ins zweite Saisondrittel gilt die Maxime: „Wir müssen sicherstellen, das Beste aus dem Auto zu holen.“

Vettel, Hamilton und Alonso setzen sich routinemäßig gleich von Mark Webber ab. Vettel steuert als erster des Top-Trios die Box zum Reifenwechsel an, schon nach 16 Runden. Hamilton wittert seine Chance, dreht auf. Vor fünf Jahren hat er an gleicher Stelle schon mal gewonnen. Gegen Hamiltons Gier ist auch der scheinbar sichere Sieger Alonso nicht gewachsen. Der Brite nimmt einen Umlauf lang Anlauf, dann lässt er den Spanier aus dem Windschatten heraus förmlich stehen. Es wird bei aller Taktik und Reifenschonung doch noch so etwas wie ein Rennen. Hamilton geht volles Risiko, Vettel wird hinter Alonso auch langsam ungeduldig. Aber die Abstände manifestieren sich, auch wenn es an der Spitze eng bleibt wie nie. „Gib alles, was Du kannst“, sagt ihm der Boxenfunk. Keine Sorge, so heiß wie Hamilton ist keiner – nur die McLaren-Boxencrew greift wieder daneben.

Lewis Hamilton schnappt sich Vettel in der 62. Runde

Das Taktik-Spiel mit den richtigen Gummis zur richtigen Zeit geht in die entscheidende Phase. Lewis Hamilton beginnt den Reigen der Sieganwärter schon in der 50. Runde, rutscht nach dem Boxendebakel auf Rang drei – und drückt mit seiner ganzen Wut auf die Pedale, ist häufig eine Sekunde pro Runde schneller als die beiden vor ihm, das sollte reichen. In der 62. Runde schnappt er sich Sebastian Vettel, in der 64. Runde auch Spitzenreiter Alonso. Und lässt es wie ein Kinderspiel aussehen. Mit Vollgas aus der Krise. Vettel geht in der 64. Runde an die Box, reiht sich als Fünfter ein. Er kommt nur aufs Podium, wenn Romain Grosjean und Sergio Perez nochmal Reifen holen müssen. Drei Runden vor Schluss berührt er mit dem Vorderreifen die Mauer, so groß ist sein Ehrgeiz. Alonso, immer noch mit einem Stopp, hat sich vom Schweizer Grosjean (der mit französischer Lizenz fährt) überholen lassen müssen, und auch der Mexikaner Perez geht im Reifenpoker am Ende noch am Ferrari vorbei. Und in der vorletzten Runde ist Vettel dann Vierter, das bleibt er auch trotz der schnellsten Rennrunde im letzten Umlauf. Drei Minuten mehr, dann hätten es Podium und WM-Führung sein können.

Schon in der 46. Runde erlebt das völlig verkorkste Wochenende des zunächst in Kanada mitfavorisierten Mercedes-Teams das nächste Desaster. Wie gehabt am Silberpfeil mit der Nummer sieben, dem von Michael Schumacher. In der unendlichen Pannenserie kommt es zum fünften Ausfall im siebten Rennen. Erst verschläft das Team in der Qualifikation Schumacher rechtzeitig auf die schnellste Runde zu schicken, er muss mit dem neunten Platz vorlieb nehmen und fällt schnell aus den Punkterängen, weil die Reifen nicht mitmachen. Dann ist alles aus, nach dem zweiten Boxenstopp schließen sich die Lamellen des Heckflügels nicht mehr, die eigentlich nur bei High-Speed als Überholhilfe genutzt werden dürfen. Auch rohe Gewalt der Mechaniker hilft da nicht, das Auto muss in die Garage geschoben werden. Hilflosigkeit, Frust und Pech vermischen sich zu einer Melange, die den 43-Jährigen momentan kaum davon überzeugen dürfte, weiterzumachen.