Sotschi. Das Duell zwischen Sebastian Vettel und Charles Leclerc ist in Singapur eskaliert. Aber schon vorher gab es aufsehenerregende Rivalitäten.

Der Merksatz kommt vom geschlagenen Gegner. „Wenn zwei Alphatiere um die Positionen kämpfen, hat das immer das Potenzial für eine Rivalität – und eine Eskalation im Team“, sagt Mercedes-Teamchef Toto Wolff vor dem Großen Preis von Russland am Sonntag (13.10 Uhr/RTL und Sky). Ferraris Auferstehung mit drei Formel-1-Siegen in Folgen hat aber auch seinen Preis, die Lage intern ist angespannt. In Singapur ist auf der Strecke (und vor allem über Boxenfunk) eskaliert, was schon lange schwelt: Der Monegasse Charles Leclerc hat nach zwei Siegen seine Ansprüche auf die Nummer eins im Team manifestiert. Aber Ferrari-Boss Mattia Binotto ließ sich von dem Gejammer nicht erweichen, und Sebastian Vettel den ersten Triumph seit über einem Jahr gelassen. Das darf schon als De-Eskalations-Strategie verstanden werden, denn in Maranello droht nichts anderes als eine neue Inteam-Feindschaft.

Interne Aussprache nur äußerlich beruhigend

Unterm roten Dach herrscht Feuer, auch mit Perspektive. Je besser der Rennwagen wird und damit je höher die Chancen der beiden Piloten aus zwei unterschiedlichen Generationen werden, je härter wird das interne Duell. So, wie Vettel und Leclerc aneinander vorbei gucken und ihre Kommentare geschickt mit feinen Spitzen gegen den jeweils anderen garnieren, dürfte auch die interne Aussprache vor dem 16. WM-Lauf in Sotschi zwar außerhalb der Strecke beruhigende Wirkung haben. Was dann im Cockpit passiert, ist aber noch einmal ganz etwas anderes. Schon jetzt geht es um die beste Position für den nächsten, den zumindest für Vettel und Binott entscheidenden Titelangriff in der Saison 2020. Dabei gilt die Uraltregel: Der Teamkollege ist immer der größte Gegner. „Ich habe mich nie als Nummer zwei gefühlt“, sagt Sebastian Vettel, nach dem 392 Sieglosigkeit beendet sind.

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Die jüngere Grand-Prix-Geschichte lehrt, dass es auf Dauer keine Doppelspitze geben kann, sich ein Team zwar über zwei ähnlich starke Rennfahrer freuen, aber am Ende auf einen konzentrieren muss. „Sie nehmen sich gegenseitig Punkte weg, das ist gut für uns“, weiß Wolff über eins der Probleme der Ferrari-, in dessen Silberpfeil-Team die Rollen klar verteilt sind – in Singapur fügte sich Valtteri Bottas brav in die Rolle des Wasserträgers und fuhr drei Sekunden pro Runde langsamer, um WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton nach dem verkorksten Taktikpoker wenigstens Rang vier zu sichern. Vettel und Leclerc nehmen diese Anweisungen zwar auch hin, aber nicht stoisch. Über Funk und hinter den Kulissen wird viel Politik gemacht, wird gegenseitig auf-, nach- und abgerechnet. Der Hesse traut Leclerc seit dem verweigerten Windschatten von Monza nicht mehr über den Weg, der Monegasse neidet Vettel den Taktikvorteil, auch wenn er sich in Sotschi reumütig zeigt und sagt, dass er seinen öffentlichen Gefühlsausbruch in Singapur bereut: „Ich habe überreagiert.“ Friedensrichter Mattia Binotto muss gar nicht zurück zu Senna gegen Prost oder Mansell gegen Piquet gehen, um aus den Präzedenzfällen zu lernen.

Das Duell Rosberg gegen Hamilton

Rosberg gegen Hamilton: Bei Mercedes eskaliert die ehemaligen Jugendfreundschaft zwischen Nico Rosberg und Lewis Hamilton endgültig, als die beiden sich in Barcelona schon in Runde eins von der Piste räumen, auch in Spielberg kracht es. Ausgangspunkt war Spa 2014, als der Wiesbadener dem Briten schon in Spa ins Heck gefahren war. Nach seinem Titelgewinn 2016 trat Rosberg zurück, er war dem mentalen Druck nicht mehr gewachsen. Learning für Binotto: Regle wie Mercedes die Vorfahrtsregel im Team für jedes Rennen neu.

Vettel gegen Webber: Aufsteiger Vettel gerät seit 2010 immer wieder mit Platzhirsch Mark Webber aneinander, in der Türkei kollidieren die beiden. Vettel zeigt Webber den Vogel. Der Australier fühlt sich jahrelang zurückgesetzt, auch als Vettel 2013 in Malaysia die Anordnung „Positionen halten“ ignoriert, und Webber den Sieg klaut. Das bleibt folgenlos. So wird er vier Mal Weltmeister, und Red Bull Racing toleriert die Frechheiten. Learning für Binotto: Suche Dir insgeheim eine Nummer Eins, die sich alles erlauben darf, verkaufe nach außen aber das Teamplay.

Häkkinen und Coulthard blockieren sich gegenseitig

Häkkinen gegen Coulthard: In den frühen Mercedes-Jahren Ende der Neunziger verhaken sich der Finne Häkkinen und der Schotte Coulthard häufig ineinander, kommen dabei in Monte Carlo schon mal rückwärts aus dem Tunnel oder blockieren sich gegenseitig zu Gunsten von Ferrari, wozu der damalige Konzernchef Jürgen Schrempp höhnisch Beifall klatscht. Für WM-Titel reicht es trotzdem. Learning für Binotto: vertraue stoisch darauf, dass sich zwei gleichberechtigte Fahrer gegenseitig stärker antreiben.

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Montoya gegen Räikkönen: Der Kolumbianer kannte schon bei Williams-BMW gegen Ralf Schumacher keine Verwandten, beide waren gleich starke Dickköpfe. Bei Mercedes 2006 fährt Montoya denn seinem McLaren-Kollegen Kimi Räikkönen absichtlich ins Auto, dafür kassierte er die Kündigung. Learning für Binotto: Wenn die Einsicht nicht größer wird, müssen härtere Strafen her.

Alonso verliert die Nerven

Alonso gegen Hamilton: 2007 kommt der Spanier als Champion zu McLaren-Mercedes, Lewis Hamilton ist der Lehrling. Aber der britische Rookie lernt alle Formel-1-Tricks im Schnelldurchgang, auf und neben der Strecke. Alonso hat die schwächeren Nerven, er blockiert den Kollegen offensichtlich und schwärzt später auch das Team wegen einer Spionage-Affäre an. Von den ewigen Streitigkeiten der beiden profitiert am Ende Ferrari mit dem Titelgewinn trotz des schwächeren Autos. Learning für Binotto: Finde den passenden Moment, um rechtzeitig einzuschreiten, bevor es zu einem Unglück kommt.