Sotschi. WM-Spitzenreiter Lewis Hamilton hat seit der Sommerpause nicht mehr gewonnen. Ferrari ist im Höhenflug. Setzt sich der Trend in Sotschi fort?

Singapur und Sotschi, ein Unterschied wie Tag und Nacht? Das kommt ganz auf die Sichtweise an. Mercedes ist nicht mehr der Favorit für den Großen Preis von Russland am Sonntag (13.10 Uhr/RTL und Sky), obwohl die Silberpfeile alle bisherigen fünf Durchgänge in Putins Autodrom gewonnen haben. Aber Ferrari ist drauf und dran, mit einem vierten Sieg in Folge die Saison auf den Kopf zu stellen.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff nimmt die jüngste Negativserie zum Anlass, sich in seinem (Zweck-)Pessimismus bestätigt zu fühlen. Der Österreicher gesteht Fehler in Vorbereitung und Taktik beim Nacht-Grand-Prix ein und hat eine Demut-Strategie angeordnet: „Es war eine wertvolle Erinnerung an die skeptische und bescheidene Einstellung, die in der Vergangenheit sehr wichtig für unsere Erfolge war.“ Muss ein Dauersieger gerade das Verlieren lernen?„Du musst immer besorgt und auf der Hut sein. Wenn man sich auf seinen Lorbeeren ausruht, dann wird man erwischt“, bilanziert Wolff kritisch.

Noch schlägt die Bilanz für Mercedes aus

Seit der Sommerpause haben die Silbernen kein Rennen mehr gewonnen, in den letzten drei Rennen steht es 106:89 nach Punkten für Ferrari. Insgesamt schlägt die Bilanz immer noch deutlich Richtung Silber aus: Dank fünf Doppelerfolgen zu Saisonbeginn ist der sechste Konstrukteurstitel in Folge – und damit ein neuer Formel-1-Rekord – dem Stuttgarter Werksteam beim Stand von 527:394 Punkten kaum zu nehmen.

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Oder kippt die Saison doch? Ferrari hat zwar mit der Konkurrenzsituation zwischen Singapur-Sieger Sebastian Vettel und Charles Leclerc einen neuen mentalen Problemfall, aber parallel zum umgebauten Rennwagen steigen bei beiden die Leistungen, während bei Mercedes nur auf die Form von Lewis Hamilton wirklich Verlass ist. Valtteri Bottas ist auch nach seiner Vertragsverlängerung um ein Jahr nicht derjenige, der Ferrari die Punkte wegnimmt.

Ferrari-Auferstehung ist unübersehbar

Der Doppelerfolg in Rot von Singapur könnte in dieser Dimension nur eine Momentaufnahme gewesen sein, aber Ferraris sportliche Auferstehung ist unübersehbar, und mit zahlreichen neuen Teilen nähert sich der SF 90H endlich der gewünschten Balance. Doch Vettel bleibt verhalten: „Richtig zurück sind wir erst dann, wenn wir den Titel holen. Das mag hart klingen, aber so ist die Realität eben.“

Das Werksteam von Mercedes ist gefestigt, trägt reichlich Kraft und Ruhe in sich. Der Wille zur Selbstkritik ist höher als bei allen anderen Rennställen, das ist der eigentliche Antrieb. So konnte die Truppe mehrfach den Vorteil von Ferrari wieder umkehren, zuletzt zur gleichen Zeit im vergangenen Herbst. Aber damals war der Trend auch nicht so eindeutig rot gefärbt. Selbst Berufsoptimist Hamilton ist aufgrund der jüngsten Auftritte der Gegenspieler leicht ins Grübeln geraten: „Sie sind wahnsinnig hungrig und geben absolut alles. Das Auto funktioniert jetzt sehr gut. Es wird in den nächsten Rennen sehr schwer, Ferrari zu schlagen.“ Noch führt der WM-Spitzenreiter mit 65 Zählern auf Kollege Bottas und 96 auf Charles Leclerc.

Mercedes-Motorsportchef enttäuscht

Die Lage könnte nur durch technische Ausfälle prekär werden, oder eine Fortsetzung der ungewohnt hohen Fehlerquote, die in Südostasien zu indiskutablen vierten und fünften Rängen führte. Wolf weiß: „Das ist enttäuschend. Wir haben zu viele Gelegenheiten verstreichen lassen. Ferraris Wiederauferstehung hat damit zu tun, dass sie hundert Prozent aus ihrem Fahrzeugpaket herausholen konnten. Wir haben das Rennen schon im Kampf um die Pole-Position verloren.“