Austin. Lewis Hamilton kann schon am Sonntag zum vorzeitigen WM-Titel in der Formel 1 fahren. Zuvor spielt der Brite in Houston den Space Cowboy.
Schwerelosigkeit, das ist genau der Gefühlszustand, den Lewis Hamilton jetzt braucht. Irgendwo schweben in eigenen Sphären, sich mittels perfekter Technik dem Fluss hingeben, in einer Geschwindigkeit wie kein anderer. Genau in diesen Zustand hat er sich vor dem vielleicht entscheidenden Großen Preis der USA (Sonntag, 21 Uhr/RTL) zumindest mental hineinversetzt, bei einem Besuch des Nasa-Hauptquartiers in Houston, nur 260 Kilometer von der Formel-1-Rennstrecke in Austin entfernt.
Es gibt wunderbare Bilder aus dem Lyndon B. Johnson Space Center: Hamilton als Space Cowboy, der mit einem Astronautenhelm mit goldenem Visier in der Hand spielt. Oder vor dem mächtigen Triebwerk der Saturn-V-Rakete. Was für eine Symbolik: Hamilton steht mit 59 Zählern Vorsprung auf Sebastian Vettel kurz vor dem Titelgewinn, er greift nach den Sternen. Es stehen nur noch vier Rennen aus, maximal 100 Punkte kann ein Fahrer holen. Wenn sein Silberpfeil keine außerirdischen Probleme machen sollte, ist er vielleicht Sonntag durch.
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Reden will er nicht groß darüber. Nicht über den ersten Matchball, überhaupt nicht zum Thema Weltmeistertitel. Es wäre sein vierter Titel, damit wäre er gleichauf mit Sebastian Vettel. Seinen letzten hatte Hamilton 2015 ebenfalls in Texas vorzeitig klargemacht, vier der fünf Rennen in Austin hat er gewonnen, Vettel das eine andere. „Es wäre dumm, zu glauben, dass es schon gelaufen ist“, sagt der Brite, „Sebastian ist so stark wie eh und je. Vielleicht hat sich die Perspektive von außen geändert – für mich aber nicht. Deshalb spüre ich auch nicht weniger Druck als bisher.“
Was gut wäre für Hamilton, denn unter Druck ist er noch besser. Ohnehin ist er seit Ende der Sommerpause in der Form seines Lebens. Aber er braucht den mächtigen Gegner, an dem er sich aufrichten kann. Zumal man doch nicht einfach erwarten könne, dass sich die Pannenserie von Ferrari fortsetzt: „Die werden schnell sein, sie können hier gewinnen.“ Er selbst, zumindest das gesteht er ein, fahre mit Blick auf den Titel: „Ob es hier passiert oder im letzten Rennen, ist egal. Hauptsache es geschieht.“ Verhalten oder auf Halten fahren, das kann und will Hamilton nicht.
Rosberg: Vettel braucht ein Wunder
Nico Rosberg, der noch amtierende Weltmeister, kennt den 32-Jährigen am besten: „Alles läuft in seine Richtung. Sebastian braucht jetzt ein Wunder.“ Vettel selbst scheint eine Menge Energie aus den Unkenrufen zu beziehen: „Wir brauchen jetzt all unsere Kraft, um vier ideale Rennen hinzulegen und alle vier zu gewinnen.“ Wie man den WM-Spitzenreiter Hamilton noch anders verunsichern könne, interessiere ihn wenig: „Ich bin kein Freund von solchen Spielchen. Ich bezweifle, ob man so etwas beeinflussen kann. Und wenn, dann ist es nicht meine Art.“
Lewis Hamilton kümmert sich sehr wohl um Nebensachen, zumindest um eine, die all diejenigen nervös macht, die sich nicht nur auf die sportlichen Ereignisse am Sonntag konzentrieren: „Hier zu gewinnen, ist mir auch wichtig, wegen all der Dinge, die in diesem Land passieren.“ Ein Hinweis darauf, dass er sich mit vielen farbigen Profisportlern in den USA solidarisch zeigt, die gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt und die Unterdrückung von Minderheiten protestieren.
Die Diva unter den Rennautos
In der Formel 1 gilt sein Mercedes als die große Diva unter den Rennwagen. Aber Hamilton hat die Schwächen seines Silberpfeils besser verstehen gelernt, er hat die Rückendeckung von Teamchef Toto Wolff und Aufsichtsrat Niki Lauda: „Beides hilft mir, meine Form zu steigern.“ Alles ist in Balance – und das nicht nur technisch: „Ich bin viel mehr als nur ein Rennfahrer.“
Kryptisch fügt er an, dass gerade eine Menge Dinge in seinem Leben passieren und sich diese Dinge positiv entwickeln würden. Mehr dazu zeige sich aber erst in den nächsten anderthalb Jahren, doch es würde jetzt schon den Druck von ihm nehmen: „Ich komme immer voller positiver Gefühle zu den Rennen.“