Velbert/Prag. Der DFC Prag spielte einst um die Deutsche Meisterschaft. Dann löschte der Nazi-Terror den Verein aus. Ein Velberter stieß die Wiedergründung an.
Eine kleine Abteilung im Deutschen Fußballmuseum zu Dortmund stellt ihre Ausstellungsstücke unter die Überschrift „Prag fast Deutscher Meister - VfB Leipzig Dreimal Deutscher Meister!“ Denn der DFC Prag, der Verein aus der Hauptstadt der Tschechischen Republik, hat auch deutsche Fußballgeschichte geschrieben.
Der Deutsche Fußball-Club Prag, 1896 von Juden aus dem deutschsprachigen Milieu Prags gegründet, bestritt im Jahre 1903 das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft gegen den VfB Leipzig, er war Gründungsmitglied des Deutschen Fußball-Bundes und er stellte auch den ersten DFB-Präsidenten.
Der DFC Prag steht für beide Seiten der historischen Medaille
Zugleich steht der Verein auch für die andere Seite der historischen Medaille. Der DFC Prag verschwand 1939 unter dem verbrecherischen Druck der Nazis von der Bildfläche – und tauchte erst 77 Jahre später wieder auf. 2016 gab der gebürtige Velberter Thomas Oellermann den Anstoß zur Wiedergründung des Vereins. Der Deutsche Fußball-Club Prag ist inzwischen wieder Mitglied des Tschechischen Fußballverbandes.
Oellermann ist Historiker mit Schwerpunkt Osteuropa und arbeitet für die deutsche Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag. Hier erhielt er vor ein paar Jahren Besuch aus Leipzig: Die „Initiative 1903“ hatte das Projekt gestartet, den Wettbewerb um die erste Deutsche Meisterschaft aufleben zu lassen. Teams der sechs damals beteiligten Vereine sollten gegeneinander spielen.
Das war im Falle des Finalisten DFC Prag schwierig, denn der Verein war längst aufgelöst, Spieler und Mitglieder waren verfolgt und ermordet worden. Von der jüdischen Gemeinde in Prag war nach Krieg und Völkermord nicht mehr viel übrig geblieben, viele Deutsche waren vertrieben worden.
Und nun kommt die Initiative 1903 und überzeugt auch Oellermann: Eine freundschaftliche Neuauflage des ersten Deutschen Endspiels, das seinerzeit der VfB Leipzig auf der Exerzierwiese in Hamburg-Altona mit 7:2 gegen die Prager gewann, wäre eine schöne Sache. Also begann der Velberter selbst, eine Mannschaft zusammen zustellen. „Das war der Anstoß, dann sind andere eingestiegen und fanden es gut, den Verein wiederzugründen, um Tradition und Erinnerung aufleben zu lassen“, berichtet Thomas Oellermann.
Thomas Oellermann bringt die Wiedergründung entscheidend voran
Inzwischen spielt der Deutsche Fußball-Club Prag wieder – allerdings auf anderem Niveau als zu den Glanzzeiten. Heute steht der Jugendfußball im Blickpunkt, damals zählte die Männermannschaft des DFC zu den besten in Europa und stellte viele Nationalspieler – für die österreichische Auswahl der k.u.k.-Monarchie und danach für die Tschechoslowakei. Jetzt arbeitet der DFC mit der deutschen Schule in Prag zusammen und bildet eine junge multikulturelle Mannschaft. Tschechen, Deutsche, Russen, Vietnamesen sind dabei.
Ein Verein gegen das Vergessen und für Verständigung. „Wir sind in erster Linie ein Fußballverein, aber wir bewahren auch die Tradition und geben sie weiter. Wir sind uns der großen Geschichte sehr bewusst“, sagt Thomas Oellermann. Damit meint er beide Seiten der Medaille. Die schönen Erfolge, als Prag gegen die europäischen Spitzenteams gewann, u.a. gegen den CF Barcelona und den FC Bayern. Aber auch die Zeiten von Terror und Völkermord. 1939 war dem Verein „angeboten“ worden, dass er bestehen bleibt, falls er sich von seinen jüdischen Mitgliedern trennt. Das lehnte der DFC ab. Auf das Verbot im von den deutschen Truppen beherrschten „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ folgten schnell Verfolgung, Verschleppung und Vernichtung.
Manche überlebten – teilweise wie ein Wunder durch den Fußball, zum Beispiel Nationalspieler Pavel Mahrer, der ins Ghetto Theresienstadt deportiert worden war. Hier, im „Vorzeige-Ghetto“, waren zeitweise Kultur- und Sportprogramme gestattet, was die Nazis zu zynischer Beschwichtigungs-Propaganda missbrauchten. Mahrer gewann als Spielertrainer ein Fußball-Turnier an einer Stätte, die in erster Linie eine Durchgangsstation zur Hölle war. Seine Brüder wurden von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert und umgebracht.
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„Wir haben vor Kurzem einen Dokumentarfilm zum DFC Prag mit großem Erfolg uraufgeführt. Darin kommt zum Beispiel auch die Geschichte von Pavel Mahrer vor“, erklärt Oellermann. „Das Bundesinnenministerium hat den Film unterstützt. Überhaupt erhalten wir seit der Neugründung starke Resonanz. In Deutschland und beim DFB und auch hier in Prag.“ Der Deutsche Botschafter der Stadt würdigte den Verein als eine „Institution tschechisch-deutscher Geschichte.“
Zu einer Jubiläumsfeier in diesem Jahr anlässlich der historischen Gründung von 1896 kam auch der frühere Bundesligaspieler und tschechische Nationalspieler Pavel Kuka. „Das passt“, sagt Thomas Oellermann. „In einer Rangliste, welche Vereine die meisten tschechischen Nationalspieler stellen, rangiert der DFC Prag immer noch auf Position zwölf.“ Große Geschichte.
Grotenburg wurde mit dem Gastspiel aus der Goldenen Stadt eröffnet
Sicher: Prag ist wunderbar, und welche Metropole trägt schon den geläufigen Beinamen „Goldene Stadt?“ Dennoch drängt sich die Frage auf: Was verschlägt einen Niederberger, der sich selbst als „waschechten Velberter“ bezeichnet, in die Hauptstadt der tschechischen Republik?
„Ich hatte hier als Student der Universität Düsseldorf ein Auslandssemester – dann bin ich hier hängen geblieben“, sagt Thomas Oellermann, den wir auch für diese Story in Prag erreichten. „Ich habe aber weiter guten Kontakt nach Velbert, bin bislang immer wieder in die Heimat gefahren und verfolge das Geschehen sehr interessiert.“ Vor allem hält er sich stets beim Sport auf dem neuesten Stand, besonders beim Fußball. Hier hängt sein Herz an der SSVg, deren Spiele er früher oft live im Stadion verfolgt hat – und über das neue Velberter Stadion, in dem die SSVg derzeit als Oberliga-Spitzenreiter gefeiert wird, kommt auch wieder der DFC Prag ins Spiel.
In der neuen Velberter Arena spielt nicht nur die SSVg, hier trägt auch der Ex-Bundesligist KFC Uerdingen sein Spiele aus, weil seine traditionsreiche Heimstätte, die Grotenburg, saniert wird. Als das alte Grotenburg-Stadion im Jahre 1927 in Betrieb ging, gab es ein feierliches Eröffnungsspiel gegen eine der damals besten Mannschaften Europas: den DFC Prag. „Ich hatte zeitweise auch Kontakt mit den Uerdingern aufgenommen, wir waren im Gespräch darüber, wieder ein Spiel gegen den DFC Prag zu veranstalten“, verrät Oellermann.
Daraus wird aber wohl nichts, falls es um die Eröffnung der neuen Grotenburg geht. Der heutige Deutsche Fußballclub Prag ist aber auch nicht mehr mit dem glanzvollen Verein aus den ersten Jahrzehnten nach der Jahrhundertwende vergleichbar.
In Prag selbst ist er nicht nur wegen seiner Geschichte etwas Besonderes. „Es ist hier der einzige mit Migrationshintergrund, der einzige, der das Herkunftsland im Vereinsnamen trägt – anders als etwa in in Velbert, wo es zum Beispiel Stella Azzurra oder Türkgücü gibt“, sagt Thomas Oellerman. Das Prinzip des Vereinslebens sei aber vergleichbar: Über den Sport verschiedene Kulturen und Nationen verbinden.