Mülheim. Nach der Absage der Challenge in Roth, suchte Triathlon Mülheims Judith Laichter eine neue Aufgabe. Und spürte dabei pures Adrenalin im Körper.
Ende März kam sie. Die Absage für das geplante Jahresevent und meine erste Langdistanz. „We are incredibly sorry, but we have to cancel DATEV Challenge Roth on 5 July 2020 due to the current health crisis [...]“.
Ein wenig ironisch, wenn ich bedenke, dass die Verkündung kam, als ich mit meinem neuen Tri-Bike beim Fitting saß. Es war abzusehen. Das habe ich mir dann zumindest eingeredet. Aber anstatt lange drüber nachzudenken, musste etwas Neues her. Ein Ziel. Etwas, wo die Chance besteht, dass es stattfindet.
Ich habe mir irgendwann in den Kopf gesetzt, mal 300 Kilometer mit dem Fahrrad fahren zu wollen. Das könnte man ja auch zur Not alleine von zuhause, habe ich mir gesagt. Somit war das Ziel schnell gefunden und weil es mit mehreren doch mehr Spaß bereitet, habe ich nach Wettkämpfen gesucht. Die Veranstaltungen in der Nähe sollten im Mai/Juni stattfinden. Das war eindeutig zu früh. Also habe ich den Suchradius erweitert und bin auf „Rhön300“ gestoßen, welcher am 1. August stattfinden sollte.
5400 Höhenmeter und 300 Kilometer durch die Rhön
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Wie der Name schon sagt, geht es dort 300 Kilometer durch die Rhön und das Rückblick-Video mit Szenen au den vergangenen Jahren auf der Homepage wirkte vielversprechend. Die Herausforderung: 5400 Höhenmeter und eine Mindestdurchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/h. Da habe ich dann kurz geschluckt, aber im jugendlichen Leichtsinn war ich binnen Sekunden angemeldet.
Ich war mir meines Vorhabens gar nicht so richtig bewusst, bis ich versucht habe, Leute aufzutreiben, die vielleicht mitkommen wollen. Nicht nur, dass die Distanz abschreckt, auch die Pandemie war natürlich ein absoluter Motivations-Dämpfer. Also erstmal anfangen zu trainieren und gucken was die Zeit so bringt...
Schnell wird die Schwere der Aufgabe bewusst
Am 1. August ging dann um 4:30 Uhr der Wecker. Die Zweifel kamen wieder hoch: „Das wird bestimmt böse in die Hose gehen.“ Wer mich vorher hat drüber reden hören, kann bestätigen, dass ich da nicht besonders überzeugt war. Meine Rennrad-Vita schreit nicht unbedingt „Bergziege“.
Aber wer sich anmeldet, muss auch an den Start. Aufgeben ist keine Option. So stand ich dann um 5:55 Uhr an der Startlinie und um kurz nach 6 zog der Peloton los.
Die ersten paar Kilometer waren flach und ich konnte mich im Windschatten ziehen lassen. Der erste Anstieg ließ jedoch nicht lange auf sich warten und ich wollte nicht abreißen lassen.
Als ich dann auf die Wattwerte schaute, wurde mir bewusst, ich muss doch abreißen lassen. Es hat also keine 10 Kilometer gedauert, da war ich schon allein auf der Strecke unterwegs. Ab und zu überholten mich ein paar Leute, aber es war ziemlich schnell klar, dass ich zum hinteren Drittel gehörte.
Pures Adrenalin im Körper
Aber es war mir egal. Es war mir egal, an welcher Position ich bin oder wer mich überholt. Es war mir egal, was für eine Geschwindigkeit das Edge zeigte. Ich habe diese wunderschöne Landschaft genossen und bin mein Tempo gefahren. Die ersten 1000 Höhenmeter hatte ich bereits nach 45 Kilometern und genau so ging es auch weiter.
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Der höchste Punkt der Strecke war circa bei Kilometer 100. Dort zählte mein Edge 2200 Höhenmeter. Aber der höchste Punkt der Strecke impliziert eine ziemlich rasante Abfahrt. Und ich kann euch sagen, die Abfahrten waren der Wahnsinn. Gerade Strecke, traumhafter Asphalt und Spitzengeschwindigkeiten von 87 km/h lassen pures Adrenalin durch den Körper fließen. Das Klettern lohnt sich!
Kilometer 100-160 gingen eher hügelig weiter und ich habe eine nette Truppe gefunden, der ich mich anschließen konnte und die mir ein wenig Windschatten auf gerader Strecke spendierte. Als sie jedoch am größeren Verpflegungsstand länger Pause machen wollten, bin ich wieder allein losgezogen. Mir schwebte immer noch im Hinterkopf, ich könnte zu langsam sein und die ansteigenden Temperaturen auf 40 Grad Celsius könnten noch ihren Tribut fordern.
Runter bis auf 2 km/h
Der nächste Verpflegungsstand war bei Kilometer 200 und da wurde mir bewusst „Ich kann es tatsächlich rechtzeitig schaffen?!“. Motivations-Hoch! Natürlich gab es schon die ersten Wehwehchen und die Beine waren nicht mehr die fittesten. Das stellte sich spätestens bei der 19 Prozent-Rampe nach 250 Kilometern heraus. 200 Watt und 2 km/h! Ich hab wirklich kurz überlegt zu schieben. Aber da interveniert natürlich das Ego.
Der vorletzte Verpflegungsstand kam kurz nach der Rampe und ich habe wieder eine kleine Truppe gefunden, die mich bereitwillig mitschleifte. Das war meine Rettung. Die letzten 40 Kilometer waren nämlich zäh. Die Sonne ging langsam unter und die Temperaturen nahmen wieder angenehme Größen an. Mit einer Netto-Zeit von 13 Stunden und 29 Minuten und einer Brutto-Zeit von 14 Stunden und 20 Minuten ging es durch Ziel.
Völlig fertig und überglücklich. Ich hab es geschafft. Laut dem Edge waren es am Ende 303 Kilometer und 4600 Höhenmeter. Es war ein fantastisches Event und ich bin unfassbar froh, angetreten zu sein. Trotz der ganzen Zweifel. Ich hatte Respekt (oder sogar Angst?!) vor der Distanz, aber es geht. Am Ende eher Kopfarbeit.
Ich danke dem Organisations-Team von „Rhön300“, die es möglich gemacht haben so ein tolles Event trotz der Umstände auf die Beine zu stellen. Ich danke all den lieben Teilnehmern, die mich ein wenig Richtung Ziel begleitet und unterstützt haben. Ich danke Triathlon-Mülheim, dem Verein, mit deren Mitgliedern ich abends im Hotel noch online meine Freude teilen konnte und die mich beim Training unterstützt haben. Und an alle die Bock auf was Verrücktes haben: fahrt in die Rhön und nehmt diese wundervolle Veranstaltung mit! Ihr werdet es nicht bereuen.
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