Mülheim. Damian Wierling macht sich berechtigte Hoffnungen auf die Olympischen Spiele 2020. Im Interview zieht er ein Fazit des Jahres vor den Spielen.

Beinahe hätte Damian Wierling (23) die für das Pressefoto versprochenen Medaillen vergessen. Seine Mutter brachte sie extra noch hinterher. Bis auf eine. „Die hat er an seinen Neffen verschenkt.“ Sollte im kommenden Jahr eine Olympische Medaille dazu kommen, wäre das eine Sensation. Deutschlands Schwimmer sind aktuell weit weg von der Weltspitze. Im Interview erklärt der Mülheimer, warum das so ist.

Hallo Herr Wierling, wir treffen uns heute im Südbad, das war eine ihrer ersten Trainingstätten, oder?

Ja, genau. Hier habe ich auch mein Bronzeabzeichen gemacht. Mein Seepferdchen und meine allerersten Schwimmkurse habe ich damals in einem Altersheim in Raadt gemacht, da gab es ein kleines Becken, was so schön warm war.

Das klingt nach guten Erinnerungen.

Genau, hier ist immer so ein kleines heimisches Bad. Das ist dann immer ganz schön und heimisch, wenn man wieder zurückkommt und man kennt das Bad von früher immer noch sehr gut.

„Verletzung hat mir sechs Wochen gekostet“

Mittlerweile sind Sie in größeren Bädern unterwegs. Zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft in diesem Jahr. Wie fällt das bisherige Fazit des vorolympischen Jahres aus?

Es war eigentlich ein gutes Jahr. Es hat aber ein bisschen schlecht angefangen mit dieser Verletzung am Fuß. Das hat mich circa sechs Wochen gekostet. Die Quali im April, zwei Monate später, war dann schon gut, alles in allem fehlte mir aber ein bisschen was am Ende der Saison. Das werde ich in diesem Jahr natürlich vermeiden – und keinen Fußball spielen. Deswegen war die WM aber auch eine gute WM. Ich konnte nochmal zwei Finals schwimmen, bin unverhofft in die 4x200-Kraul-Staffel reingerutscht und da konnten wir im Finale halt nochmal was drauflegen. Die Zeit an sich war auch super gut, da haben wir echt eine starke Truppe zusammen, was natürlich Hoffnung macht für das nächste Jahr. Da muss ich dann mal schauen, ob ich die 200 Meter Kraul noch im Programm habe und ob ich mich für die Staffel qualifiziere. Da es so eine starke Staffel ist, wollen natürlich auch viele rein.

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Wird sich der Fokus der verschiedenen Strecken im Olympiajahr verändern?

Ich überlege grad noch ein bisschen. Ich will eigentlich die 100 Meter Kraul zu meiner Hauptstrecke machen. Da hatte mir ein bisschen die Geschwindigkeit gefehlt und das Sprintvermögen, deswegen trainieren wir gerade viel aufs Sprinten und gucken, dass wir die 100 Meter Kraul optimal vorbereiten. Wenn dann noch genug sozusagen längere Kapazität überbleibt, dann kann ich gerne noch die 200 Meter mit reinnehmen. Es kann aber auch sein, dass die 50 Meter besser laufen. Das gilt es grad, noch ein bisschen abzuwägen.

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Deutsche Meisterschaft wird zum Qualifikationswettkampf

Wie ist denn der Zeitplan für das neue Jahr vorgesehen? Wie funktioniert der Qualifikationsmodus?

Der Qualifikations-Zeitraum fängt am 1. Januar an. Der endet dann am 3. Mai mit dem letzten Tag der Deutschen Meisterschaften. Wir haben ein Trainingslager im Januar und im März voraussichtlich. Ende Januar werden wir einen Wettkampf in Luxemburg machen, um schonmal so einen Richtwert zu haben, wo man ist. Das wird dann hoffentlich schon schnell werden. Aber groß als Quali-Wettkampf sind dann die Deutschen Meisterschaften in Berlin.

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Die Zeiten sind machbar?

Die Zeiten sind fair. 100 Meter Kraul sollte eigentlich gehen, das habe ich mir aber letztes Jahr auch schon gedacht, deswegen ist das so ein bisschen die Wundertüte. Da die 100 Meter bei mir im Fokus stehen, habe ich auch noch zwei Staffeln, mit denen wir uns qualifizieren. Erstmal die Lagenstaffel, da müsste ich aber schon Schnellster sein, und die 4x100-Meter-Kraul, wo auch ein vierter Platz reichen würde.

Abwägung zwischen 50 und 200 Metern

Und die anderen Einzelstrecken?

Das ist eben ein Abwägen. Das bleibt offen, ob die 50 Meter besser laufen, ob die 200 Meter vielleicht noch ganz gut laufen, das kann man jetzt noch nicht sagen. Ich werde beides auf jeden Fall in dem Quali-Zeitraum mal schwimmen, voll ausgeruht, dann kann man mal schauen, wie es am Ende aussieht.

Bei der WM hatten Sie keinen Einzelstart und waren naturgemäß nicht ganz zufrieden. Hat sich an der Situation etwas geändert?

Nach wie vor wird es fair verlaufen müssen. Die Kriterien werden jetzt aber vom Deutschen Olympischen Sportbund abgesegnet. Es ist auch rechtlich abgesichert, dass der DOSB bei Einzelentscheidungen immer noch dazwischensteht. In den Nominierungsrichtlinien steht immer noch drin, dass aus taktischen Gründen der Bundestrainer selbst entscheiden darf, wen er mitnimmt. Das heißt er kann nicht den Fünften mitnehmen, wenn er den nicht gut findet, sondern den Sechsten, wenn das sein eigener Athlet ist. Man darf pro Staffel zwei Ersatzleute mitnehmen, die müssen aber auch zum Einsatz kommen.

„Finale ist erst einmal das Ziel“

Wie würden Sie die deutschen Schwimmer generell einordnen? Zuletzt war man doch – zumindest in den meisten Fällen – sehr weit weg von den Medaillen.

Bei der WM haben wir es nochmal so ein bisschen ernüchternd gesehen, dass da vorne die Nationen schon sehr, sehr schnell sind. Auch Brasilien ist mittlerweile zu einer absoluten Schwimmnation geworden, die haben da sehr viel Mittel investiert. Wir halten uns gut auf dem siebten, achten Platz aber die großen Nationen wie Australien, USA, China, Japan, Brasilien halten uns dann doch ganz schön auf Distanz.

Man muss sich also mit Finalteilnahmen als Zielsetzung begnügen?

Das ist erstmal das Ziel und dann schauen, dass man sich so gut wie möglich positionieren kann. Was aber auch sehr schön ist, weil wir dadurch auch jetzt schon eine sehr schöne Teamenergie haben. Wir pushen uns intern im Training. Für die meisten ist ein Einzelstart dann nicht mehr so prägnant bei den Spielen, sondern eher die Staffel, wo man ein Finale halt erreichen kann und dann in der Platzierung ein bisschen klettern kann, was im Einzel natürlich deutlich schwieriger ist.

“Wir müssten in der Jugend viel mehr machen“

Was müsste in den nächsten Jahren passieren, um diesen Rückstand wenigstens halbwegs aufzuholen?

Wir müssten in der Jugend viel mehr tun. Wir haben gerade in Deutschland ein großes Nachwuchsproblem. Es passiert relativ wenig, die Trainer sind relativ schlecht ausgebildet und haben auch keine Zeit, weil sie das als Nebenjobs quasi machen. Das geht im Osten alles ein bisschen besser durch Sportlehrerstellen. Dieses System gibt es in den westlichen Bundesländern so nicht. In der Jugend bräuchten wir halt deutlich besser ausgebildete Trainer, die dann auch entsprechend bezahlt werden, sonst gehen sie halt weg. Mittlerweile sieht man auch, dass das Ausland immer mehr Trainer aus Deutschland zieht.

Das erfordert neben finanziellen Mitteln aber auch einen gewissen Mut, um ein gewohntes System zu durchbrechen.

Ja, es ist einfacher, wenn man das Ganze ein bisschen tunnelt. Wir haben das ja versucht mit dem ehemaligen Bundestrainer. Wir machen starke Standorte und ziehen die Athleten dort zusammen, bilden starke Trainingsgruppen, was ja auch die Maßgabe des DOSB mittlerweile ist. Das funktioniert aber auch nur mittelmäßig. Oft ist die Schule das Problem, weil halt beides stimmen muss, nicht nur der Sport.

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„Ich hatte Glück mit meinen Trainern“

Hätten Sie sich in Ihrer Ausbildung noch etwas gewünscht, um vielleicht heute noch einen Schritt weiter zu sein?

Eine etwas günstigere ärztliche Abstimmung. Wir haben zwar einen Verbandsarzt in Hamburg, der ist aber immer sehr „busy“. In Essen musste man sich über die Jahre den Kontakt aufbauen. Mittlerweile habe ich meine drei Ärzte, einen Orthopäden, einen Allgemeinmediziner und einen HNO-Arzt, die kann ich alle drei per Whatsapp kontaktieren. Das hat aber eine ganze Weile gedauert, bis ich mir dieses Umfeld selbst aufgebaut habe. Ich hatte aber Glück, dass ich sehr gute Trainer hatte. Ein Trainer, der mich maßgeblich geprägt hat, ist jetzt Bundesjuniorentrainer, nämlich Mitja Zastrow. Auch Harry Schulz hier in Mülheim damals, der jetzt in Gladbeck Jessica Steiger trainiert, oder Christl Dziallas, die mich in der E-Jugend betreut hat und jetzt leider aufgehört hat, da hatte ich sehr großes Glück mit meinen Trainern. Diese Generation an Trainern, die das aus sehr viel Leidenschaft heraus machen, stirbt aber irgendwann aus, weil auch die Angebote aus dem Umfeld eben immer verlockender werden.

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Wie sieht Ihr Plan für die nächsten Jahre aus?

Ich würde mein BWL-Studium sehr gerne mal beenden. Das funktioniert aber nicht, wenn man schon 30 Stunden in der Woche mit seinem Sport beschäftigt ist. Ich trainiere vier- bis fünfmal morgens früh und danach ist man einfach kaputt für den Rest des Tages. Wenn man sich hinsetzt und was für die Uni machen will, fallen einem schnell die Augen zu. Da muss man irgendwann gucken: priorisiert man das? Das nächste Jahr steht außer Frage, olympische Spiele! Danach gibt es grad eine Wandlung mit der International Swimming League, die sich dem Profisport verschrieben hat. Das wird sogar noch größer, man kann es sogar auf DAZN gucken. Wenn ich da reinkommen würde, würde es sich natürlich auch finanziell lohnen. Wenn das halt gegeben ist, würde ich gerne weitermachen, denn so alt bin ich eben auch noch nicht. Mit 24 Jahren kann man sicher noch vier Jahre machen.