Hamburg. Aus Wattenscheid bis zum Profi-Torwarttrainer. Marco Knoop hat es geschafft – dabei trug er früher nur selten Handschuhe. Ein Interview
Einst beendete Marco Knoop seine Karriere als aktiver Torhüter im Trikot der TSG Sprockhövel. Heute ist er Torwarttrainer beim Zweitligisten FC St. Pauli. Im ausführlichen Interview spricht der heute 45-Jährige unter anderem über die Zeit im Ruhrgebiet, die Ursprünge seiner Trainerphilosophie, die Gründe dafür, dass er früher oft gar keine Handschuhe trug und seine Aufgaben beim Profiklub aus Hamburg.
Marco Knoop, Ihr ehemaliger Mitspieler bei der TSG Sprockhövel, sagte vor ein paar Wochen, Sie hätten im Training und auch bei Spielen oft auf ihre Torwarthandschuhe verzichtet. Stimmt das?
Ich habe das schon sehr oft gemacht, ja. Zum Beispiel bei den Hallenstadtmeisterschaften.
Warum?
Da kommen die Schüsse aus so kurzer Distanz, dass man eh keinen festhält und sie abklatschen lässt. Und wenn man den Ball dann in der Hand hat, muss der Abwurf sehr präzise kommen. Da haben mich die Handschuhe fast mehr gestört. Man sieht ja auch bei Futsal-Spielern, dass sie oft zwar Handschuhe anhaben, für das Gefühl aber die Fingerspitzen abgeschnitten haben.
Die TSG Sprockhövel war 2007 Ihre letzte Spielerstation. Zuvor spielten Sie im Seniorenbereich auch beim FSV Witten, dem SV Sodingen, dem Wuppertaler SV, dem SV Langendreer 04 und dem SVT Horst-Emscher. Im Juniorenbereich liefen Sie für die SG Wattenscheid 09 und den VfL Bochum auf. Wie sind Ihre Erinnerungen an die Zeiten in Witten und Sprockhövel?
Der FSV Witten war meine erste Seniorenstation 1998, die TSG Sprockhövel meine letzte. In Witten war ich zunächst Backup in der Landesliga. Ich bin ja nur 1,75 Meter groß und somit klein für einen Torhüter. Der Stammtorwart hatte mich am Anfang angeguckt, sich totgelacht und in mir überhaupt keine Konkurrenz gesehen. Aber ich habe schnell gespielt und blieb zwei Jahre. In Sprockhövel hatte ich schon eine Mischaufgabe. Ich hatte gemerkt, dass die Trainerschiene für mich das Richtige ist, um weiterzukommen. Ich war gleichzeitig auch Sportstudent. Denn ich wollte mir schon damals mit dem Fußball den Lebensunterhalt verdienen. Daher habe ich nach einem Jahr als Spieler dann die B-Jugend in Sprockhövel trainiert und bin bei den Senioren Co-Trainer und Torwarttrainer geworden. In der Funktion habe ich mich mit der Trainingsplanung und dem Gegner-Scouting beschäftigt. Wir hatten aber einen Mini-Etat, da war es kaum möglich in der Liga zu bleiben.
Dies gelang dann auch nicht. Nach einer Saison in der Oberliga ging es zurück in die Westfalenliga. Für sie persönlich änderte sich auch etwas. Sie wurden Torwarttrainer in der Jugend des VfL Bochum. 2011 übernahmen Sie dort auch die Aufgabe als Leiter des Nachwuchsscouting. Warum führte der Weg dann aber 2013 zu RB Leipzigs Jugendabteilung und der zweiten Mannschaft?
Zunächst hatte ich in Bochum zwei halbe Stellen. Eine beim VfL und eine an der Universität bei den Sportwissenschaftlern. Dort wollte ich eigentlich auch meinen Doktor ablegen, aber dann hat mir der VfL eine ganze Stelle angeboten. Ich habe die Kader für die Nachwuchsabteilung zusammengestellt, von der U9 bis zur U23 und habe dazu noch die U12 bis U19-Torhüter trainiert. Ich brachte meine Tochter morgens um 9 Uhr in den Kindergarten und war bis abends um 22 Uhr unterwegs. Doch der VfL taumelte damals in Richtung dritte Liga. Also wurde der Rotstift angesetzt und damit in der Jugend angefangen. Mir wurde gesagt, dass ich zurück auf eine halbe Stelle gesetzt werden soll. Das funktionierte aber für mich nicht. Dadurch habe ich mich umgeschaut und wurde bei einem Assessment-Center bei Red Bull Global Soccer aus vielen Leuten ausgewählt, um dann in Leipzig mitzuhelfen, die Torwart-Abteilung weiterzuentwickeln.
Später ging es weiter. Sie wechselten zu Borussia Dortmunds U19, dann in den Seniorenbereich zu Fenerbahce Istanbul, nach Dänemark zum FC Nordsjaelland und sind nun beim FC St. Pauli in der 2. Liga angekommen. Wie kam der Kontakt nach Hamburg zustande?
St. Paulis Scoutingchef Jan Sandmann und Sportchef Andreas Bornemann hatten mich zu meiner Zeit in Nordsjaelland kontaktiert. Im Winter 2021 hatte ich beim Bund Deutscher Fußballlehrer einen Vortrag über die Rolle des Torwarttrainers im Gesamtkonstrukt gehalten. Man sollte mithelfen, den Spielaufbau zu organisieren oder die defensiven Standards zu trainieren, man muss ein Verbindungsstück sein. Das Torwartspiel ist keine separate Sportdisziplin, sondern eine besondere Position in einem Teamsport. Das muss schon verbunden sein mit der Idee des Trainers. Das hat St. Pauli wohl gefallen. Und meiner Frau, die weiterhin tief im Westen wohnt, fand es auch gut, dass ich wieder etwas näher dran arbeite (lacht).
Seit 2022 sind Sie nun beim FC St. Pauli. Aktuell läuft es. Die Mannschaft hat in der Hinrunde in der 2. Liga kein einziges Spiel verloren und stellt mit nur 15 Gegentoren die beste Abwehr der Liga. Spürt man da auch einen eigenen Anteil am Erfolg?
Ich tendiere dazu, mich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Es geht darum, alles in die Waagschale zu werfen, was man im Tank hat. Ich versuche einfach, meine Ideen mit einzubringen und unser Cheftrainer Fabian Hürzeler lässt uns gewisse Freiheiten.
Was für Ideen sind das?
Ich bin zum Beispiel verantwortlich für die Organisation der defensiven Standards. Gemeinsam mit unseren Analysten schaue ich mir den Gegner an und bereite daraufhin Dinge auf, die ich dann der Mannschaft vorstelle. Bisher hat es gut geklappt. Das Team macht es bei offensiven wie bei defensiven Standards gut und das hilft uns in manchen Spielen als Dosenöffner. Oft erwarten uns die Gegner sehr defensiv, da ist ein offensiver Standard wichtig. Das Gleiche gilt aber auch für den defensiven Standard. Wenn man da einmal zehn Sekunden nicht aufpasst, kann man sich die gute Arbeit von 88 Minuten zerstören. Daher möchte ich da eine klare Aufgabenverteilung bei den Spielern haben. Das Wichtigste ist aber, dass die Mannschaft Lust aufs Verteidigen hat.
Scheinbar hat Sie es. Dabei klingt das ganz schön kompliziert.
Es ist ein wenig die Kunst, dass das Team die Anweisungen sofort versteht und im Stress darauf zurückgreifen kann. Natürlich muss vor allem das Mindset gegeben sein, weil man sonst Gegentore kassiert. Ich sehe es so, dass Fußball ein bisschen wie Jazz ist, wenn der Ball läuft. Wenn er aber ruht, dann hat man die Möglichkeit, zu orchestrieren. Dann kann man bestimmen, wer was zu tun hat. Unserer Mannschaft tut dieser Orientierungsrahmen gut.
Was sind weitere Ansätze in Ihrer Trainingsphilosophie?
Für mich ist es wichtig, dass die Jungs ein abwechslungsreiches Training haben und dass man Wiederholungen macht, ohne dasselbe wieder zu machen. Ich bringe die Spieler in Situationen, die sich ähneln. Zudem stresse ich sie immer wieder, zum Beispiel mit Zeitdruck, damit es für sie im Spiel leichter wird, mit Stresssituationen umzugehen. Einen Torwart kann man entweder als ersten Angriffsspieler oder als letzten Abwehrspieler sehen. Ich selbst bin jemand, der sagt, dass man einen mitspielenden Torwart braucht. Nur so kann man ein gutes, dominantes Spiel aufziehen.
Der mentale Teil spielt also eine große Rolle.
Ja, man kann sich Gewohnheiten antrainieren, sie verändern oder manifestieren. Wenn man Dinge und Bilder immer wieder sieht, dann fühlt man sich damit wohl. Es gibt zum Beispiel eine Diskrepanz zwischen Real-Druck und subjektiv empfundenen Druck im Spiel für einen Torwart. Das kann extrem unterschiedlich sein. Daher versuche ich den Torwart im Training viele solcher Situationen durchleben zu lassen. Es geht um diese Trigger- und Wenn-dann-Situationen. Das ist aber natürlich nicht alles. Es geht auch um das Skillset. Wann sollte der Torhüter einen Kurzpass mit der Innenseite spielen, wann den Ball mit der Sohle annehmen und ihn wann mit dem Spann flach durch die Mitte spielen? Bei welchen Distanzen lohnt sich das?
Hatten Sie all diese Ansätze auch schon früher, als selbst noch aktiver Spieler?
Ich stand als Torhüter extrem hoch, habe mitgespielt und den Ball in Stresssituationen gefordert. Allerdings war das eher intuitiv damals. Ich wurde ja ganz anders ausgebildet als die Torhüter heute. Ich bin 1978er-Jahrgang, in meiner Jugend waren die Pfosten noch eckig und aus Holz (lacht) und wir haben auf Asche gespielt. Ich komme aus Wattenscheid, wohnte in einer multikulturellen Nachbarschaft. Wir haben den ganzen Tag draußen gespielt, Fußball oder auch Basketball. Dadurch habe ich nicht mehr so den Druck empfunden, wenn ich den Ball am Fuß hatte. Und hinzu kommt die Mentalität auf dem Bolzplatz: Der Sieger bleibt auf der Platte. Daher musste man gewinnen. Und dafür brauchte man schon damals oft einen sogenannten fliegenden Torhüter. Das hat sich also bis heute etwas durchgezogen.
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