Region. Dr. Thaya Vester forscht zu Gewalt im Amateurfußball. Hohe Strafen sind nicht immer die Lösung. Ein Modell könnte bundesweites Vorbild werden.

Unter anderem seien das graue und nasse Wetter und die enttäuschten Erwartungen durch eine manifestierte schlechte Tabellenlage Gründe dafür, dass es im Herbst jedes Jahr die meisten gewaltbedingten Spielabbrüche im Amateurfußball gibt, sagt Dr. Thaya Vester. Sie ist akademische Mitarbeiterin am Institut für Kriminologie der Eberhard Karls Universität in Tübingen, Mitglied der DFB-Projektgruppe „Gegen Gewalt gegen Schiedsrichter*innen“, der Kommission „Fairness und Toleranz – gegen Gewalt“ des Württembergischen Fußball-Verbands und der DFB-Gruppe „Fair Play – gegen Gewalt und Diskriminierung“ und forscht zu den Themen Spielabbrüche und Gewaltphänomene im Fußball und Sexismus gegenüber Schiedsrichterinnen.

„Die Häufung im Herbst sehen wir auch in dieser Saison. Der Trend setzt sich fort, wir bleiben auf dem bisherigen Niveau“, so Vester zum saisonalen Höhepunkt von Spielabbrüchen. Nach dem Herbst sank die Anzahl an Abbrüchen in den vergangenen Jahren wieder – um zum Saisonende hin noch einmal anzusteigen.

Eine monokausale Erklärung für die Gewalt auf dem Fußballplatz gebe es natürlich nicht, sagt Vester. So komme es auch bei Sonnenschein vor, dass Spiele abgebrochen werden. „Es gibt mehrere Faktoren, die das Aufkommen von Gewalt begünstigen. Aber es ist nie so, dass wir sagen können, was genau der Auslöser war. Man kann nicht in die Köpfe reinschauen. Die Wenigsten wissen selbst, warum sie austicken“, so Vester. Ob Krisen auf der Welt oder steigende Heizungskosten auf die Stimmung drücken würden und so indirekt dazu führen würden, dass es zu Gewalt käme, sei wissenschaftlich nicht ohne Weiteres belegbar.

Zwei Faktoren für den Ursprung von Konflikten – vereinfachte Regeln als Lösungsansatz

Der Ursprung von Konflikten sei zumeist indes an zwei Faktoren festzumachen: An der Unzufriedenheit mit einer Schiedsrichterentscheidung und an dem Frust nach einem Foulspiel. Und gerade da spiele das Wetter noch einmal eine größere Rolle. „Wenn ich gefoult werde und dadurch im Matsch liege, stört es mich noch etwas mehr“, sagt Vester. Bei der Unzufriedenheit mit den Schiedsrichtern käme zudem häufig eine Nichtkenntnis über die Regeln hinzu. Natürlich würden die spielleitenden Personen Fehler machen. Aber häufig scheitere es bei Spielern oder Trainern schon am Wissen von Basisregeln.

Um dem entgegenzuwirken hat das International Football Association Board (IFAB) im Juni 2023 die „Football Rules“ veröffentlicht. Diese sind eine vereinfachte Version der offiziellen Spielregeln, die darauf abzielt, mehr Bewusstsein für die Regeln zu schaffen. „Aber das müsste man mehr kommunizieren und nutzen“, sagt Vester und schlägt vor, dass jeder Spieler und jede Spielerin vor der Saison auf diese Regeln hingewiesen werden könnte.

Die Androhung von höheren Strafen ist nicht ausschlaggebend

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Kommt es zu einem Spielabbruch ist der Ruf nach harten Strafen oft groß. Der Westdeutsche Fußballverband, zu dem auch der Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen und der Fußballverband Niederrhein gehören, kündigte im August an, dass auf die wachsende Zahl an Spielabbrüchen genau so reagiert werden würde. Unsportliches Verhalten kann seitdem mit bis zu 5000 Euro Strafe geahndet werden, ein nicht ausreichender Ordnungsdienst mit bis zu 2500 Euro, mangelnder Schutz des Schiedsrichterteams und des Gegners mit bis zu 7500 Euro. Hinzu kommt ein Abzug von einem bis zu sechs Punkten, wenn der Schiedsrichter oder die Schiedsrichterin von mindestens zwei Beteiligten angegriffen wird. Bei einem Wiederholungsfall im selben Spieljahr folgt der Ausschluss der verantwortlichen Mannschaft vom Spielbetrieb bis zum Saisonende.

Dr. Thaya Vester sagt aber, dass die angedrohte Maximalstrafe in der Theorie und die verhängte Strafe in der Realität zwei unterschiedliche paar Stiefel seien. Zudem könne sie den Ruf nach härteren Strafen zwar verstehen, aber in der Kriminologie gebe es starke Befunde, „dass hohe Strafen nicht so abschrecken, wie man sich das in der Theorie vorstellt.“ Es gehe vor allem um das Entdeckungsrisiko und die Geschwindigkeit. „Ich brauche eine konsequente und schnelle Rückmeldung, dass es nicht in Ordnung ist, was ich gemacht habe. Und dann muss es noch ein wenig wehtun. Ich muss die Leute, die sanktioniert werden, zum Nachdenken anregen und einen Perspektivwechsel schaffen“, sagt Vester.

Schiedsrichter glauben, sie haben weniger Einfluss auf das Geschehen als früher

Jeder Abbruch müsse dabei individuell betrachtet werden. Ein Schiedsrichter könne mit einem versuchten tätlichen Angriff zum Beispiel besser umgehen als ein anderer. Die Schwelle für einen Spielabbruch – aktuell ist er das letzte Mittel, nachdem alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden – sei somit nicht klar definierbar. „Man muss da schauen, wie der Schiedsrichter individuell damit klarkommt. Auf der anderen Seite steht er in sehr vielen Fällen komplett alleine auf dem Feld und muss das Spiel organisieren“, so Vester.

Dr. Taya Vester arbeitet an der Universität in Tübingen und forscht unter anderem zu Spielabbrüchen im Amateurfußball.
Dr. Taya Vester arbeitet an der Universität in Tübingen und forscht unter anderem zu Spielabbrüchen im Amateurfußball. © Unbekannt | Vester

Wenn es dann zu Beleidigungen oder Angriffen kommt, der Schiedsrichter Angst hat, aber beispielsweise noch nicht mit beiden Kapitänen gesprochen hat, bevor er abbricht, ist der Abbruch nicht zwingend von den Regeln gedeckt und es kann zu einer Neuansetzung kommen. „Aber wenn jemand Angst hat, wie soll er denn dann vernünftig ein Spiel leiten? Ich meine, wo sind wir denn, wenn es nur noch möglich ist, dass ich Schiedsrichter werde, wenn ich extrem resilient bin und ein so dickes Fell habe, dass ich das alles an mir abperlen lassen kann“, fragt sich Vester.

Zudem habe eine Dunkelfeldbefragung ergeben, dass Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen glauben, sie hätten weniger Einfluss auf das Spielgeschehen als früher. Sie würden sich dem Geschehen häufiger ausgeliefert fühlen.

Schiedsrichterinnen erleben andere Dinge als Schiedsrichter

Zudem gibt es ja auch nicht die riesige Auswahl an zur Verfügung stehenden spielleitenden Personen. Im Gebiet des Fußballverbandes Niederrhein steigen die Zahlen der Neulinge unter den Schiedsrichtern zum Beispiel zwar – im Halbjahr des Jahres 2022 waren es 197 Neulinge bei den Männern und 15 bei den Frauen, im ersten Halbjahr des Jahres 2023 hingegen 293 Neulinge bei den Männern und 29 bei den Frauen – die Fluktuation ist aber dennoch groß.

Dies trifft vor allem bei den Frauen zu, bei denen rund ein Drittel der Gesamtzahl an Schiedsrichterinnen jedes Jahr aufhört bzw. neu dazukommt, während es bei den Männern rund ein Fünftel ist. Ein Grund hierfür könnten könnten auch Sexismus-Vorfälle sein. „Ich habe Dunkelfeldbefragungen durchgeführt. Das Ergebnis war, dass Schiedsrichterinnen andere Dinge passieren als Männern, sie davon aber deutlich weniger melden. Gerade im Bereich Diskriminierung und Sexismus liegt da einiges im Argen“, so Vester.

Modell des Württembergischen Fußballverbandes kann ein Vorbild sein

Ein Modell welches bei der gesamten und sehr komplexen Problematik ein Vorbild sein könnte, wird aktuell im Württembergischen Fußballverband durchgeführt. Seit der Rückrunde der Saison 2022/2023 läuft dort ein Pilotprojekt. Schiedsrichter dürfen ein Spiel bis zu zwei Mal für jeweils maximal fünf Minuten unterbrechen, um mögliche Eskalationen zu vermeiden und auf aggressive Spielsituationen zu reagieren – egal, ob diese von Spielern, Funktionären oder Zuschauern ausgeht. Mit einem Timeout-Zeichen werden die Teams dann an die Seitenlinie geschickt und erst einmal passiert nichts. Es wird auch nicht diskutiert, die Unterbrechungen werden aber im Spielbericht vermerkt. Entscheidet sich der Schiedsrichter danach dennoch für einen Spielabbruch, wird diese Partie nicht erneut angesetzt. Alle möglichen Mittel gelten dann als ausgeschöpft.

Die Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt waren positiv, weshalb es diese Möglichkeit nun seit dem 1. Juli auf der gesamten Verbandsebene gibt. Es würde zwar auch im Württembergischen Fußballverband im Herbst einen Anstieg an Spielabbrüchen geben, dennoch seien Unterschiede zu erkennen, sagt Thaya Vester.

„Zunächst kam es gar nicht so häufig zur Anwendung. Aber die Schiedsrichter hatten das Gefühl, dass sie ein Instrument an der Hand haben. Dies kann zu einem selbstsichereren Auftreten führen und sich zusätzlich positiv auf die Qualität der Spielleitung auswirken. Und natürlich können sie bei einem Platzsturm oder einer Massenschlägerei aus sofort abbrechen. Bislang hat es aber noch nie den zweiten Stopp gebraucht. Es war immer nach dem ersten erledigt Wir schaffen es in Württemberg tatsächlich gerade, uns sehr deutlich diesem Trend zu widersetzen.“

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