Region. Zu Corona-Zeiten müssen Amateursportler unter erschwerten Bedingungen trainieren. Sportpsychologe Jahan Heidari erklärt, was dadurch passiert.
Die meisten Sportstätten sind aktuell im Corona-Lockdown gesperrt, nur Profisportler und Athleten mit besonderem Kaderstatus dürfen sie zum Trainieren und für Wettkämpfe benutzen. Amateursportler müssen sich anderweitig fit halten.
Wir haben mit Dr. Jahan Heidari über die schwierige Situation der Sportler gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehr- und Forschungsbereich Sportpsychologie der Ruhr-Universität Bochum und Sportpsychologe im Nachwuchsleistungszentrum von Rot-Weiss Essen.
Erst gab es im Frühjahr 2020 für viele Sportler einige Monate keine Möglichkeit, gewohnt Sport zu treiben. Jetzt wieder seit November. Welche Auswirkungen hat dies auf die Psyche?
Das ständige Hin und Her ist im Sinne der Zufriedenheit und Motivation zum Sporttreiben mit Sicherheit nicht förderlich. Besonders der soziale Aspekt der sportlichen Aktivität durch das physische gemeinsame Sporttreiben in Mannschaften oder Gruppen fällt wieder weg. Glücklicherweise wurden in der Zwischenzeit aber einige Ideen und Konzepte entwickelt, welche die ursprünglichen Motive (Beweggründe) zum Sporttreiben zwar nicht 1:1 ersetzen können, aber für eine gewisse Zeit einen guten Ersatz darstellen können.
Was fällt Ihnen da konkret ein?
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So können Sportprogramme über Videoformate angeboten werden und der Wettbewerbscharakter wird über wöchentliche Challenges simuliert. Auf diese Weise kann sportliche Aktivität nach wie vor zur Förderung des psychischen Wohlbefindens genutzt werden, indem man beim Sporttreiben abschalten kann, auf andere Gedanken kommt und im Anschluss das Gefühl hat, etwas geschafft und sich verausgabt zu haben.
Inwiefern beeinflusst eine längere Pause vom Trainings- und Wettkampfbetrieb die Leistung eines Sportlers?
Ich denke, allein auf physiologischer Ebene ergeben sich zwangsläufig Veränderungen, da das reguläre Training und die Intensität von Wettkämpfen sich im digital geprägten Ersatztraining nicht komplett nachbilden lassen. Zudem reduziert sich ohne eine klare Perspektive auf die Wiederaufnahme des Wettkampfbetriebs auch irgendwann die Motivation. Es fehlt der Anreiz, sich in Einheiten komplett zu verausgaben und an die Grenzen zu gehen.
Man spricht ja oft davon, dass es auch Kopfsache ist.
Aus psychologischer Perspektive könnte die Wahrnehmung des eigenen Fitnesszustands und der sportbezogenen Kompetenz die Leistung beim Wiedereinstieg in das reguläre Training beeinflussen. Wenn ich das Gefühl habe, nicht im idealen körperlichen Zustand zu sein und lange nichts sportartspezifisches mehr trainiert zu haben, kann sich das negativ auf mein Selbstbewusstsein auswirken. Nach einigen Einheiten im normalen Trainingsbetrieb sollte sich das aber wieder normalisieren.
Wie anfällig sind Sportler für Leistungseinbußen, wenn der Kopf nicht mitspielt und welche Gefahren kann das vielleicht sogar birgen?
Der mentale Faktor spielt in meinen Augen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die eigene Leistungsfähigkeit als Sportler aufrechtzuerhalten. Wenn sich Sportler nach nicht zufriedenstellenden Leistungen übermäßig Gedanken über den Wettkampf machen und viel hinterfragen, kann sich das auch auf ihre Leistungsfähigkeit in zukünftigen Wettkämpfen auswirken.
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Gerade im Leistungssport sind viele Prozesse automatisiert und ein „Überdenken“ dieser Abläufe kann dann zu verschlechterten Leistungen führen. Es werden sozusagen Ressourcen zum Nachdenken in Wettkampfsituationen verschwendet, welche Sportler beispielsweise zur schnellen Reaktion auf neue Situationen fehlen.
Was kann man dagegen tun?
Um derartigen ungünstigen Entwicklungen entgegenzuwirken, empfiehlt sich eine langfristige Schulung sowie ein systematisches Training der mentalen Fähigkeiten, um Sportler auf Rückschläge und Formtiefs vorzubereiten. Eine Sensibilisierung dafür, dass Leistung nicht dauerhaft auf einem Spitzenniveau gezeigt werden kann, kann schon dabei helfen, mit Leistungseinbußen umzugehen und diese anders zu bewerten.
Ab welchem Leistungsniveau ist sportpsychologische Arbeit im Sport in Form von Beratern oder Betreuern angebracht?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten, weil Sportler unterschiedlich auf Stressoren reagieren und dementsprechend seelische Unterstützung benötigen oder von sportpsychologischer Arbeit profitieren können. Unabhängig vom Leistungsniveau ist es aber zentral, dass Sportler ein soziales Umfeld (u.a. Eltern, Trainer) vorfinden, welches unterstützend agiert und sportliche Leistungen von der Person an sich trennt.
Wie sieht es denn im Amateursport aus?
Prinzipiell kann sich systematische sportpsychologische Arbeit auch schon im Amateursport lohnen, ist in der Realität aber eher selten der Fall. Im Leistungssport sollten die Begleitung und Unterstützung regelmäßig erfolgen und darauf ausgerichtet sein, dass die Sportler eigene Kompetenzen im Umgang mit den negativen Begleiterscheinungen des Leistungssports entwickeln.
Wichtig ist zudem, dass die sportpsychologische Arbeit und Unterstützung von entsprechend ausgebildeten Personen durchgeführt wird (sportpsychologische Experten/Sportpsychologen). Im Falle einer sich entwickelnden oder vorliegenden psychischen Erkrankung müssen die Betroffenen an geschultes Personal (Psychiater/Psychologische Psychotherapeuten) vermittelt werden.
Was können Sportler aktuell zuhause tun, um sich und ihre Gedanken zu ordnen und weiter konzentriert im noch möglichen Training zu bleiben?
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Hier bieten sich verschiedene Maßnahmen an, damit die aktuelle Situation trotzdem gut bewältigt werden kann. Zu Beginn ist die Entwicklung einer klaren Alltagsstruktur zu nennen, beispielsweise mit einer Wochenplanung. Darin könnten verschiedene Themen mit entsprechenden Farben und Zeitfenstern benannt und integriert werden (z. B. Sport = orange; Ausbildung/Beruf = rot; Routinen = blau; Entspannung/Erholung = grün).
Welchen Vorteil bietet das?
Durch die klare Zuordnung und Übersichtlichkeit der anstehenden Aufgaben und Trainingseinheiten wird deutlich, was an den einzelnen Tagen erreicht wurde. Das vermittelt ein Gefühl der Kompetenz und Selbstwirksamkeit: Ich merke, dass sich trotz der diffusen Situation im Allgemeinen etwas bewegt.
Das sollte mit selbst gesteckten sportlichen Zielen kombiniert werden, die sowohl kurzfristig (z. B. Einheit des Tages) mittelfristig (z. B. für die nächsten 2-3 Wochen) als auch langfristig (z. B. Ende des Jahres) angelegt sind. Die Ziele sollten möglichst konkret und messbar formuliert werden, sodass sich der eigene Fortschritt daran auch ablesen lässt (z. B. Steigerung von Wiederholungszahlen beim Krafttraining).
Herr Heidari, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!