Gladbeck. „Gott und das Leben haben mich reich beschenkt.“ Das sagt Georg Rücker. Der 59-jährige Gladbecker ist Fan von Bayern München und Schalke-Pfarrer.

Als die Kirche in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts auf einem Plakat an einer Litfaßsäule mit dem Slogan „Niemand kommt an Gott vorbei“ fast drohend zum Besuch des Gottesdienstes aufforderte, kritzelte jemand „außer Stan Libuda“ darunter! Dem Dribbelkünstler des FC Schalke 04, der an guten Tagen seinem Kontrahenten Knoten in die Beine spielte und in die Orientierungslosigkeit schickte, sollte – posthum - im Leben des Gladbeckers Georg Rücker eine ganz besondere Rolle zukommen.

Georg Rücker wird bei der Weltmeisterschaft 1970 Fußballfan

Ein Gladbecker mit dem UEFA-Pokal: Pfarrer Georg Rücker.
Ein Gladbecker mit dem UEFA-Pokal: Pfarrer Georg Rücker. © K. A. | K. A.

Doch der Reihe nach. Seit mehr als 32 Jahren ist der gebürtige Zweckeler Priester im Dienste der katholischen Kirche. „1988 wurde ich vom Ruhrbischof Bischof Franz Hengsbach zum Priester geweiht – in der Propsteikirche St. Urbanus in Buer. Und seit zehn Jahren bin ich in der Pfarrgemeinde St. Lamberti tätig“, legt der Pastor dar. 1981 machte er am Ratsgymnasium das Abitur, danach stand der Wunsch, Dienst am Altar zu tun, unumstößlich fest. Das Theologie-Studium absolvierte er in Bochum und Augsburg.

„Fußball hat mich seit der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko fasziniert, vor allem der 3:2-Krimi gegen England und der 3:4-Thriller gegen Italien haben mich total in den Bann gezogen“, erzählt Georg Rücker. Im Verein kickte der Zweckeler nie: „Wir spielten jeden Tag auf der Straße und im Käfig. Im Schulsport war es keine große Kunst, unseren Sportlehrer Hannes Tenhumberg, selbst ein guter Fußballer, zu überreden, uns kicken zu lassen“, so der 59-Jährige lachend.

Rücker drückt dem FC Bayern München die Daumen

Und seit Kindeszeiten drückt er den Bayern aus München die Daumen. Eine Tatsache, die die blau-weiße Manager-Legende Rudi Assauer überhaupt nicht störte. Und hier kommt auch das Fußball-Genie Libuda wieder ins Spiel. „Als Stan am 25. August 1996 viel zu früh starb, war ich Krankenhaus-Seelsorger am Marienhospital in Ückendorf“, erinnert sich Rücker. „Als Vertreter des damaligen Pfarrers Goldmann war ich für die Beerdigung zuständig. Der Bestatter sagte mir, ich solle mich mit Schalke in Verbindung setzen, Assauer wolle mich sprechen.“

Das Gespräch drehte sich zunächst um den Verstorbenen, der Manager wartete mit einer Vielzahl von Geschichten und Anekdoten auf. „Als sich dann herausstellte, dass ich seine Tochter Kati, die im Hospital den Kiosk betrieb, gut kannte, war die gegenseitige Sympathie da“, so Rücker.

Schalke-Manager Assauer lädt den Pfarrer zum Spiel in Valencia ein

Bei Libudas Beerdigung, bei der viele Spieler des 70er-WM-Teams zugegen waren, stellte der Seelsorger aus Gladbeck den Spruch von der Werbesäule in den Mittelpunkt. Predigt wie Beerdigungsliturgie hinterließen bei Rudi Assauer wohl einen nachhaltigen Eindruck, fortan war er, obwohl evangelisch, bei allen Messen am Heiligen Abend in der Messe in der Krankenhaus-Kapelle.

Auf den geistlichen Beistand wollte der S04-Macher in der Saison 1996/97 auch auf europäischer Ebene nicht verzichten. „Pfarrer, willste mit nach Valencia mitfliegen?“ Eine rein rhetorische Frage. Aber: Natürlich wollte der Pfarrer. Das 1:1 bedeutete nach dem 2:0 im Hinspiel die nächste Runde. „Vor dem Halbfinale gegen Teneriffa fragten die S04-Verantwortlichen erst gar nicht. Vielmehr ordnete Mannschaftsbetreuer Charly Neumann kategorisch an: „Wir müssen den Pfarrer mitnehmen.“

In Teneriffa ist die Atmosphäre im Stadion aufgeheizt

Teneriffa wurde damals von Jupp Heynckes trainiert, die Atmosphäre im Stadion war ganz schön aufgeheizt. „Ich saß neben Marco van Hoogdalem auf der Tribüne. Ich geriet mitten in eine Schubserei, fühlte mich fast schon an das alttestamentarische Auge um Auge erinnert“, so Rücker.

Dass die Königsblauen in den beiden Finals gegen Inter Mailand auf den bewährten geistlichen Beistand nicht verzichten wollten, verstand sich von selbst. „Als im Rückspiel Marc Wilmots den entscheidenden Elfmeter verwandelte, war die Hölle los“, muss Rücker über seine Wortwahl lachen. „Dass mein Fußballherz eigentlich für die Bayern schlägt, hat Assauer nie gestört. Die Chemie zwischen uns stimmte von Beginn an.“

Die Kapelle auf Schalke ist Rückers zweiter Dienstort

Die neue Kapelle auf Schalke ist seit ihres Bestehens „zweiter Dienstort“ des Pastors, der im Pfarrhaus St. Johannes wohnt. „Früher waren es 30 bis 40 Taufen und Trauungen pro Jahr, jetzt noch etwa 25.“

Dass der Bayern-Fan auch ein großes Herz für Königsblau hat, darüber schütteln viele Fußball-Experten den Kopf, vor allem nach der „Vier-Minuten-Meisterschaft“ 2001. Dazu der Gladbecker: „Kann ich nachvollziehen. Aber dass mir als Bayern-Fan vergönnt ist, so viel auf Schalke zu erleben, zeigt doch: Gott und das Leben haben mich reich beschenkt.“