Gladbeck. Aus aktuellem Anlass (SV Zweckel, SG Preußen Gladbeck) hat die WAZ bei den Fußballklubs nachgefragt: Gibt es eigentlich noch Vereinstreue?
Vereinstreue – kann davon heutzutage noch die Rede sein? Es gibt einen Zeitraum im Jahr, in dem der bekannte Lügenbaron Hieronymus C. F. von Münchhausen geradezu als seriöser Frontberichterstatter erscheint, zumindest, wenn man ihn mit den Treuebekenntnissen von Fußballern vergleicht, die überwiegend in Kreisligen ihre Knochen hinhalten. Jetzt dürfen Trainer wie Vereinsfunktionäre – vorübergehend – durchatmen: Der sogenannte Lügen-Monat Juni ist vorbei, die Frist für Abmeldungen definitiv verstrichen.
Vereinstreue, wirklich nur noch ein belächeltes, arg verstaubtes Relikt aus längst vergangener Zeit? Kürzlich hatte Daniel Thiele, Trainer des A-Ligisten SG Preußen Gladbeck, gegenüber der WAZ seinem Unmut Luft gemacht. „Da sagen Leute zu, an den Jahnplatz zu kommen, doch vor Ende Juni kann man sich nicht unbedingt darauf verlassen“, lässt der 37-Jährige, dessen Pass schon seit der Jahrtausendwende im Vereinsheim am Nordpark liegt, Enttäuschung über gebrochene Versprechen durchblicken.
Daniel Thiele, Trainer von SG Preußen Gladbeck, freut sich über Rückkehrer
Er sagt aber auch: „Der Verein muss auch was dafür tun, die Identifikation der Spieler mit dem Klub zu erhöhen.“ Dass sich der eine oder andere Spieler mal umsieht, findet der Coach der Preußen in Ordnung: „Schön ist es, wenn dann jemand wieder den Weg zu uns zurückfindet, weil er sich halt hier am wohlsten gefühlt hat.“
Als Paradebeispiel für gelebte Vereinstreue kann auch Jörg Waschkewitz dienen, der einst von Eintracht Erle an den Luftschacht wechselte und seitdem Adler Ellinghorst die Treue hält, zunächst als Spieler, danach als Trainer und Vorstandsmitglied. Letzteres schon länger als drei Jahrzehnte. Der einfache Grund? „Ich habe mich bei Adler sofort zu Hause gefühlt. Dank Agnes Gatzke war Adler wie eine Familie, die man nicht so einfach verlässt.“
Jörg Waschkewitz, Boss von Adler Ellinghorst, hat einige Enttäuschungen erlebt
Die ehrenamtliche Vorstandsarbeit habe er, so Waschkewitz, immer als innere Verpflichtung angesehen, schon die Formulierung der sogenannten Wandervögel, man habe keinen Bock mehr, widere ihn an. Natürlich habe er einige Enttäuschungen erlebt, Spieler, deren Zusagen keinen Pfifferling wert waren.
Waschkewitz: „Eigentlich müsste Adler sich vor Jugendtrainern und Ehrenamtlichen nicht retten können, wenn ich überlege, wie viele durch unseren langjährigen Ehrenpräsidenten Jupp Böckmann einen Job bei der VEBA bekommen haben. Doch auch viele von denen zogen weiter. „Aber“, so der Adler-Boss weiter, „ob diese Wandervögel auch eine so schöne Zeit in ihrem neuen Klub erlebten wie ich hier in Ellinghorst, wage ich zu bezweifeln.“
Beim SV Zweckel sind mehrere Spieler trotz vorheriger Zusage abgesprungen
Als Chef und „Gesicht“ des SV Zweckel blickt auch Uli Wloch auf ambivalente Erfahrungen zurück: „Paradebeispiele für Treue zum Verein sind für mich Uli Simon und Dieter Gerstmann, die ihr Leben lang dem SVZ die Treue halten und sich engagieren.“ Wloch selbst kommt auf mehr als respektable 42 Jahre bei den Schwarz-Grünen. „Und selbst in meinen zwei Jahren beim TSV Feldhausen bin ich SVZ-Mitglied geblieben.“
Das krasse Gegenbeispiel erlebt Wloch gerade. „Noch im März sagten die meisten Spieler zu, im Falle des Bezirksliga-Erhaltes zu bleiben“, so sein Blick zurück im Zorn. „Wenn dann ein Kicker von uns in eine höhere Liga wechselt, bin ich sogar stolz darauf, aber dass Torjäger und Kapitän Haris Imsirovic oder Maurice Hövel zu einem Klub der gleichen Klasse wechseln, kann ich nicht nachvollziehen.“ Seine Erklärung für den Wortbruch: „Die Mentalität ist eine andere.“
Karl Englich fragt sich manchmal: Warum tue ich mir das an?
Um die Bindung an den Verein enger zu gestalten, binden Uli Wloch und seine Mitarbeiter junge Spieler früh als Trainer im Nachwuchsbereich ein. Ein gutes Rezept, aber eben kein Patentrezept.
Auf ein Erlebnis der besonders krassen Art kann der Coach der SVZ-Reserve zurückblicken. Karl Englich, bei einigen Klubs des hiesigen Fußballkreises an der Seitenlinie, führt in aller Regel zwischen Februar und April Gespräche mit seinen Spielern, „so dass ich Ende April schon für die neue Saison planen kann.“ Pustekuchen! „In Middelich-Resse hatte ich mal Zusagen fast aller Akteure, doch am 30. Juni flatterten gleich 14 Abmeldungen ins Geschäftszimmer. Da fragt man sich schon, warum man sich so etwas überhaupt antut und nicht als Trainer aufhört. Manch´ ein Spieler agiert nach dem Motto `Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern´.“
Helmut Gumprich war sportlich wie beruflich ein Ausbund an Zuverlässigkeit
Englich selbst lief in seiner aktiven Karriere für drei Vereine auf, mancher Spieler habe am Ende seiner Jugendzeit schon acht, neun Stempel in seinem Spielerpass. „Wenn ich als Trainer den einen oder anderen nach dem Spiel mit deutlichen Worten kritisiert habe, ist er in der Woche darauf nicht mehr erschienen.“
Wie aus der Zeit gefallen kommt da Helmut Gumprich rüber, sportlich wie beruflich ein Ausbund an Zuverlässigkeit. „Ich habe mehr als 40 Jahre beim BV Rentfort gespielt und knapp 50 Jahre im Autohaus Fiebig gearbeitet. Heute spielt Geld noch mehr eine Rolle als früher“, schätzt Gumprich, den Fußball-Gladbeck eigentlich nur als „Igel“ kennt. „Die Wandervögel, die man kannte, hielten die Hand auf und zogen nach spätestens drei Jahren weiter. Die vereinstreuen Spieler gingen in aller Regel leer aus.“
Hermann Zirwes bezeichnet den BV Rentfort als „Insel der Seligen“
15 Jahre lang betreute Hermann Zirwes Jugendmannschaften „seines“ BV Rentfort. „Von der F- bis zur A-Jugend spielte ich damals beim STV Horst, wir wohnten ganz in der Nähe des Füstenbergstadions“, blickt Zirwes zurück. „Als wir nach Gladbeck zogen, meldete ich meinen Sohn Carsten beim BVR an und trainierte ihn und sein Team.“ Auch sein Filius blieb seinem Klub treu, wegen hoher beruflicher Beanspruchung kickt er in der Vierten. Fazit von Vater Hermann: „Rentfort scheint mir auch in puncto Vereinstreue ein wenig Insel der Seligen zu sein.“
„Treue ist ein Dauerversuch wie eine Dauerversuchung“, befand einst der Schriftsteller Erhard Blanck. Wie wahr für die Treue zum Verein vor allem im Lügenmonat Juni, wenn die Nachfahren von Baron von Münchhausen zu großer Form auflaufen . . .