Buer. Michael Kopzog (60), der den Box-Club Erle 49 in vielen Ländern bekanntgemacht hat, lebt seit März in einer Demenz-WG. „Mir geht’s gut“, sagt er.
Es ist 16 Uhr. Der Mann, der da vor seinem Zimmer im Nachbarschaftszentrum Löchterheide an der Pfefferackerstraße steht, blickt seinen Besucher sehr skeptisch an. Als er aber merkt und weiß, dass da jemand mit ihm über das Boxen quatschen will, entspannt er sich schnell. Er wird locker. Michael Kopzog, der seit März in einer Demenz-Wohngemeinschaft lebt, taucht in seine Welt ab, in die Welt, die er geliebt hat, die er liebt. Er kann jedes noch so klitzekleine Detail seiner Karriere schildern, und dabei ist es auch völlig egal, dass er einige Dinge mehrmals wiederholt. Wegen seiner Alzheimer-Krankheit. Was er erzählt, ist interessant, es ist spannend.
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Da sitzen wir nun an diesem Nachmittag in seinem Zimmer, an dessen Wänden Familien- und, klar, Box-Fotos hängen. Sport ist schon immer Michael Kopzogs Ding gewesen. „Da war ich gut, darauf habe ich immer Lust gehabt“, sagt er. Nach einer kurzen Fußballer-Karriere bei Eintracht Erle – zunächst als Torwart, dann als Stürmer – ist er, weil er auf den Lieblingssport der Deutschen keine Lust mehr hatte, beim Box-Club Erle 49 gelandet. Als Elfjähriger.
Jugend-Länderkampf gegen Dänemark in Hamburg
Und? „Da haben wir immer Fußball gespielt, aber ich wollte ja Boxen lernen“, sagt Michael Kopzog, der auf seinem Bett hockt, und ballt die Faust seiner linken Schlaghand, die in früheren Jahren so einige knallhart zu spüren bekommen haben. Einmal die Woche sei dann doch geboxt worden, erzählt der seit dem 28. Juni 60-Jährige. Nicht unbemerkt. Fritz Wein hat das damals gesehen und dafür gesorgt, dass „ich mit elf bei den Männern mitmachen durfte“, sagt Michael Kopzog. „Er hat uns gut geschult und sehr gut trainiert.“ Und er hat damit eine außergewöhnliche Box-Laufbahn mit fast 300 Kämpfen eingeläutet.
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Im Moment, als er von seinen Erfolgen erzählen darf, lächelt Michael Kopzog sogar ein bisschen. Er ist voll drin in seiner Lieblingswelt, in der er als 15-Jähriger in der 42-Kilo-Klasse zum ersten Mal Deutscher Meister geworden ist. Und da wären wir auch schon bei seiner Lieblingsgeschichte. Nein, wir sind nicht bei weiteren DM-Titeln oder der Vize-Europameisterschaft bei den Junioren 1978. Es ist, das weiß Michael Kopzog noch ganz genau, im November 1975 gewesen. Auf seiner Zugfahrt von Gelsenkirchen nach Hamburg zum Jugend-Länderkampf gegen Dänemark legt er sich sein Konzept zurecht. Und? „Buff, Ende, genau aufs Kinn“, sagt er und strahlt. „Nach drei Sekunden war alles vorbei. Das hat kein Boxer auf der Welt geschafft. Nicht einmal Mike Tyson.“
Fünf Profi-Kämpfe zum Abschluss der Karriere – fünf Siege
Michael Kopzog ist fortan auf einem herausragenden Box-Weg gewesen. Und wenn er an die Profis denkt – zum Abschuss seiner Karriere 1989 hat er selbst noch fünf solcher Kämpfe bestritten und alle gewonnen –, wird er ein bisschen wehmütig. „Wenn die Mauer zehn Jahre eher gefallen wäre“, sagt er, „wäre ich heute Millionär.“
Dass der Traum vom Millionär geplatzt ist, scheint Michael Kopzog aber nicht wirklich zu jucken. Da gibt es nämlich etwas anderes, das schlimmer ist, viel schlimmer sogar. Voller Stolz erzählt er von seinem Triumph 1979, als er und nicht René Weller von Bayerns Ministerpräsident Franz-Josef Strauß bei den Deutschen Meisterschaften in München den Ehrenpreis für den besten Techniker erhalten hat und anschließend für ein Jahr bei vollem Gehalt freigestellt worden ist, um sich auf die Olympischen Spiele 1980 in Moskau vorzubereiten. „Ich war im dritten Lehrjahr“, sagt der ehemalige Installateur, der fortan, sofern er in Deutschland gewesen ist, Privatunterricht erhalten hat. Auf Kosten des Deutschen Amateurbox-Verbandes.
Trainer beim Fight-Club Gelsenkirchen
„Olympia ist doch für jeden Sportler das Größte“, sagt Michael Kopzog und wirkt nachdenklich. Wohl wissend, wie die Geschichte weitergegangen ist. Kurz vor der Abreise nach Moskau, im Trainingslager in Hennef, kommt nämlich die schreckliche Nachricht: Die Bundesrepublik Deutschland schließt sich den USA an und boykottiert die Olympischen Spiele in Moskau. Weg ist dieser große Stolz, in der Qualifikation alle zehn Kämpfe gewonnen zu haben. „Ich war enttäuscht“, sagt er. „Ich hatte doch ein Jahr dafür trainiert.“
Inzwischen stehen wir draußen, der Fotokollege ist eingetrudelt und Michael Kopzog in seinem Element. Es macht ihm Spaß, seine Fäuste zu ballen, die rechte Führ- und die linke Schlaghand unter Spannung zu setzen. „Ich bin immer auf dem Teppich geblieben, habe nie angegeben. Die meisten drehen ja durch“, sagt er und erzählt mit einem Schmunzeln, einst auch die Gelsenkirchener Sportlerwahl vor Schalkes Fußball-Ikone Klaus Fischer gewonnen zu haben.
Einmal mehr berichtet er auch davon, dass Geld für ihn nie eine entscheidende Rolle gespielt habe. „Ich kann sprechen, ich kann hören, ich kann sehen, und ich kann mich bewegen. Mir geht’s gut“, sagt der 60-Jährige, der auch trotz seiner Erkrankung noch als Trainer beim Fight-Club Gelsenkirchen arbeitet und sein überragendes Box-Wissen weitergibt. Seine Tochter Kim Schneider braucht er dann als Taxifahrerin.