Gelsenkirchen. Schalkes Nachwuchschef Peter Knäbel spricht über „desaströse“ Zustände und die Fehler bei der Ausbildung von Stürmern. Martin Max soll helfen.
Sein erstes Bundesligaspiel hat Peter Knäbel mit 17 Jahren für den VfL Bochum absolviert, Trainer war Rolf Schafstall. Es stand 0:4 in Gladbach und Hermann Gerland befand bei dem klaren Rückstand, dass Knäbel nun ins Spiel kommen sollte, „weil der Kleine jetzt auch nichts mehr kaputtmachen“ könne. Am Ende stand es nur noch 4:3 für Gladbach, Klaus Fischer traf noch zweimal für Bochum und „der kleine“ Knäbel erzielte sein erstes Bundesliga-Tor. 1984 war das.
Heute ist Peter Knäbel 53 und für die Ausrichtung der Schalker Knappenschmiede verantwortlich. Für die WAZ nimmt sich der gebürtige Wittener 90 Minuten Zeit, um zu erklären, was er in den ersten eineinhalb Jahren auf Schalke bewirkt hat, wohin der Weg der Knappenschmiede führt. Im ersten Teil des Interviews geht es auch um Defizite in der Ausbildung, um die Not, Stürmer zu finden. Den zweiten Teil lesen Sie morgen in Ihrer WAZ.
Herr Knäbel, in dieser Woche waren fünf Schalker Spieler bei den U-Nationalmannschaften des DFB, aber keiner bei der wichtigen U19. Ist das der Anspruch von Schalke 04?
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Peter Knäbel: Die Frage ist nicht, was ist der Anspruch von Schalke 04, sondern was ist das Ziel? Und das Ziel ist, dass wir regelmäßig die erste Mannschaft mit Spielern versorgen wollen. Im letzten Jahr waren es vier Spieler, die aus der Knappenschmiede nach oben gekommen sind (gemeint sind Kutucu, Mercan Boujellab und Carls, Anm. der Redaktion). Dafür, dass mir kolportiert worden ist, dass in den nächsten Jahrgängen nicht viel dabei ist, ist das aus meiner Sicht ein bisschen mehr, als man quantitativ tun kann. Qualitativ würde man sich natürlich wünschen, dass einer von den Jungs noch mehr zum Einsatz kommt.
Die Knappenschmiede ist eine Marke wie La Masia
Als Sie im April 2018 auf Schalke angefangen haben, hat die damalige sportliche Leitung suggeriert, die Knappenschmiede sei nicht mehr führend in Deutschland. Konnten Sie das bestätigen?
Es gab zwei Dinge. Erstens: Mir war klar, dass da ein Könner am Werk sein muss, wenn ich sehe, was Norbert Elgert aus seiner U19 nach oben gebracht hat. Und zweitens: Das System kann nicht schlecht sein, weil es über Jahre gut funktioniert hat. Die Knappenschmiede ist eine Marke – ein solcher Status ist unersetzlich. So etwas hat noch Barcelona mit La Masia. Deswegen bin ich mit größter Wertschätzung an die Sache herangegangen.
Aber?
Dass irgendetwas nicht mehr perfekt war, war augenscheinlich. Im Bereich Infrastruktur war der Zustand desaströs. Wenn du in der heutigen Zeit keine Büros für deine hauptamtlichen Trainer hast, ist das peinlich. Auch die Kabinen waren in die Jahre gekommen. Das hat alles für eine gewisse Zeit funktioniert, aber so konnte es nicht weitergehen. Denn die Konkurrenz war irgendwann mit ihren Rahmenbedingungen so attraktiv, dass wir Gefahr liefen, auf Strecke nicht mehr mithalten zu können.
Was haben Sie getan?
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Ich habe ja riesig viel Glück gehabt, dass ich auf Schalke direkt in das laufende Bauprojekt gekommen bin: Jetzt haben wir Trainingsplätze, wir haben angemessene Büros und wir haben deutlich aufrüsten dürfen im Bereich Athletik. Aber ich nenne ein Beispiel aus meiner Zeit in Basel: Dort waren die Kabinen noch schlechter, da wolltest du nicht drin sein. Wir haben dann ein wunderschönes Leistungszentrum für 20 Millionen Euro gebaut. Aber die Spieler, die da jetzt rauskommen, sind nicht unbedingt besser als damals Ivan Rakitic, Xherdan Shaqiri oder Jan Sommer. Was ich sagen will: Ohne Investitionen geht es nicht, aber in Bezug auf meine Tätigkeit geht es ja auch um Entwicklung: Um Leistungsanalyse, Strukturen.
Die Schweiz lehrt dich, dass du aus weniger mehr machen musst
Sie haben in diesem Bereich viele Jahre extrem erfolgreich in der Schweiz gearbeitet. Was haben Sie von dort nach Schalke mitgenommen?
Ein Land wie die Schweiz lehrt dich, dass du aus weniger mehr machen musst. Als ich nach Winterthur gekommen bin, war ich Trainer, Spieler, Nachwuchschef und ich habe noch die Wäsche gewaschen für die erste Mannschaft – das muss man mal tun in seinem Leben, jeder hat mal investieren müssen. Dieses Wissen hilft dir, wenn du an einen Ort kommst, wo du viele Möglichkeiten hast. Für mich ist es auf Schalke wichtig, dass wir das Geld bei klaren Projekten einsetzen. Ich kann gar nicht sagen, wie lange wir über den Grundlagenbereich diskutiert haben, über die ganz Kleinen. Brauchen wir den, oder brauchen wir den nicht?
Was ist dabei herausgekommen?
Ich habe in der Schweiz gelernt: Du musst dich trauen, Dinge zu machen, die andere noch nicht machen. Wir haben im Grundlagenbereich bei den ganz Kleinen eine U8 gegründet, wir wollen hauptsächlich vier gegen vier spielen und die Mannschaft spielt in unserem Kreis 12. So machen wir es jetzt in den nächsten drei Jahren, ohne Rücksicht auf Verluste. In großen Systemen ist es dagegen häufig so, dass man ein Stück darin gefangen ist.
Das ist völlig unverständlich
Zum Beispiel?
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Für mich ist es völlig unverständlich, dass wir in Deutschland in der U17 zweimal 40 Minuten spielen. Jugendliche, die fünf- bis siebenmal die Woche trainieren, dürfen nur zweimal 40 Minuten spielen? Warum können die nicht auch zweimal 45 Minuten spielen? In Barcelona haben sie ein Talent namens Ansu Fati, der spielt schon mit 16 in der Primera Division. Und wir spielen in Deutschland mit unseren 17-Jährigen noch immer zweimal 40 Minuten. Mir fällt beim besten Willen kein Argument ein, das dafür spricht. Im Bereich Talententwicklung gibt es einen sicheren Wert: du musst spielen, spielen und wir müssen den Spielern diese Spielminuten geben.
Wie wäre Hoffenheims Entwicklung ohne Nagelsmann?
Machen andere Länder, Frankreich oder Portugal zum Beispiel, die Talentförderung besser?
Ich bin kein Freund von dieser Grundsatzdebatte. Was ich sicher sagen kann ist, dass wir mit Schalke vor einem Jahr in der Youth League gegen den FC Porto gespielt und eine außergewöhnliche Mannschaft gesehen haben, die dann auch die Youth League gewonnen hat. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass wir im gleichen Jahr mit dem Spiel zwischen Schalke und Hertha BSC ein unglaublich gutes U19-Finale hier in Oberhausen gehabt haben, das sich hinter der Qualität von Porto nicht verstecken muss. Wir haben hier genug Ressourcen. Am Ende ist es eine Frage, wie gut du in der Entwicklung deiner Trainer bist, weil am Ende nur top Trainer auch top Spieler herausbringen. Stellen Sie sich mal die Entwicklung von Hoffenheim ohne Julian Nagelsmann vor.
Woran hapert es dann in Deutschland?
Es gibt ein grundsätzliches Problem, das auch Schalke hat: Wir haben Probleme, Tore zu erzielen – das gilt für alle. Diese Frage ist essenziell für unser Spiel. Den Torhütern schießen wir pro Training 100-Mal den Ball in die Handschuhe, aber die Stürmer schießen nicht 100-Mal aufs Tor. Wenn heute ein Stürmer frei auf den Torwart zuläuft, wie hoch würden Sie die Chance berechnen, dass er ein Tor schießt?
Gefühlt haben die Stürmer Rückschritte gemacht
Vielleicht 30 Prozent.
Ich würde es heute bei 30 bis 40 Prozent einstufen – früher hätte ich 60 Prozent gesagt. Das hat sich total verändert. Auf einmal ist der Torhüter derjenige, der die Situation dominiert – früher war es der Stürmer. Wenn man sieht, wie viele Fortschritte die Torhüter in den letzten 20 Jahren gemacht haben, dann muss man sich fragen: Wo bleiben unsere Stürmer? Gefühlt haben die im Vergleich zu den Torhütern Rückschritte gemacht. Und warum? Weil mit den Torhütern individuell gearbeitet worden ist. Mit den Stürmern wurde nicht in gleichem Maße gearbeitet.
Das wollen Sie ändern?
Ich habe es zu meiner Zeit als junger Spieler in Bochum erlebt, wie Klaus Fischer im Training mit Uwe Leifeld gearbeitet hat – das hat mir wahnsinnig imponiert. Und es hat mich geprägt. Wir haben auf Schalke jetzt Martin Max als Stürmertrainer der U16 und U17 dazu geholt, das hat sich sehr gut angelassen. Bei Martin war es so, dass die Leute bei uns in den Fußballschulen immer geschwärmt haben, wie gut er sich dort eingebracht hat. Denn: Du musst es natürlich auch vermitteln können, wie es geht. Nur vom reinen Vormachen wird’s nicht besser.
Moukoko? Es gab schon viele mit viel Anlauf - aber er scheint interessant zu sein
Borussia Dortmund hat mit Youssoufa Moukoko einen Stürmer, den manche als Jahrhunderttalent bezeichnen. Wie sehen Sie seine Entwicklung?
Es ist schön, wenn du so einen bei dir im Verein hast, statistisch gesehen kommt so etwas immer wieder vor. Das sind Ausnahmen. Ohne Moukoko jetzt mit Robert Lewandowski vergleichen zu wollen: Auch in Polen wird es schwer sein, noch einmal einen solchen Stürmer zu produzieren. Es gab schon viele, die mit so viel Anlauf gekommen sind, aber dahin zu kommen, wo ein Lewandowski ist, wird schwer. Ich verfolge sehr interessiert die Entwicklungskurve junger Stürmer, wie beispielsweise die von Fiete Arp. Es gab schon viele, die mit so viel Anlauf gekommen sind, und der Anlauf von Moukoko scheint wirklich interessant zu sein. Wir müssen einfach gucken, dass wir diese Position neun wieder besetzt bekommen. Auf Schalke und auch in Deutschland.