Gelsenkirchen. . Schalkes Jahrhunderttrainer kritisiert die Respektlosigkeit in der Gesellschaft und hat auch einen Tipp für David Wagner: eine Weihnachtsfeier.
Die dritte Trainer-Mission beim Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 war für Huub Stevens eine schwierige – schwieriger, als er selbst gedacht hatte. Und der 65-Jährige, der die Königsblauen 1997 zum Triumph im Uefa-Cup sowie 2001 und 2002 zu den Siegen im DFB-Pokal geführt hat, macht im Interview mit Schalke TV kein Geheimnis daraus, dass er sein Trainer-Büro nicht vermissen wird. Er will sich jetzt erst mal erholen und, wie er sagt, „wieder das normale Leben genießen“.
Huub Stevens möchte auch nicht mehr in dieses Schalke-Leben zurückkehren. „Ich hoffe“, sagt er. „dass in der Zukunft, wenn noch mal etwas passiert, mich mein Sohn, meine Tochter und meine Frau davon abhalten, so einen Job anzunehmen.“ Ganz kurze Pause. „Ich tue das nicht mehr“, sagt er dann.
Freundschaft zu Manager Rudi Assauer
Nach der Trennung von Domenico Tedesco, die nach dem Champions-League-Aus gegen Manchester City erfolgte, kehrte Huub Stevens aus dem Aufsichtsrat auf die Kommandobrücke zurück, um das sinkende Schalker Schiff gemeinsam mit seinen Co-Trainern Mike Büskens und Matthias Kreutzer vor dem Untergang zu retten, vor dem brutalen Sturz in die 2. Bundesliga.
Lange musste Huub Stevens damals nicht überlegen, und dafür gab es zwei entscheidende Gründe: seine Freundschaft zum langjährigen Schalker Manager und am 6. Februar verstorbenen Rudi Assauer sowie seine Liebe zum Verein. „Die Freundschaft war vom ersten Tag an da, und er hat mich in seinen Gedanken über Schalke 04 mitgenommen. Das hat Rudi vorgelebt, und das haben wir auch übernommen“, erzählt Huub Stevens. „Und wenn du dich von ihm verabschiedest und einige Wochen später gefragt wirst, das Traineramt zu übernehmen, dann denkst du auch daran. Er hat mit seinen Ideen ein Stadion gebaut, was damals unglaublich war. Er ist der Macher gewesen, und dann nimmst du die Gefühle, die er für den Verein hatte, auch mit und willst die Verantwortung nicht zur Seite legen.“
Früher eine Kamera am Trainingsplatz
Positiv sei auch der Auftritt des damals noch ganz neuen Sportvorstandes Jochen Schneider gewesen. „Er hat endlich mal erklärt, wie es ist“, sagt Huub Stevens und berichtet, dass die Mitglieder des Aufsichtsrates auch nicht so viel mitbekämen. Und er ist sich zu 100 Prozent sicher, dass ihn auch Rudi Assauer gefragt hätte, ob er nicht helfen könne. „Deshalb habe ich auch keine Zweifel gehabt, das zu tun“, sagt der Schalker Jahrhunderttrainer.
Was nach dieser Entscheidung folgte, waren knapp zehn Wochen, die sich Huub Stevens ein bisschen anders vorgestellt hatte. Aber er musste doch ahnen, dass es kompliziert wird? „Ja und Nein“, antwortet der Limburger. „Ich wusste, dass es eine sehr schwierige Aufgabe wird. Aber auf der anderen Seite hatte ich es mir leichter vorgestellt.“ Dass der Weg zum Klassenerhalt nicht ganz so einfach war, hat für Huub Stevens vor allem auch etwas mit der rasenden technischen Entwicklung zu tun, allerdings nicht mit der des Fußballs. „Du hast mit einem System zu tun, das nichts mehr mit mir zu tun hat. Du hast mit Social Media zu tun, und deshalb ist es viel schwieriger im Vergleich zu unserer damaligen Arbeit“, erklärt er. „Da war eine Kamera am Trainingsplatz. Jetzt hat jeder eine Kamera und bringt Sachen nach draußen, die besser nicht nach draußen kommen sollten. Aber so ist das.“
Schon seit Jahren keine Weihnachtsfeier mehr
Aber es ist auch so, dass es Huub Stevens nicht mehr so richtig gefällt. „Heute wird über Fußball ganz anders gedacht, als wir das vor 30, 40 Jahren getan haben“, sagt er. „Deshalb ist es gut, dass da junge Trainer herangehen, weil die doch etwas näher an den Gedanken der Spieler sind als ich.“
Wie David Wagner, der neue Cheftrainer der Königsblauen,der Schalke kennt und mit dem Huub Stevens auch schon gequatscht hat. Tipps hat der Trainer-Oldie seinem 18 Jahre jüngeren Kollegen und ehemaligen Spieler offensichtlich auch gegeben. „Beispielsweise eine Weihnachtsfeier zu organisieren“, sagt Huub Stevens im Schalke-TV-Interview. „Das ist hier anscheinend seit drei, vier Jahren nicht mehr gelungen. Das ist großer Quatsch, das musst du erledigen. Da schmelzt man eine Mannschaft zusammen. Nicht nur die Spieler sind wichtig, auch die Frauen und Kinder. Da musst du ein Klima schaffen, dass sich diese auch wohlfühlen. Das ist in der vergangenen Zeit hier nicht passiert, und da haben wir wieder angesetzt.“
Huub Stevens glaubt, ein paar Denkanstöße gegeben zu haben
Ob aus diesem Ansätzen auch ein Umsetzen geworden ist, kann Huub Stevens nicht beurteilen. Er glaubt aber schon, ein paar Denkanstöße gegeben zu haben. „Wenn das nicht der Fall ist, dann ist der Klassenerhalt auch nicht mehr wichtig“, sagt er in aller Deutlichkeit. „Ich hoffe, dass die Spieler gelernt haben, wie sie da hingekommen sind und was sie getan haben, um da wieder rauszukommen. Und ich hoffe, dass sie von den Wochen, in denen hier ein alter Trainer gesessen hat, doch etwas mitgenommen haben.“
Huub Stevens, der den Schalker Fans sowie auch allen Mitarbeitern des Klubs noch einmal ausdrücklich für deren Unterstützung dankt und denen er im letzten Saisonspiel gegen den VfB Stuttgart auch gerne ein paar Tore geschenkt hätte, hat es in den vergangenen Wochen als unheimlich schwierig empfunden, eine Mannschaft zu formen. „Du brauchst eine klare Linie, und du darfst auch nicht von dieser Linie abweichen. Wenn du abweichst, hast du keine Chance“, sagt er. „Ob diese Linie dann gut war, siehst du erst im Nachhinein. Aber ich dachte, dass diese Truppe eine bestimmte Disziplin nötig hatte, und die haben wir auch versucht, hereinzubringen.“
Absonderung durch Reichtum
Und wie? „Das geht manchmal nur auf eine harte Art und Weise. Aber wenn man gegenüber einer Mannschaft ehrlich ist, muss man hart sein“, sagt Huub Stevens. „Der Weg ist dann klar, und das habe ich auch gesagt: Absprachen sind Absprachen. Da kommt man dann auch nicht herum, das muss man durchführen. Das habe ich getan, das hat der Trainerstab getan. Und deshalb konnten die Spieler auch nicht anders, sie mussten mitgehen.“
Huub Stevens musste viele Dinge anders machen als früher, und dafür verantwortlich macht er vor allem auch die gesellschaftliche Entwicklung. „Wir sind in einem System, in dem unheimlich viel Egoismus herrscht. Wenn du dann als Fußball-Mannschaft zusammenhalten musst, ist das nicht einfach“, sagt er. „Die Spieler denken egoistisch, sie sind so aufgewachsen. Das hat unser System angeboten, und das haben sie auch angenommen.“ Die Fußballer heute seien in viel größerem Reichtum aufgewachsen. „Reichtum ist auf der einen Seite schön, aber andererseits sondert man sich dadurch auch ein wenig ab“, meint Huub Stevens. „Guck doch mal auf die Straße, wie wenig Respekt es untereinander gibt.“