Gelsenkirchen. „Saisonende - kommt jetzt die Wende?“ Zum Start der neuen Schalke-Serie analysieren wir die Fehler von Christian Heidel und Domenico Tedesco.

Martin Schmidt wollte an diesem Tag im Mai einfach nur ein guter Gast sein. Also wandte sich der Trainer des FC Augsburg nach dem 0:0 seiner Mannschaft auf Schalke an die Runde in Gelsenkirchen und gratulierte dem FC Schalke 04 zum Klassenerhalt. So höflich das gemeint war, so sehr legte er damit nochmals den Finger in die immer noch schmerzende königsblaue Wunde: Wenn der FC Augsburg dem abgeschmierten Vize-Meister die Glückwünsche zum Erhalt der Erstklassigkeit aussprechen darf, dann muss auf Schalke schon verdammt viel schiefgelaufen sein.

Von Platz zwei auf 14 in der Abschlusstabelle – wie konnte es so weit kommen?

Die schwierigste Schalke-Mission für Huub Stevens

Diejenigen, die bei diesem rasanten Absturz die Steuermänner waren, waren schon nicht mehr an Bord, als Martin Schmidt den Schalkern an diesem Tag im Mai zum Klassenerhalt gratulierte: Manager Christian Heidel verließ Ende Februar freiwillig das sinkende Schiff und löste damit weitere Turbulenzen aus – ein Abschied, der viele Fragen offen ließ. Drei Wochen später war auch Trainer Domenico Tedesco nicht mehr zu halten. Mit Huub Stevens musste ein alter Fuhrmann das Ruder übernehmen und empfand dies als die schwierigste Mission seiner langen Trainer-Karriere.

Beteiligt an diesem Absturz waren viele: Die unfassbar blutleere und scheinbar wehrlos vor sich hindümpelnde Mannschaft auf dem Platz genauso wie der junge Trainer, der in seinem zweiten Jahr auf Schalke ganz sicher vieles falsch eingeschätzt hat – doch dazu später mehr. Verantwortlich war in letzter Instanz aber vor allem einer: Christian Heidel in seiner Funktion als Sportvorstand. „Er hat den Generalschlüssel von Schalke gekriegt”, stellte Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies zuletzt im TV-Sender Sky noch einmal klar: „Das Ergebnis haben wir jetzt.” Deutlicher kann man eine Verantwortlichkeit kaum benennen.

Die Schalke-Kritik an Heidel

Tönnies ging sogar noch einen Schritt weiter und deutete an, dass es über die Amtsführung Heidels einiges zu sagen gebe, er dies aber für sich behalten werde: „Er”, sagte Tönnies über Heidel, „ist gut weggekommen. Wir sind nicht dabei, etwas in die Öffentlichkeit zu tragen.” Eine Unterlassungs-Sünde erwähnte der Schalke-Boss dann aber schon: „Wenn ich Christian etwas vorwerfe, dann dass er nicht nah genug am Trainer war.”

Schalke glaubt, dass der intern immer noch hoch geschätzte Tedesco die Saison hätte meistern können, wenn er mehr Unterstützung vom Manager erhalten hätte – so wie Rudi Assauer sich früher in Krisenzeiten ganz eng an die Seite von Huub Stevens gesetzt hatte; ob in der Öffentlichkeit oder in der Spielerkabine. Heidel hingegen setzte darauf, dass ein Trainer seinen eigenen Weg gehen muss und eine Einmischung von oben dessen Position nur schwächt. Damit ist er in „seiner” Welt in Mainz gut gefahren, Jürgen Klopp und Thomas Tuchel haben sich so für ihre weitere Karriere entwickelt. Domenico Tedesco hingegen war mit dieser Freiheit, die Heidel ihm ließ, auf Schalke überfordert – zumindest, als sich die Mannschaft im Verlauf der Saison als immer schwieriger erwies.

Auch Ihre Meinung ist gefragt

Die Saison ist vorbei, und für Schalke ist das gut so: Niemals seit dem Wiederaufstieg in die Bundesliga 1991 war Schalke schlechter als diesmal mit 33 Punkten und Platz 14 in der Abschlusstabelle.

Woran es gelegen hat und welche Konsequenzen gezogen werden, wollen wir in den kommenden Wochen in einer neuen WAZ-Serie aufarbeiten. „Saisonende – kommt jetzt die Wende?“

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Dass Schalkes Spielerkader der Saison 2018/19 nur schwer zu beherrschen war, ist ein Fakt, den nicht nur die Suspendierungen von Nabil Bentaleb und Hamza Mendyl sowie die zwischenzeitlichen Nicht-Berücksichtigungen von Amine Harit und Mark Uth unterstreichen. Verpflichtet wurden diese Spieler von Christian Heidel, über dessen Scouting-Methoden man auf Schalke nicht so viel erzählt. Dass die Königsblauen sich fest vorgenommen haben, ihr Scouting von neuen Spielern künftig ganz anders aufzustellen, lässt darauf schließen, dass hier einiges im Argen lag.

Die Fehler von Ex-Schalke-Trainer Tedesco

Nicht vergessen darf man dabei allerdings, dass Heidel keinen Spieler ohne die Zustimmung des Trainers verpflichtet hat – insofern hat auch Domenico Tedesco sein Päckchen an dem Elend zu tragen, dass viele neue Spieler auf Schalke gefloppt haben. Sebastian Rudy zum Beispiel war der ausdrückliche Wunschspieler von Tedesco – dass der WM-Teilnehmer von 2018 auf Schalke wie ein in die Jahre gekommener WM-Teilnehmer von 1998 spielte, ist also eher dem Trainer anzulasten als dem Manager.

Tedesco hat irgendwann schon sehr früh in dieser Saison sein gutes Gespür und sein glückliches Händchen verloren, das ihn in der Vizemeister-Saison so sehr ausgezeichnet hatte. Die in der Vorbereitung angestrebte Umstellung auf einen attraktiveren Spielstil war ein Fehlschlag – bereits nach wenigen Spielen ließ er davon wieder ab, doch da war die Mannschaft mit fünf Niederlagen in den ersten fünf Spielen schon in den Strudel nach unten geraten. Die ganz sicher größte Fehleinschätzung von Tedesco war aber der Verzicht auf Naldo, der im Vorjahr noch zum besten Abwehrspieler der gesamten Bundesliga gewählt worden war: Dass Neuzugang Salif Sané gesetzt war und Naldo ab Oktober nur noch Ersatz, war für den Beobachter von außen sportlich nicht nachzuvollziehen.

Naldo zog mangels Wertschätzung die Konsequenz und wechselte in der Winterpause nach Monaco – auch die Lücke, die er in der Kabine hinterließ, wurde unterschätzt. Naldo hatte bis dahin den Laden mit den vielen verschiedenen Kulturen zusammengehalten: Ohne ihn ging es in der Kabine zu wie in der Villa Kunterbunt, zumal auch Kapitän Ralf Fährmann durch seine aus sportlichen Gründen erfolgte Verbannung auf die Ersatzbank die Autorität verlor. Unwidersprochen durfte man Schalkes Mannschaft nach den geradezu furchterregenden Auftritten in Mainz (0:3), gegen Düsseldorf (0:4) und in Manchester (0:7) einen „Sauhaufen” nennen – ein Mangel an Führung war unverkennbar. Bis Huub Stevens den Laden übernahm und aufräumte.

So hat sich Schalke bis zum Saisonende gerettet – folgt nun die Wende? Vorgenommen haben sie es sich, wieder einmal. „So können wir nicht weitermachen”, sagte der neue Sportvorstand Jochen Schneider im Interview mit dem Kicker und erinnerte noch einmal an den Tag im Mai, als Augsburgs Trainer Martin Schmidt auf Schalke einfach nur ein guter Gast sein wollte. „Ich“, sagte Schneider (hier im großen Interview), „kann nicht akzeptieren, dass wir nach 32 Spieltagen 31 Punkte haben und uns zum Klassenerhalt gratulieren lassen müssen.”

Keiner kann das akzeptieren.