Essen. Bei der WM holte Deutschland erstmals keine Medaille. Funktionäre des TV Wattenscheid, LC Adler Bottrop und TV Gladbeck erklären das Scheitern.

Dass der Deutsche Leichtathletik-Verband eine Weltmeisterschaft ohne Medaille beendet, ist ein Novum. Zwar fehlten Medaillenhoffnungen wie Malaika Mihambo (Weitsprung) oder Johannes Vetter (Speerwurf) verletzungsbedingt, doch das reicht nicht als Entschuldigung für die immer kleiner werdende Rolle Deutschlands in der Leichtathletik-Weltspitze.

Michael Huke, Geschäftsführer beim TV Wattenscheid 01, zeigt sich besorgt: „Ich habe keine Angst um die deutsche Leichtathletik, aber große Bedenken.” Das Ziel des DLV, bis zu den Olympischen Spielen 2028 wieder zu den Top fünf der Welt zu gehören, findet er unrealistisch.

Leichtathletik: Probleme in der Zusammenarbeit von Schulen und Vereinen

Das Grundproblem der deutschen Leichtathletik sieht Huke im Nachwuchs, in der Talentsichtung und -förderung. Dies sei in Deutschland „Glückssache”: „Es gibt keinen politischen Willen, Schulen verpflichtend in das System der Talentsichtung einzubinden. Sportlehrer haben den ersten Zugriff auf potenzielle Talente und könnten diese identifizieren. Grundsätzlich hat der TV Wattenscheid sicher kein Problem, genügend Nachwuchs zu finden, bei den Mädchen gibt es sogar eine Warteliste, das liegt aber an der Hauptamtlichkeit hier am Bundesstützpunkt und entsprechenden Kapazitäten, Talentsichtung durchzuführen. Bei den Jungen verlieren wir aber viele Sportler an Spielsportarten. Fehlen die Medaillen fehlen auch die Vorbilder für den Nachwuchs.”

Michael Huke, Geschäftsführer des TV Wattenscheid 01.
Michael Huke, Geschäftsführer des TV Wattenscheid 01. © FUNKE Foto Services | Rainer Raffalski

Der TV sei angewiesen auf die Zusammenarbeit mit Vereinen wie dem USC Bochum, SV Langendreer oder dem VfL Bochum. Mängel sieht Wattenscheids Geschäftsführer in der Zusammenarbeit mit den Schulen, die Schuld sieht er aber woanders: „Es gibt kein politisches Konzept für die Zusammenarbeit von Schulen mit Vereinen – egal in welcher Sportart. Da verpassen wir viel Potenzial, weil wir flächendeckend zu wenig Zugriff in die Schulen haben.”

Dieses Problem kennt auch Dirk Lewald, erster Vorsitzender des LC Adler Bottrop: „Die Schulen haben eine enorme Wichtigkeit, wenn es um Talentsichtung geht. Es braucht mehr Kooperationen von Vereinen und Schulen, um Kinder kontinuierlich zu fördern.” Ein weiterer Knackpunkt für ihn: „Die Bereitschaft der Jugendlichen, sich für Leistung zu quälen, nimmt immer weiter ab. So erreichen viele hochtalentierte Sportlerinnen und Sportler am Ende nicht die Leistungen, für die sie das Potenzial hätten.”

Huke: Reformen bei Bundesjugendspielen „Fehlentscheidung”

Ein großes Thema in der Leichtathletik sind die Reformen bei den Bundesjugendspielen. Für Huke nicht nachvollziehbar: „Diese Änderungen sind eine katastrophale Fehlentscheidung. Da brauchen wir uns nicht wundern, keine Leistungssportlerinnen und -sportler zu finden.” Kinder würden den Wettkampf wollen, Sieg und Niederlage müsse gelernt und verarbeitet werden. Als Beispiel nennt er den ausgebuchten Bambini-Lauf bei dem von seinem Verein ausgerichteten Stadtwerke-Halbmarathon Anfang September. Auch Heiner Preute, langjähriger Nachwuchsbundestrainer und heute Leiter der Leichtathletik-Abteilung des TV Gladbeck, kritisiert die Entscheidung: „Kinder müssen lernen, dass sie nicht überall die Besten sind. Der Leistungsgedanke ist wichtig, um an Zielen zu arbeiten.”

Heiner Preute war viele Jahre Nachwuchsbundestrainer. Heute ist Preute Leiter der Leichtathletik-Abteilung des TV Gladbeck.
Heiner Preute war viele Jahre Nachwuchsbundestrainer. Heute ist Preute Leiter der Leichtathletik-Abteilung des TV Gladbeck. © FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Preute sieht auch im Trainermangel eine Ursache für die Situation des DLV. Es gäbe immer weniger Übungsleiterinnen und Übungsleiter, die im Nachmittagsbereich Zeit hätten. Dirk Lewald beunruhigt auch der Blick auf die Qualität der Trainerinnen und Trainer: „Die Trainer werden zu wenig weiterentwickelt. Während die Athleten Unterstützung durch Bundestrainer erfahren, können sich die Heimtrainer kaum weiterentwickeln.”

Sinkender Sportetat hat direkte Auswirkungen auf Vereine

Ein strukturelles Problem, was in den kommenden Jahren auch nicht besser zu werden scheint. Das Innenministerium will den Sportetat 2024 um rund zehn Prozent senken. Ein negatives Zeichen, auch für die Leichtathletik: „Jede Kürzung oder Erhöhung an Fördermitteln hat direkte Auswirkungen auf uns. Im Zweifel läuft es darauf hinaus, dass wir weniger Leistungssportlerinnen und -sportler betreuen und finanzieren können, weil wir weniger Mittel für Personal oder Trainingslager haben”, so Huke vom TV Wattenscheid.

Die aktuelle bundesweite Förderung bezeichnet er als „halbherzig”, und fügt hinzu: „Je mehr Mittel wir haben, desto erfolgreicher ist unser Sport. Sponsoren reichen da nicht aus, der Sport muss durch öffentliche Mittel finanziert werden.” Auch in Bottrop würde eine Kürzung der Gelder nicht nur die Sportler betreffen, sondern auch verringerte Möglichkeiten für Trainer-Fortbildungen oder Trainingslager bedeuten.

Dirk Lewald vom LC Adler Bottrop
Dirk Lewald vom LC Adler Bottrop © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Kritik am DLV: Für Heiner Preute „berechtigt”

In den vergangenen Wochen hagelte es von allen Seiten Kritik an der Arbeit des DLV. Diese empfindet Heiner Preute als berechtigt. Die aktuelle Arbeit sei nicht zielführend. Für Dirk Lewald vom LC Adler Bottrop gibt es einen zentralen Punkt: „Der DLV investiert zu viel in die Spitze, und zu wenig in die Breite. So funktioniert das System aber auf Dauer nicht.” Ihm fehle der Fokus in der Arbeit des Verbands.

Ob Olympische Spiele im eigenen Land die Lage der Leichtathletik verbessern würden? Es steht im Raum, dass Deutschland sich für die Austragung der Spiele 2036 bewirbt. Dies bezeichnet Preute als „sensationell”. Es habe immer einen positiven Effekt auf die Sportlandschaft der Nationen gehabt, die die Spiele ausrichteten. In Bottrop ist man kritischer. Dirk Lewald sagt: „Es wäre definitiv ein Hype für die Region. Aber es steht zur Frage, ob dadurch wirklich eine positive, nachhaltige Entwicklung möglich ist.”