Essen. . Die Essenerin taucht so tief wie sonst niemand in Deutschland. Sie kann rund sechs Minuten die Luft anhalten. Schwere Unfälle kommen vor.

Bäuchlings liegt Jennifer Wendland auf dem Wasser. Durch einen Schnorchel holt sie ihre letzten ruhigen Atemzüge. Kurz darauf wird es still um sie herum. Ohne Sauerstoffflasche taucht Jennifer Wendland ab und versinkt im tiefen Blau des Meeres. Meter um Meter rauscht an ihr vorbei. Erst nach über drei Minuten kehrt sie zurück an die Oberfläche.

Jennifer Wendland ist Deutschlands beste Apnoetaucherin. Der sperrige Ausdruck „Apnoe“ bezeichnet den Zeitraum des Luftanhaltens. Die Essenerin selbst umgeht den Fachjargon am liebsten und bezeichnet sich selbst als Freitaucherin. „Für mich steht die Freiheit unter Wasser im Vordergrund und nicht das Luft anhalten“, erklärt sie.

Je nach Disziplin geht es für Jennifer Wendland entweder mit oder ohne Flossen hinab ins Meer.
Je nach Disziplin geht es für Jennifer Wendland entweder mit oder ohne Flossen hinab ins Meer. © Lars Heidrich

Bereits seit Kindheitstagen ist Wasser die Leidenschaft von Jennifer Wendland. Während des Studiums ist sie auf der Suche nach einem neuen Hobby und kommt zum Freitauchen. Das war im Jahr 2011. „Es hat sich schnell herauskristallisiert, dass ich dafür ein gewisses Talent habe“, erklärt sie. Rund sechs Minuten kann die 32-Jährige unter Wasser die Luft anhalten. Richtig tief hinunter geht es für sie allerdings erst seit ungefähr dreieinhalb Jahren.

Lange Angst vorm Tieftauchen

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„Ich hatte lange Zeit tatsächlich Angst vorm Tieftauchen“, gibt Wendland zu. Denn bei einem tiefen Tauchgang muss der Weg nach oben ja nun einmal auch noch mit zurückgedacht werden. „Irgendwann sieht man die Wasseroberfläche ja nicht mehr. Das kann schon Beklemmungen auslösen.“ Zumal sie sich bei ihrer ersten Trainerin nicht wohlfühlte, das Training in einer zu großen Gruppe oftmals in Stress ausartete. Und Stress ist der natürliche Feind des Tieftauchers. „Der Puls steigt, man kann nicht mehr so lange die Luft anhalten“, erläutert Jennifer Wendland.

Durch einen Tipp stößt sie schließlich auf den Italiener Marco Nones, der ihr während ihrer Trainingsaufenthalte am Roten Meer in Ägypten die Angst nimmt. Besonders wichtig beim Training: Der Druckausgleich, damit unter Wasser das Trommelfell nicht geschädigt wird.

Für den Verband ist Tieftauchen noch Neuland

Für Wendland geht es in rasanter Geschwindigkeit immer tiefer, erste Erfolge wie der Gewinn der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft stellen folgen bald. Bei der WM in Honduras im letzten Jahr wiederholt sie diesen Erfolg. Gerne wäre Wendland auch in diesem Jahr bei der Weltmeisterschaft im türkischen Kas an den Start gegangen. Der Verband Deutscher Sporttaucher hat sich jedoch entschieden, keine Athleten zu entsenden. „Das ist einfach ärgerlich. Für den Verband ist das Tieftauchen noch Neuland“, glaubt Wendland, dass die Entscheidung auch aus Unsicherheit gefällt wurde. „Hier muss ich sicherlich noch einiges an Aufklärungsarbeit hinsichtlich der Sicherheit meines Sports leisten.“ Stattdessen konzentriert sich Wendland nun auf das Brechen eines weiteren deutschen Rekord.

Mitten im weiten Blau: Jennifer Wendland hangelt sich an einem Führungsseil in die Tiefe.
Mitten im weiten Blau: Jennifer Wendland hangelt sich an einem Führungsseil in die Tiefe. © Kalindi

Während sich Wendland bei ihren Tauchgängen stets sicher fühlt, sieht das in ihrem Umfeld anders aus. „Meine Eltern sind nicht unbedingt begeistert, dass ich ausgerechnet diesen Sport mache“, lacht sie. Ihre Geschwister sehen ihr Hobby dagegen mittlerweile entspannter. Dass sie einen Extremsport ausübt, davon will Wendland nichts wissen: „Freitaucher sind ziemlich entspannte Menschen und keine Draufgänger. Das würde unter Wasser auch gar nicht funktionieren“, erklärt sie. Nichtsdestotrotz kommen Unfälle von Tieftauchern immer mal wieder vor. Die weltbeste Taucherin Natalja Moltschanowa ist seit einem Tauchgang vor drei Jahren im Mittelmeer verschollen. Sie hielt 41 Weltrekorde. Klar, dass solche Nachrichten auch bei Wendland einen Schock hinterlassen. Derartige Unfälle passieren normalerweise, wenn sich jemand überschätzt oder alleine nach unten geht. „Das würde ich niemals machen“, kann sie ihre Grenzen einschätzen. Lediglich einmal sei sie ohnmächtig geworden, als sie gerade wieder an der Oberfläche ankam.

Finanziell ist ihre Sportart ein Zuschussgeschäft. „Ich verbrenne nur Geld“, lächelt sie gequält. Sie arbeitet lediglich 70 Prozent des Jahres, die restliche Zeit trainiert sie in Ägypten. Sponsoren werden noch immer vergeblich gesucht. Ans Aufhören denkt sie aber noch lange nicht, denn: „Freitauchen ist der schönste Sport der Welt.“

Jennifer Wendland knackt den nächsten deutschen Rekord

In zahlreichen Freitauch-Disziplinen hielt Jennifer Wendland bereits den deutschen Rekord, vor einer Woche kam der nächste dazu.

105 Meter ging es in der Disziplin Tieftauchen mit variablem Gewicht für die Essenerin in die Tiefe. „Es lief hervorragend“, hatte sie hinterher allen Grund zur Freude. „So entspannt wie heute war ich wohl noch nie bei einem Rekordversuch.“

Mit einem Schlitten ließ sich Jennifer Wendland 105 Meter in die Tiefe ziehen. Das bedeutete einen neuen deutschen Rekord.
Mit einem Schlitten ließ sich Jennifer Wendland 105 Meter in die Tiefe ziehen. Das bedeutete einen neuen deutschen Rekord. © Emily Freya Krakoff

Mit einer auf 30 Kilogramm beschränkten Schlittenkonstruktion geht es beim Tauchen mit variablem Gewicht nach unten. An der Zielmarke angekommen wird der Schlitten dort zurückgelassen, und der Taucher oder die Taucherin zieht sich am Führungsseil wieder nach oben.

„Es hat rund eine Minute gedauert, bis ich unten war, und dann nochmal eineinhalb Minuten, bis ich wieder oben war“, erzählte die überglückliche Wendland nach ihrem Erfolg. Der bisherige deutsche Rekord lag bei 100 Metern.

Weiterer Rekordversuch auf Oktober vertagt

Zuvor weilte Wendland bereits über zwei Wochen in ihrem Trainingszentrum in Ägypten, um sich perfekt auf den Rekord vorzubereiten. Einen Tag später sollte eigentlich die nächste Bestmarke gesetzt werden – geplant war auch noch der deutsche Rekord in der No Limits Disziplin, wo das Gewicht des Schlittens nicht begrenzt ist und somit deutlich tiefere Tauchgänge möglich sind.

Aus logistischen Gründen musste der Versuch jedoch verschoben werden. „Wir hatten nicht genug Wertungsrichter“, berichtete Wendland. Von Ärger war jedoch keine Spur: „Jetzt habe ich halt die Möglichkeit, dafür noch mehr zu trainieren.“ Im Herbst soll nun ein neuer Anlauf gestartet werden.

Somit konnte der Erfolg abends gebührend gefeiert werden. Wendland blieb derweil noch einige Tage für „den ein oder anderen Spaß-Tauchgang“ und um das Wetter zu genießen in Ägypten, ehe es zurück nach Essen ging.