Morgan County (USA). Bottroperin Marina Kollassa erfüllt sich beim Barkley Marathon einen Traum. 161 Kilometer und 16.500 Höhenmeter waren nicht die größte Aufgaben.

Marina Kollassa hat schon so einige mentale Herausforderungen bei ihren Ultraläufen hinter sich gebracht: ob 24.000 Höhenmeter an der Eiger Nordwand oder 342 Kilometer bei der Weltmeisterschaft im Backyard 2020, bei der man so lange lief, bis niemand mehr konnte.

Nun ist die Bottroperin aber an ihre Grenzen gekommen – und darüber hinaus.

Anfang März erfüllte sich die 31-Jährige einen Traum und nahm am Barkley Marathon im US-Bundessstaat Tennessee teil.

Marina Kollassa hat beim Barkley Marathon kein GPS-Gerät und keine Zeituhr

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Der Lauf durch das Gelände des Frozen Head State Parks ist aber kein normaler Marathon, ganz im Gegenteil: in 60 Stunden müssen 100 Meilen – also 161 Kilometer – aufgeteilt auf fünf Runden gelaufen werden, inklusive rund 16.500 positiven Höhenmetern, Nebel und einer zeitlichen Deadline pro Runde. Doch damit immer noch nicht genug an Schwierigkeiten.

Der Ultralauf, dessen Idee dem Organisator Gary „Lazarus Lake“ Cantrell aufgrund der Flucht von Martin Luther Kings Mörder James Earl Ray aus dem nahe des Parks gelegenen Gefängnis Brushy Mountain State Penitentiary kam, führt mitten durch den Nationalpark, über Äste, Laub und matschige Stellen, befestigte Wege sind eine Seltenheit.

Für die Navigation – auf dem Weg müssen zusätzlich auch noch 14 versteckte Bücher anhand von mystischen Beschreibungen gefunden und jeweils eine Seite herausgerissen werden – sind die Laufenden selbst verantwortlich, dürfen aber immerhin eine vorhandene Karte so gut es geht abzeichnen.

Seit 1986 haben nur 15 Menschen den Barkley bezwungen

Was für eine riesige Herausforderung der Barkley ist, zeigt, dass 2022 kein einziger der 40 Startenden die Ziellinie sah, seit der Premiere 1986 gelang erst 15 Menschen, den Ultra zu bewältigen.

„Das war schon happig. Du musst es mit einer Karte schaffen, man hat kein GPS-Gerät, keine Uhr. Man weiß nie, wie lange man für einen Kilometer gebraucht hat“, sagt Marina Kollassa, die sich intensiv und lange auf den Wettkampf vorbereitete und dafür immer wieder die Halde Haniel auf und ab lief.

Eine Karte händigte der Veranstalter für den Weg durch den Nationalpark nicht aus. Marina Kollassa durfte vorher lediglich eine Karte abzeichnen und war dann auf sich alleine und ihre Orientierung gestellt.
Eine Karte händigte der Veranstalter für den Weg durch den Nationalpark nicht aus. Marina Kollassa durfte vorher lediglich eine Karte abzeichnen und war dann auf sich alleine und ihre Orientierung gestellt. © Kollassa

„Der Barkley war schon länger auf meiner Liste. Es war ein Traum für mich. Es werden immer nur 40 auserwählt von über 1000 Bewerbungen. Da musst du schon etwas vorweisen können. Für mich ist es die ganz große Challenge, ein Rennen zu machen, bei dem man weiß, es ist kaum möglich, es aber dennoch zu probieren“, so Kollassa.

Die Startnummer eins tut weh und ist eine große mentale Aufgabe

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Im März war es so weit. Die Bottroperin hatte die Vorbereitung hinter sich gelassen, war voller Motivation am Frozen Head State Park angekommen – und erhielt von Gary „Lazarus Lake“ Cantrell direkt einen heftigen mentalen Rucksack mit auf den Weg: die Startnummer eins für die Person, von der der Organisator das früheste Ausscheiden aller Teilnehmenden erwartet.

„Ich wusste auch nicht, ob ich Gary Cantrell jetzt hasse oder liebe. Man kann sagen, was man will, aber er fordert einen definitiv. Diesmal mehr mental als körperlich“, so Kollassa.

Befestigte Wege gab es kaum, oft genug ging es mitten durch die Bäume und den Nationalpark beim Barkley Marathon für Marina Kollassa.
Befestigte Wege gab es kaum, oft genug ging es mitten durch die Bäume und den Nationalpark beim Barkley Marathon für Marina Kollassa. © Kollassa

Denn die Startnummer eins hat sie als ungerechtfertigt und unfair empfunden. „Ich habe viele kennengelernt, die sich quasi gar nicht vorbereitet hatten. Ich habe aber unheimlich viel trainiert, mich mit dem Lauf beschäftigt. Es war der Wettbewerb, den ich immer angehimmelt habe, aber genau der hat mir in den Arsch getreten. Man hat gedacht, ich gehöre nicht dorthin. Dabei habe ich doch alles gemacht. Ich war danach ziemlich fertig und habe mich selbst darüber gewundert, warum es mir so den Boden unter den Füßen weggezogen hat“, erklärt Kollassa ihre Gedankengänge nach dem Rückschlag.

Das Lachen beim Laufen ist unbezahlbar für Marina Kollassa

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Die Bottroperin sah zunächst nur zwei Möglichkeiten – beide waren für sie untypisch und nicht zufriedenstellend.

„Wenn ich die Buchseiten nicht gefunden hätte und die Erste gewesen wäre, die ausscheidet, hätte ich ihm recht gegeben und ihn so in meinen Kopf gelassen. Oder ich hätte eine Jetzt-Erst-Recht-Haltung an den Tag gelegt. Aber auch dann hätte ich ihn in meinen Kopf gelassen und den Lauf nicht mehr für mich, sondern für ihn gemacht“, so Kollassa.

Das Wichtigste bleibt: Marina Kollassa ist ihr Lächeln nicht vergangen – und auch die Freundschaften bestehen.
Das Wichtigste bleibt: Marina Kollassa ist ihr Lächeln nicht vergangen – und auch die Freundschaften bestehen. © Kollassa

Für keine der beiden Varianten entschied sie sich, blieb sich lieber selbst treu und versuchte, die Startnummer so gut es ging zu vergessen. Gemeinsam mit einem Amerikaner trotzte Kollassa dem Wettkampf-Druck spätestens, als sie wusste, dass sie die zeitliche Deadline nach der ersten Runde nicht einhalten werden könne. Aufgeben war aber keine Option: Singend und lachend wurde Meile für Meile abgespult und Buchseite für Buchseite gefunden.

Nächste Aufgabe: 115 Kilometer auf Madeira

„Ich bin jemand, der unheimlich viel Spaß hat und viel lacht bei den Läufen. Genau deshalb mache ich es auch und so bin ich es auch angegangen. Und dennoch habe ich alle Buchseiten gefunden und ihm gezeigt, dass ich nicht würdig war, die Nummer eins zu tragen“, sagt die Bottroperin, die sich genau deshalb auch noch nicht sicher ist, ob sie sich noch einmal der Herausforderung Barkley stellen möchte.

Nass, durchgefroren, aber glücklich: Marina Kollassa beim Barkley Marathon.
Nass, durchgefroren, aber glücklich: Marina Kollassa beim Barkley Marathon. © Kollassa

„Es war unheimlich toll, der ganze Trip hat viel Spaß gemacht. Erst dachte ich auch, dass ich auf jeden Fall noch einmal hinmuss. Aber es hat auch einen hohen Preis und es ist dann auch nur dieser eine Lauf, auf den man sich voll fokussieren muss. Um es zu schaffen, muss man den Spaß ad acta legen und es als seinen Job ansehen. Das ist eigentlich nicht das, warum ich es mache. Für mich ist Laufen etwas, bei dem ich rausgehe, neue Sachen sehe, etwas erlebe und das möglichst schnell. Aber wer weiß, vielleicht packt es mich noch einmal“, sagt Kollassa.

Erst einmal steht für sie aber ein anderes Projekt an: Über das Wochenende reist sie auf die portugiesische Atlantik-Insel Madeira um dort am Ultra Trail über 115 Kilometern mit vielen Höhenmetern teilzunehmen. Kollassa: „Mal gucken, was geht. Klar ist aber, dass ich vor allem Spaß haben möchte.“

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